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Die ARD wird 75 und gratuliert sich mit einer großen Jubiläumssendung selbst – Skandale? Natürlich Fehlanzeige!
Wer dabei war, hörte ihn förmlich rauschen, den Mantel der Geschichte. Zu Weihnachten 1952, also zwei Jahre nach Begin der Testphase im Jahr 1950, ging das Erste Deutsche Fernsehen auf Sendung. Zunächst noch in Schwarz-Weiß, die Mattscheibe in verschließbaren Schränken versteckt, die sich unauffällig in die Wohnzimmer fügten. Zur Premiere wurde Heiteres gesendet: „Eine nette Bescherung“ mit Peter Frankenfeld. Der Ein- und Ausschaltknopf musste per Hand gedrückt werden, denn Fernbedienungen gab es noch nicht.
Der Zusammenschluss von neun Landesrundfunkanstalten sollte Vielfalt und Ausgewogenheit garantieren, wollte sieben Jahre nach Kriegsende ein Bollwerk sein gegen einseitige Propaganda und gleichgeschaltete Medien. 75 Jahre später allerdings regen sich Zweifel: Ist ein aufgeblähter Apparat mit rund 23.000 Festangestellten wirklich nötig? Berichten die Journalisten der „Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland“ (ARD) wirklich neutral?
Bei der Jubelfeier wird Kritik selbstredend ausgeblendet. Kai Pflaume präsentiert am 5. April um 20.15 Uhr „75 Jahre ARD – die große Jubiläumsshow“, in der prominente Gäste auf ihre persönlichen TV-Hits zurückblicken. Klar, dass niemand die kleinen und großen Skandale erwähnt, die das Medium erschütterten: Als etwa die Intendantin des RBB ihren Sender zum eigenen Nutzen ausnahm wie eine Weihnachtsgans. Oder die NDR-Fernsehspielchefin unter dem Namen ihres Mannes Drehbücher einreichte und das zusätzliche Honorar einstrich. Oder der ehemalige Chef der Filmeinkaufsgesellschaft DEGETO seinen Produktionsrahmen maßlos überzog und prompt seinen Stuhl räumen musste. Stattdessen: Jubel und allseitiges Schulterklopfen.
Der smarte Nachrichtenmann Ingo Zamperoni erinnert sich, wie er als Kind frisch gebadet und im Schlafanzug bei seinen Großeltern „Zum Blauen Bock“, „EWG“ und „Am laufenden Band“ sehen durfte, auf dem Wohnzimmertisch ein Teller mit Schnittchen. Iris Berben wuchs mit der „Augsburger Puppenkiste“ auf, entwickelte Mitte der 70er Jahre ihre komödiantische Ader in „Zwei himmlische Töchter“ und zehn Jahre später in „Sketchup“ mit Diether Krebs.
Schnell erweist sich das neue Medium als Fenster zur Welt. Unvergessen die Bilder, als 1953 Elizabeth II. zur Königin gekrönt und Deutschland ein Jahr später in Bern als Fußballweltmeister wurde. Eine TV-Sternstunde war 1963 der Besuch des US-Präsidenten John F. Kennedy in der geteilten Hauptstadt. „Ich bin ein Berliner“, versprach er vor dem Schöneberger Rathaus, und ganz Deutschland wischte sich ergriffen die Augen. Vier Jahre später drückte Vizekanzler Willy Brandt auf der Internationalen Funkausstellung symbolisch den Knopf, der alles so schön bunt machte: Das Farbfernsehen war geboren. Gerade rechtzeitig, um live und in Farbe eine Sensation zu protokollieren. Am 20. Juli 1969 landete die Raumkapsel Apollo 11 auf dem Mond, die Fernseher dröhnten nachts bei sommerlicher Hitze und weit geöffneten Fenstern bis in die Straßen und Vorgärten hinaus, 600 Millionen Menschen weltweit verfolgten das Spektakel. Das Große neben dem Kleinen, das Relevante neben dem Banalen – genauso funktioniert das Füllhorn der Bilder und Töne bis heute. 1970 startete der erste „Tatort“ und legte die Spur für eine Lawine von Krimis, die heute einen Großteil des Programms dominieren, seit 1992 ergänzt durch den „Polizeiruf 110“, ein Relikt der ehemaligen DDR.
1972 startete mit „Die Sendung mit der Maus“ ein Dauerbrenner des Kinderprogramms, ein Jahr später ging die erste Talkshow „Je später der Abend“ mit Dietmar Schönherr auf Sendung. Ein Format, das sich die Fernsehmacher aus den USA abgeguckt hatten, wie vieles, was noch folgen wird. Was es mit dem englischen Wort „Talkshow“ auf sich hat, wird in der Premierensendung noch erklärt, heute quellen ungezählte Plauderrunden durch die Kanäle und bieten ihren Gästen die willkommene Gelegenheit, neue Bücher, Filme, CDs oder imagefördernde Ehrenämter anzupreisen. Eigentlich ist Werbung in den öffentlich-rechtlichen Anstalten limitiert und an Feiertagen sowie nach 20 Uhr ganz verboten, aber Schleichwerbung oder Produktplatzierung wird locker durchgewinkt.
Lange galt die Flimmerkiste als Lagerfeuer der Nation, das die Familien im heimischen Wohnzimmer zusammenführt und wärmt. Nichts verbindet so sehr wie die gemeinsame Erinnerung. Wisst ihr noch, damals? Als Nicole mit „Ein bisschen Frieden“ 1982 den „Grand Prix Eurovision“ gewann und Lena Meyer-Landrut 2010 mit „Satellite“ gleich nochmal?
Was im Fernsehen passiert, spiegelt auch gesellschaftliche Entwicklungen wider, etwa die Emanzipation der Frauen. Im Reich der grau melierten Welterklärer von Werner Höfer bis Tagesschausprecher Karl-Heinz Köpcke geschah 1976 Ungeheuerliches: Die gelernte Schauspielerin Dagmar Berghoff sprach die heilige „Tagesschau“. Damit nicht genug: 1998 startet die Moderatorin Sabine Christiansen eine politische Talkshow, die auch noch ihren Namen trägt. Für viele, vor allem männliche Kollegen, war es schiere Provokation. „Die Sendung mit der Maus“, ätzte der „Spiegel“. Es half alles nichts: Ein Jahr später moderierte Anne Will als erste Frau die „Sportschau“, seither gab es mehrere Intendantinnen, und die Programmdirektorin der ARD heißt Christine Strobl. Wer heute „Tagesschau“ oder „Tagesthemen“ einschaltet, könnte den Eindruck gewinnen, männliche Reporter seien in der Minderzahl. Eine Entwicklung, die die Entertainerin Barbara Schöneberger ausdrücklich begrüßt: „Früher durften Frauen Schecks und andere Dinge anreichen und sollten nur nett aussehen. Heute führen sie das große Wort.“
Die Zukunft des Mediums sehen die ARD-Granden vor allem in der Mediathek, wo rund um die Uhr Programme für jede Zielgruppe und jedes Alter online abgerufen werden können. Mit innovativen Serien wie „Babylon Berlin“ sollen vor allem die zusehends abtrünnigen jüngeren Zuschauer erreicht werden. Wenn nicht mehr am Lagerfeuer, dann wenigstens am Smartphone oder Laptop.