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Vor 250 Jahren wurde der Berliner Dichter Ludwig Tieck geboren – Das Jubiläum ist auch Anlass einer Ausstellung über seine Zeit in Dresden
Im Jahr 1841 warb Friedrich Wilhelm IV. den gichtkranken Dichter Ludwig Tieck gegen ein Jahresgehalt von 1000 Talern, das er später um 2200 Taler erhöhte, aus Dresden ab, damit er in seine Geburtsstadt Berlin zurückkehrt. Der als „Romantiker auf dem Königsthron“ bezeichnete preußische Herrscher war einer der größten Verehrer des Schriftstellers und protegierte ihn nach Kräften. Er ernannte ihn zum Geheimen Hofrat und zum Gründungsmitglied des Ordens Pour le Mérite für Wissenschaften und Künste.
Gesundheitlich immer angeschlagener, brachte Tieck in seiner letzten Berliner Zeit mit Ausnahme einer Sammlung seiner Kritischen Schriften in vier Bänden nichts Nennenswertes mehr heraus. Mit seinem Tod im Jahr 1853 schloss sich für ihn der Kreis des Lebens in Berlin, wo er am 31. Mai 1773 geboren worden war.
Der Name Tieck wird noch eine ganze Ewigkeit in Erinnerung bleiben durch die Schlegel-Tieck-Ausgabe der Werke Shakespeares. Der mit dieser Ausgabe „romantisierte“ Renaissanceautor ist erst dank dieser Übersetzerleistung zum Klassiker geworden, nachdem es um ihn selbst in seiner britischen Heimat gut zwei Jahrhunderte lang still gewesen blieb. Tieck übersetzte mit „Perikles“ nur ein Stück, redigierte aber den Rest, zu dem seine Tochter Dorothea und Wolf Graf von Baudissin einen großen Teil beitrugen.
Der Initiator und früheste Übersetzer war August Wilhelm Schlegel, den Tieck in der sogenannten Jenaer Romantiker-WG in der Leutragasse 5 kennengelernt hatte. In dieser Keimzelle der Frühromantik lebte A. W. Schlegel mit seinem Bruder Friedrich sowie ihren Frauen Caroline und Dorothea Veit. Hier gaben sich Dichter und Philosophen die Klinke in die Hand: Schiller, Novalis, Brentano, Schelling, Fichte und ab 1799 auch Tieck.
Friedrich Schlegel hatte Tieck in Berlin kennengelernt, der nach einer Aufführung seiner Märchenposse „Der gestiefelte Kater“ als Wunderkind betrachtet wurde. Das Stück enthielt alle Elemente, die Schlegel später als „romantische Ironie“ bezeichnete: Im Publikum wirken Schauspieler mit, umgekehrt buht ein Publikum auf der Bühne den Dichter aus, der als Figur erscheint und sein Scheitern beklagt.
Tieck selbst stand damit schon früh im Zenit. 1797, im selben Jahr wie „Der gestiefelte Kater“, brachten er und sein Schulfreund aus dem Friedrichswerderschen Gymnasium, Wilhelm Heinrich Wackenroder, der nur ein Jahr später früh verstorbene Sohn eines hohen preußischen Stadtbeamten, die Aufsatzsammlung „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“ heraus. Sie wird auch als „Manifest der Frühromantik“ bezeichnet, da darin vom Kunstideal der antiken Klassik Abschied genommen wird zugunsten der Renaissancekunst eines Michelangelos, Raffaels oder auch Dürers. Tieck setzte Dürer kurz darauf in seinem Künstlerroman „Franz Sternbalds Wanderungen“ ein weiteres Denkmal. Klar, dass Goethe an diesem „klosterbrudisierenden, sternbaldisierenden Unwesen“ keinen Gefallen fand, mit dem die Frühromantik die Klassik ablöste.
Nach Goethes Tod galt Tieck als größter deutscher Dichter. Dem am Fließband produzierenden Autor gelang dies durch eine Vielzahl an Dramen, Novellen, Gedichten, Prosawerken wie dem Briefroman „William Novell“ oder seinem späten Geschichtsepos „Vittoria Accorombona“, aber vor allem auch mit seinen Kunstmärchen, die er in der Sammlung „Phantasus“ in drei Bänden zusammenfasste.
Über das südöstlich von Frankfurt an der Oder gelegene Ziebingen zog Tieck 1819 nach Dresden, wo er eine Beschäftigung als Dramaturg am Hoftheater fand. Das im Kügelgenhaus angesiedelte Museum der Dresdner Romantik widmet dem von Friedrich Hebbel zum „König der Romantik“ erhobenen Jubilar aktuell eine Sonderausstellung. Sie ist eingebettet in die Dauerausstellung, die sich über die ehemaligen Wohnräume des Malers Gerhard von Kügelgen erstreckt. An sieben Stationen gewinnen Besucher mittels Büchern und Kunstwerken Einblick in Tiecks Leben und Schaffen. Dem dienen zudem 19 mit Texten über Tieck versehene Postkarten. Die kann man mitnehmen – daher heißt die Geburtstagsschau „Tieck to go!“
Im Mittelpunkt steht Tiecks Zeit in Dresden. Wer den Salon betritt, hört sich unversehens in einen der seinerzeit berühmten, zum Beispiel vom Märchenerzähler Andersen und „Lederstrumpf“-Autor Cooper besuchten Vorleseabende versetzt, die der von 1819 bis 1842 in Dresden lebende Tieck in seiner Wohnung am Altmarkt veranstaltete. Er gibt Anweisungen: Die Fenster bleiben geschlossen, und die Zuhörer dürfen keinen Laut von sich geben. Tiecks Stuhl stand auf einem Podest, und zur Dekoration des Salons gehörte eine überlebensgroße Büste von ihm selbst. So ein Vorleseabend beim Licht zweier Kerzen muss ein eindrucksvolles Erlebnis gewesen sein.
Der Dichterkollege Clemens Brentano bezeichnete den aus eigenen Werken und denen Goethes, Shakespeares oder Kleists mit wandlungsfähiger Stimme vorlesenden und wirkungsvoll gestikulierenden Tieck als größten Schauspieler, der nie eine Bühne betreten habe. Im Salon stehen uns Hörproben aus Tiecks Schaffen zur Wahl. Zu ihnen gehören „Franz Sternbalds Wanderungen“, die Märchenkomödie „Der gestiefelte Kater“ und die Novelle „Des Lebens Überfluss“.
Hier und an den anderen Stationen wird die überbordende Produktivität Tiecks deutlich. Er bearbeitete alte Volksmärchen, übersetzte den „Don Quijote“ und trat als Herausgeber nicht nur der Werke Shakespeares hervor, sondern auch der Schriften von Novalis, Kleist und J. M. R. Lenz. Trotzdem war er finanziell meistens klamm. In Dresden lebte er mit Frau und Geliebter, wobei Letztere für die Einkünfte sorgte. Als der Preußenkönig den kränkelnden und um seine verstorbene Lieblingstochter Dorothea trauernden Tieck nach Berlin lockte, war es der Versuch einer Ehrenrettung. Denn längst war die Zeit der Jungdeutschen hereingebrochen, die mit der Romantik brachen.
Buchtipp: Andrea Wulf, die zuletzt mit Ihrem Werk über Alexander von Humboldt groß hervortrat, hat jetzt mit „Fabelhafte Rebellen. Die frühen Romantiker und die Erfindung des Ich“ die Jenaer Dichtergruppe um Ludwig Tieck erfrischend lebhaft in Szene gesetzt (C. Bertelsmann, München 2022, 528 Seiten, 30 Euro).
Ausstellung „Tieck to go“, bis 15. Oktober im Kügelgenhaus, Hauptstraße 13, Dresden, geöffnet Mittwoch bis Freitag von
10 bis 17 Uhr, sonnabends und sonntags von 12 bis 17 Uhr, Eintritt: 4 Euro
www.stmd.de/kuegelgenhaus