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Lungenkranke, Künstler und NS-Größen trafen sich einst in dem Schweizer Kurort. Eine Ausstellung in Nürnberg erzählt davon
Ohne die Zugewanderten wäre Davos wohl ein schlichtes schweizerisches Bergbauerndorf geblieben. Wie es zur mondänen Alpenmetropole aufstieg, kann man im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg nacherleben. Die mit 200 Exponaten ausgestattete Schau „Europa auf Kur“ präsentiert uns die eng mit dem internationalen Geschehen verknüpfte Davoser Kulturgeschichte von 1860 bis 1938.
Seinen glanzvollen Aufstieg verdankte Davos dem Elend der an Lungentuberkulose Erkrankten. Diese Volksseuche war im 19. Jahrhundert Todesursache Nummer eins. Man glaubte damals, es gäbe Orte, an denen die Tuberkulose aus klimatischen Gründen nicht auftrete. Zu einem solchen erklärte der nach der gescheiterten Märzrevolution 1849 in die Schweiz geflüchtete Alexander Spengler das Davoser Hochtal, in dem er als Landarzt praktizierte. Seine Höhenluftkur zielte auf die Kräftigung und Abhärtung der Patienten ab.
Die Abteilung „Spucknapf und Liegekur“ stellt uns Spenglers Kuren und andere historische Methoden der Tuberkulosebekämpfung vor. Eine ihrer Koryphäen war der Karlsruher Karl Turban, der sich als Assistent Robert Kochs in Berlin mit dem neuen Fachgebiet der Bakteriologie vertraut gemacht hatte. Koch wies 1882 das „Mycobacterium Tuberculosis“ als Erreger der Tuberkulose nach. Sie wird durch Einatmen infektiöser Aerosole von Mensch zu Mensch übertragen.
Seit Ende der 1940er Jahre wird die Tuberkulose mit Streptomycin und anderen Antibiotika erfolgreich behandelt. Zuvor wurde beharrlich Fieber gemessen und geröngt und gehörten die Liegekur sowie die zeitweilige Stilllegung eines Lungenflügels mit Hilfe des Pneumothoraxapparates zu den gängigen Therapiemaßnahmen. Auch in Thomas Manns 1924 veröffentlichtem Roman „Der Zauberberg“ spielen sie und die „Blauer Heinrich“ genannte Taschenspuckflasche tragende Rollen. Anregungen zu diesem weltberühmten Werk bezog Mann aus Davos, wo er 1912 seine Ehefrau Katia besuchte. Sie kurierte in einem Sanatorium einen Lungenspitzenkatarrh aus. Zu sehen sind Tage- und Notizbücher Thomas Manns. Als unbeteiligter Beobachter der Davoser Verhältnisse sprach er von „wunderlichen Milieueindrücken“.
Andere Schriftsteller und Künstler kamen als Patienten. Der aus Württemberg stammende Philipp Bauknecht ließ sich 1910 wegen seiner schweren Tuberkuloseerkrankung in Davos nieder – und stellte auf seinen Bildern die erschreckenden Seiten des Kurlebens dar. Sein gespenstischer Holzschnitt „Hochsaison in Davos“ (1917/18) lässt uns in die Etagen eines Sanatoriums spähen: Wir sehen einen Sternengucker, einen Selbstmörder, ausgelassene Tänzer und einen Patienten auf dem Sterbebett.
Den deutschen Expressionisten Ernst Ludwig Kirchner trieb die Angst vor dem Fronteinsatz im Ersten Weltkrieg ins Davoser Hochtal. Die Welt der Bergbauern gab ihm nach tiefer Lebenskrise neuen Halt und künstlerischen Elan, wie die gezeigten Graphiken und Gemälde beweisen. Kirchners Kunst konzentriert sich auf die angenehmen Seiten des Hochgebirgslebens bis hin zum Wintersport, dem er das Gemälde „Der Skispringer“ (1927) gewidmet hat. Es hängt in der Ausstellungsabteilung „Schlittelsport und Eisarena“. In ihr steht der vom Deutschen Klub Davos 1906 gestiftete „Kaiser-Wilhelm-II.-Becher“, um den alljährlich das „Kaiser-Wilhelm-II.-Bobrennen“ ausgetragen wurde. Der Kaiser hielt sich nie in Davos auf. Aber Kronprinz Friedrich Wilhelm und seine Gattin Cecilie waren wiederholt da, um Bobrennen zu fahren.
Mord und Selbstmord in Davos
In der Abteilung „Friedensinsel und Kriegsdämmerung“ spielt der in Schwerin geborene Wilhelm Gustloff eine unrühmliche Rolle. Wegen seines chronischen Lungenleidens ließ er sich 1917 in Davos nieder, wo er an dem vom Königsberger Strahlenexperten Carl Dorno gegründeten Physikalisch-Meteorologischen Observatorium arbeitete. Gustloff trat 1927 der NSDAP bei. Ab 1932 war er hauptamtlicher Landesgruppenleiter der NSDAP-Auslandsorganisation in der Schweiz. Er überzog die Eidgenossenschaft mit einem Netz von Stützpunkten und Ortsgruppen.
Deutsche, die damals in die Schweiz geflüchtet waren, ließ er bespitzeln. Am 4. Februar 1936 erschoss ihn der jüdische Student David Frankfurter in Davos. Traurige Berühmtheit erlangte das nach Gustloff benannte Kreuzfahrtschiff, das am 30. Januar 1945 von einem sowjetischen U-Boot in der Ostsee versenkt wurde. Beim größten Schiffsunglück aller Zeiten starben mehr als 9000 Menschen, die meisten waren ostpreußische Flüchtlinge.
Der Ausstellungsrundgang aber endet mit Kirchner. An der Wand hängt seine 1922 angefertigte Radierung eines einsamen Wanderers durch die Bergwelt. In der Vitrine davor liegt die Pistole, mit der Kirchner am 15. Juni 1938 Selbstmord beging. Im Jahr zuvor gehörte er zu den Künstlern, deren Schaffen die Nationalsozialisten als „entartet“ diffamierten. Nach Kirchners Selbstmord äußerte seine Lebensgefährtin Erna: „Meine Kraft reichte nicht, ihn von der unseligen Tat zurückzuhalten. Diese Diffamierung fraß an ihm, dazu kam, dass er das Gefühl hatte, im luftleeren Raum zu schaffen.“
• Bis 3. Oktober im Germanischen Nationalmuseum, Kartäusergasse 1, Nürnberg. Geöffnet Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, mittwochs bis 21 Uhr. Eintritt: 8 Euro. Die Museums-Webseite www.gnm.de informiert über Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen. Dort finden sich auch diverse Online-Angebote zur Sonderschau.
Siegfried Hermann am 29.07.21, 08:35 Uhr
Hier wurde einiges Interessant zusammen getragen. Schön.
Seit Davos "Luftkurort" der Schönen und Reichen geworden ist hat sich noch eine ganz spezielle Spezie angezogen gefühlt, wie die Motten das Licht.
Finster-Gestalten, Seelenlose und Minusseelen. Das wäre einen 2. Artikel wert!