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„Faust“ als Graphic-Novel: Simon Schwartz, „Die Wette“, im Schiller-Museum
Bild: Thiede„Faust“ als Graphic-Novel: Simon Schwartz, „Die Wette“, im Schiller-Museum

Kunst

Künstliche Intelligenz aus der Phiole

Vor 250 Jahren traf Johann Wolfgang Goethe in Weimar ein – Dem Jahrestag widmet man sich mit mehreren „Faust“-Ausstellungen

Veit-Mario Thiede
24.05.2025

Mit dem „Urfaust“ im Gepäck begab sich Johann Wolfgang Goethe im November 1775 nach Weimar. Anlässlich des 250. Jubiläums seiner Ankunft hat die Klassik Stiftung Weimar das Faust-Jahr ausgerufen, das mit Ausstellungen begangen wird. Das Goethe- und Schiller-Archiv führt uns in Goethes mit Vorarbeiten, Notizen und Fragmenten zum „Faust“ ausgestattete Schreibwerkstatt. An acht Terminen ist das originale Manuskript von „Faust II“ zu sehen.

Mephisto hat weit mehr Text als Heinrich Faust und gilt vielen als der eigentliche Held der Tragödie. Ihm widmet sich die Ausstellung im Studienzentrum der Anna Amalia Bibliothek. Die Präsentation im Nietzsche-Archiv handelt davon, wie es der Philosoph mit Goethe und Faust hielt. Nietzsche verehrte vor allem die im „Faust“ entfaltete Sprachkunst.

Die zentrale Schau zu Goethes Hauptwerk, an dem er von 1770 bis kurz vor seinem Tod am 22. März 1832 arbeitete, ist im Schiller-Museum ausgebreitet. Sie umfasst Objekte aus Goethes naturkundlichen Sammlungen, Animationsfilme, Hörstationen, „Faust“-Illustrationen sowie etliche „Faust“-Zitate auf Bannern, Wänden und Ausstellungsmöbeln. Ausschnitte aus „Faust“-Filmen weisen auf die Themenvielfalt des Werkes hin. Es handelt von Liebe und Begehren, Natur und ihrer Zerstörung, Geld und Macht, Erschaffung von Leben und künstlicher Intelligenz.

Simon Schwartz hat den Hauptfiguren und zentralen Szenen Comic-Zeichnungen gewidmet. Sein Comic-Plakat „Die Wette“ zeigt links und rechts oben Gott und den Teufel Mephistopheles. Gott glaubt daran, dass sich Doktor Heinrich Faust nicht auf Geschäfte mit dem Teufel einlässt. Die große Zeichnung im Bildzentrum zeigt jedoch, wie Mephisto und Faust ihren Vertrag mit Blut besiegeln. Er lautet: „Werd' ich zum Augenblicke sagen: / Verweile doch! / du bist so schön! / Dann magst du mich in Fesseln schlagen, / Dann will ich gern zu Grunde gehn!“

Auf einem wandfüllenden Bild zeigt uns Schwartz die vielen Schauplätze der Handlung. Vom Himmel schaut Gott herab. Im linken Bereich sind von oben nach unten die Theaterbühne, Felsenbuchten des Ägäischen Meeres, der Palast des Menela(o)s und Fausts Burg zu sehen. Unterhalb von Gott sind die mittelalterliche Stadt mit Fausts Studierzimmer, Margaretes Zimmer, Auerbachs Keller und Margaretes Kerker abgebildet. In der folgenden Bildzone sind die Kaiserliche Pfalz, der Brocken im Harz sowie Fausts Palast und Landgewinnungsprojekt dargestellt. Ganz rechts befindet sich die Bergschlucht der Schlussszene. Wir sehen also, dass die Tragödie einem wilden Querfeldeinritt durch Raum und Zeit gleicht. Goethe macht den „Faust“-Lesern bewusst das Leben schwer: „Je incommensurabler (unvergleichbarer) und für den Verstand unfaßlicher eine poetische Production, desto besser.“

Der Schwerpunkt der Ausstellung liegt nicht etwa auf dem weithin bekannten, 1808 veröffentlichten ersten Teil der Tragödie, sondern auf dem weniger gelesenen zweiten Teil. Goethe gebot, dass dieser erst nach seinem Tod erscheinen dürfe, was noch 1832 geschah. In einem Brief an Wilhelm von Humboldt erklärte er seine Entscheidung damit, sich ablehnende Kommentare ersparen zu wollen: „Der Tag aber ist wirklich so absurd und confus, daß ich mich überzeuge, meine redlichen, lange verfolgten Bemühungen um dieses seltsam Gebäu würden schlecht belohnt.“

Faust und der Kapitalismus
„Faust I“ und „II“ handeln von drei Möglichkeiten für Sinn im Leben: Die erste ist das Streben nach Erkenntnis, „was die Welt im Innersten zusammenhält“, die zweite die Liebe, die dritte richtet sich auf Besitz und Herrschaft. Die Schau konzentriert sich auf die zweite und dritte Möglichkeit. Sie stellt uns die durch Mephistos Zaubertricks für Faust eingenommene Margarete als fromme junge Frau vor, die durch ihn in Not gerät und zur Mörderin ihres unehelichen Kindes wird.

Mit der schönen Helena bandelt Faust im zweiten Teil der Tragödie an. Nach dem Tod ihres gemeinsamen Sohnes Euphorion verabschiedet sich Helena von Faust und begibt sich in die Unterwelt. Daraufhin konzentriert sich der inzwischen hochbetagte Faust auf den Erwerb von Herrschaft und Besitz. Dem Meer ringt er unter dem Einsatz zahlreicher Arbeitskräfte Land ab. Insbesondere im Landgewinnungsprojekt sehen die Kuratoren einen literarischen Niederschlag der aufdämmenden Moderne in Goethes Werk. Der widmen sie Ausstellungsschwerpunkte.

Auf Goethes facettenreiche Naturvorstellungen folgt die Abteilung „Kapita­lozän“. In ihr wird Faust als Unternehmer vorgestellt, der mit Krieg und der Ausbeutung von Mensch und Natur reich wird. Auch „Homunkulus“ steht im Blickpunkt. Diesen in einer Phiole erzeugten künstlichen Menschen erklären die Kuratoren zum Vorläufer der heute – ach – so aktuellen Künstlichen Intelligenz.

Auf Fausts Weltbesitz durch Meerestrockenlegung folgt sein Untergang. Er ist erblindet und deutet das Geräusch von Schaufeln als Arbeit an einem Entwässerungsgraben. Mephisto halblaut: Geschaufelt wird nicht an einem Graben, sondern an einem Grab. Faust jedoch bildet sich ein, „ein paradiesisch Land“ zu erschaffen – und springt im letzten Augenblick dem Mephistopheles von der Teufelsschippe. Kurz vor seinem Tod sagt er nämlich nur, was er sagen könnte, aber eben doch nicht sagt: „Zum Augenblicke dürft' ich sagen: / Verweile doch, du bist so schön!“ Statt in die Hölle kommt er in den Himmel, wie die von Schwartz gezeichnete „Erlösung“ zeigt.

Über einer Bergschlucht erstrahlt die „Mater Gloriosa“ genannte Himmelskönigin. Sie schickt das „Unsterbliche“ einer Büßerin, „sonst Gretchen genannt“, und das des Faust auf Himmelfahrt. Die Engel erklären: „Wer immer strebend sich bemüht / Den können wir erlösen. / Und hat an ihm die Liebe gar / Von oben Teil genommen, / Begegnet ihm die selige Schar / Mit herzlichem Willkommen.“

Abschließend sind die Besucher eingeladen, Goethes „Faust“ in Bild und Ton als Sprachkunstwerk mit einer enormen Vielfalt von Wörtern, Klängen und 37 verschiedenen Versformen zu genießen.

www.klassik-stiftung.de/faust 


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