Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Endlose Debatten um ein dringendes Mobilisierungsgesetz, wachsender Unmut der Abgeordneten der Werchowna Rada über die Beschränkungen für Auslandsreisen oder auch eine Reihe von abgesagten beziehungsweise drastisch verkürzten Parlamentssitzungen – die kleinen und großen Polemiken häufen sich seit Wochen in einer politischen Welt der Ukraine, die dem Präsidenten immer weniger wohlgesinnt ist. Und in diesen Kontroversen glänzt Wolodimir Selenskij oft durch Abwesenheit.
Nach mehr als zwei Jahren Krieg gegen Russland ist der ehemalige Schauspieler mit einer Vertrauensquote von 62 Prozent immer noch eine Ausnahmeerscheinung in der politischen Landschaft. Zwar liegt dieser Wert um mehr als 20 Prozentpunkte unter demjenigen des Vorjahres, doch liegt er immer noch weit über dem eines jeden anderen Spitzenpolitikers in Europa. Außerdem unterstreichen andere Umfragen den Widerwillen eines Großteils des Volkes gegen die Idee, Präsidentschaftswahlen in Kriegszeiten abzuhalten.
Frust bei Volk und Abgeordneten
Die Entlassung des beliebten Generalstabschefs Walerij Saluschnij im Februar und der Fall von Awdijiwka einige Tage später haben Selenskijs Image jedoch ernsthaft beschädigt. Die Unsicherheit, die heute im Land herrscht, hat die Werchowna Rada wieder ins Rampenlicht gerückt, die zu Beginn der russischen Invasion zu einer Statistenrolle gegenüber einem Präsidentenbüro degradiert wurde, das zum neuralgischen Zentrum der Macht geworden ist. In den ersten Monaten der Invasion wurde dieses Machtungleichgewicht von der gesamten politischen Klasse akzeptiert, doch heute sorgt es zunehmend für Zähneknirschen.
In weiten Teilen des Parlaments ist das Zähneknirschen mittlerweile so weit verbreitet, dass mehrere Dutzend Abgeordnete erwägen, das Handtuch zu werfen, wie eine Ende März von der „Ukrainska Pravda“ veröffentlichte Umfrage ergab. Die Absage mehrerer Parlamentssitzungen sowie die Beschränkungen für Auslandsreisen, die von der Opposition als politisches Druckmittel angeprangert werden, trugen nicht dazu bei, die Frustrationen zu mindern.
Seit mehr als vier Monaten wird im Parlament auch über einen sehr heiklen Gesetzesentwurf diskutiert, der das Tempo der Mobilisierung der Armee erhöhen soll. Anfang Februar wurde das Gesetz in erster Lesung verabschiedet. Seitdem stockt die Debatte jedoch, da sich die Abgeordneten über die unpopulären Sanktionen für Mobilisierungsverweigerer streiten, nachdem sie den Text mit über 4000 Änderungsanträgen aufgebläht haben.
Umstrittene Projekte
Diese Verzögerungen für ein Projekt, das von der Armee als entscheidend angesehen wird, führen mehrere Kommentatoren auf die Weigerung des Präsidenten zurück, sich für die Unterstützung einer sehr unpopulären Maßnahme ins Zeug zu legen. Das Gesetz würde vor allem Deutschland betreffen, weil sich hier die meisten ukrainischen Wehrdienstverweigerer aufhalten. Im krassen Gegensatz dazu steht ein anderes Gesetz, das die Demobilisierung von Soldaten, die vor Beginn der Invasion eingezogen wurden, erlaubte: Es wurde vom Präsidenten selbst am 22. Februar ins Parlament eingebracht, am nächsten Tag verabschiedet und bereits am 26. Februar verkündet.
Langfristig stellt sich die Frage, wie das Land ohne Aussicht auf einen schnellen Sieg verwaltet werden soll. In den letzten Wochen hat dies einige Oppositionspolitiker ermutigt, die Bildung einer Koalitionsregierung oder sogar die Rückübertragung von Befugnissen an das Parlament zu fordern. Theoretisch hätten die Präsidentschaftswahlen Ende März stattfinden sollen, doch die russische Invasion und die Verhängung des Kriegsrechts kamen dazwischen.
Die Stunde des Parlaments
„Das Parlament muss seine Fähigkeit unter Beweis stellen, auch in den schwierigsten Zeiten eine führende Rolle zu spielen“, erklärte Olha Ajwasowska, Direktorin der Wahlbeobachtungsorganisation „Opora“. Sie verweist auf den jüngsten Besuch von Selenskij in Odessa, während russische Raketen die Stadt getroffen hatten. „Die Führungsfähigkeit des Parlaments muss eindeutig festgestellt werden, damit Russland versteht, dass selbst die Versuche, den Präsidenten zu töten, den ukrainischen Staat nicht zerstören können.“