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Die Königsbergerin Eva Reimann in einer bemerkenswerten Betrachtung
Eva Reimann (1924-2005) war im nördlichen Niedersachsen als leidenschaftliche Dorfschullehrerin und Schriftstellerin ostpreußischer Herkunft gut bekannt.
20 Jahre nach ihrem Tod droht ihr Name in Vergessenheit zu geraten. Nun hat Heinrich Lohmann ein beeindruckendes Buch über das Leben und Wirken von Reimann vorgelegt, in dem die Autorin mit zahlreichen Texten und Gedichten selbst zu Wort kommt. Auch Fotos, Karten und ein Exkurs zur bislang unbekannten „Lycker Webschule“ machen dieses dritte Buch von Lohmann zu einer faszinierenden Lektüre.
Reimann wurde am 25. Juni 1924 in Königsberg geboren. Die Eltern Gustav und Anna Reimann eröffneten 1920, mitten in schweren Zeiten, ein eigenes Porzellangeschäft am „Schiefen Berg“, der später „Bergplatz“ hieß, das sie erfolgreich betrieben. Ihren beiden Töchtern, jeweils 1921 und 1924 geboren, wurden die Reimanns liebevolle und überaus zugewandte Eltern.
Die Zugehörigkeit zur evangelisch-reformierten Burgkirchengemeinde war ihnen wichtig, ebenso die Teilhabe am kulturellen Leben der Stadt. Die 13-jährige Eva kennt nicht nur Agnes Miegel und liebt ihre Gedichte. Es juckt ihr auch in den Fingern, wenn sie mit Plastilin arbeitet – sie will Bildhauerin werden. Aber der Vater ist Realist genug, um einen Riegel vor die Versuchung eines freien Künstlerlebens zu schieben. So wählt Eva alternativ den Beruf der Gewerbelehrerin. Nach ihrem Abschluss an der Königsberger Gewerbeoberschule für Mädchen endet das ostpreußische Leben der Familie etwas später mit der Flucht aus der Heimat.
Harte Jahre des Überlebenskampfes im Raum Bremen folgen. Ein Glück für die Familie ist, dass sich nach getrennter Flucht alle wiederfinden. Beim Neuanfang und dann dem Aufbau einer eigenen Existenz zeigt die Tochter Eva eine erstaunliche Kraft. Die Prägungen aus glücklichen Zeiten befähigen Reimann, ihr weiteres Leben im Einklang mit sich selbst und ihren Mitmenschen zu gestalten, fasst Lohmann zusammen, was Kraftquelle und später ihre Lebensleistung ist. Eva schafft es in dieser schweren Zeit, sich eine Lehre bei einem Holzbildhauer zu ermöglichen. Aber nach der Gesellenprüfung entscheidet sie sich erneut, und diesmal auch aus ganzem Herzen heraus, für ein Pädagogikstudium in Celle.
Ab 1952 findet Reimann ihre Erfüllung als Dorfschullehrerin, zunächst in Otterstedt und Baden im nördlichen Kreis Verden. Als sie in Baden auch den Schulneubau nach eigenen Vorstellungen mitgestalten kann, entsteht der Entwurf für eine Innenwand im Foyer als Schülerarbeit. Die Schüler sind bei allen Arbeitsschritten, auch der handwerklichen Umsetzung der Tonarbeit, dabei. Reimann wechselt 1964 als Schulleiterin nach Seebergen. Auch dort prägt sie Generationen von Schülern, von denen sich etliche noch heute dankbar an sie erinnern.
1976 endet diese arbeitsreiche Lebensphase mit einer schweren Krebserkrankung. Reimann macht einen harten Schnitt und beendet ihr berufliches Leben als Pädagogin. Ihre Fähigkeit, ihr Leben im Einklang mit sich selbst zu gestalten, lässt auch den folgenden Lebensabschnitt gelingen. Sie zieht nach Lilienthal zu ihrer Lebensgefährtin, wird Schriftstellerin, findet ihre eigene lyrische Sprache und veröffentlicht in den 80er Jahren drei Bücher. Das jetzt entstehende literarische Werk wurzelt tief in den Königsberger Kindheitsjahren und den damals gesammelten Eindrücken. So wie diese Erinnerung an einen Nachmittag auf dem Burgkirchenplatz, ihrem Lieblingsort. Dort ist eine Kastanie vom Baum gefallen: Die stachelige Hülle mit der watteweichen Höhlung, zersprungen auf dem Kopfsteinpflaster. Ein staunender Blick in das Geäst, das die Frucht abwarf. Geäst gegen Himmelsblau. Baum, großer Baum. Und da wuchs auf dem Platz zwischen buckeligen Steinen Gras und die duftende Kamille mit kleinen grüngelben Köpfchen. Zwischen den Fingern zerrieben hielten wir sie uns unter die Nase. „Riech mal, das duftet, Kamille.“
In ihrer Prosa verbinden sich zuweilen elterliche Erzählungen mit eigenen Erinnerungen, vor allem in den Texten, die Lebenssituationen der Flüchtlinge einfangen. Es sind Erinnerungstexte, welche die Bremer Ortsgruppe der LOW unter der Leitung von Lohmann initiiert und zugleich herausgegeben hat. Auch Lohmanns druckfrisches Buch basiert auf Interviews mit Reimann. Nach ihrem Tod hatte er Zugang zu ihrem privaten Nachlass. Dort fand Lohmann auch bisher unveröffentlichte Texte, die im Buch abgedruckt sind.
Ein überraschender Fund war Reimanns Bericht über ihre Praktikumszeit an der „Lycker Webschule des Bundes deutscher Mädel“. Die 1939 gegründete und von Bertha Syttkus geleitet NS-Institution war bislang ein blinder Fleck auf der kulturellen Landkarte Ostpreußens. Mit seinem Exkurs zu der Lycker Webschule hat Lohmann diese Lücke geschlossen. Reimanns Bericht über ihre Zeit an der Webschule setzt auch ihr vielleicht bekanntestes Gedicht „Masurenteppich“ in einen neuen Kontext.
Lohmanns Buch über Reimann ist ein Glücksfall. Empathischer, kompetenter und unterhaltsamer kann man über diese ostpreußische Künstlerpersönlichkeit gar nicht informieren. In ihren Texten werden sich die Ostpreußen der Erlebnisgeneration wiederfinden. Aber auch jüngere Leser, die sich für die untergegangene Heimat und die deutsche Nachkriegsgeschichte interessieren, wird das Buch sehr bereichern. waren