27.07.2024

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Landeskunde

Letzte Zeugnisse des barocken Königsberg

Zur Geschichte zweier bis heute erhaltener Barockhäuser in der Königstraße

Wulf D. Wagner
14.09.2023

Man hielt in Königsberg nicht viel auf seine barocken Häuser. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts und vor allem im Bauboom der Gründerzeit fiel ein Haus nach dem anderen der Spitzhacke zum Opfer, und mehrgeschossige Wohn- und Geschäftshäuser eines hier selten anspruchsvolleren Historismus und Jugendstils wuchsen empor. Provinzialkonservator Richard Dethlefsen konnte noch in den 1920er Jahren fast nur von den neuesten Abrissen berichten, zu schützen war wenig.

Die einheitliche Schönheit Danziger Straßenzüge, die den Ruhm dieser Stadt als baugeschichtliches Juwel begründen, war in Königsberg schon lange vor dem britischen Bomenangriff 1944 nicht mehr vorhanden: Die Beischläge in der Kneiphöfischen Langgasse waren dem Verkehr ebenso geopfert worden, wie die giebligen Bürgerhäuschen vor dem Schloss einer Terrassenanlage weichen mussten. Und dann sanken auch das Schloss, alle alten Kirchen und die letzten mittelalterlichen Bürgerhäuser beim Bombenangriff in Trümmer und die Ruinen wurden nach 1945 abgeräumt. Dennoch blieben inmitten Kaliningrader Tristesse zwei Barockpalais – Königstraße 55 und 56 (heute uliza Frunse 13) – wie durch ein Wunder erhalten. Zusammen mit dem unter König Friedrich I. errichteten Waisenhaus sind sie heute die letzten Zeugnisse des barocken Königsberg.

Spektakuläre Archivfunde
Die Geschichte beider Häuser war bisher unbekannt. In verschiedenen Veröffentlichungen geistern widersprüchliche Baudaten und Erzählungen zu ihnen umher. Nun konnte Dank der sogenannten Königsberger Hausbücher im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz zu Berlin, in dem das bei Kriegsende gerettete Königsberger Staatsarchiv bewahrt wird, ihre Geschichte seit ihrer Erbauung im späten 17. Jahrhundert geklärt werden.

Beide Häuser lagen auf dem Gelände des herzoglich-kurfürstlichen Jägerhofes, dessen Bauten der Forst- und Jagdverwaltung des Preußenlandes dienten. Warum und wann sie von diesem abgetrennt worden waren, war schon 1687 nicht mehr bekannt. Bereits vor 1685 war die Königstraße 55 an Christoph Hildebrand von Nettelhorst gelangt, der sich damals entschloss, ein Haus zu errichten. Es wurde der heute als linke Haushälfte erhaltene, zweigeschossige, siebenachsige Bau mit einer eleganten Fassade mit ionischen Pilastern. Das ursprünglich steile Walmdach und die prächtig geschnitzte Treppe im Innern existieren heute nicht mehr.

Das Grundstück kam vor 1692 an die Familie von Götzen, dann an Landhofmeister Christoph Graf von Wallenrodt, nach dessen Tod 1711 an seinen Sohn, Hofgerichtsrat Graf Adam Christoph. In seiner Zeit wurde die Straße sozusagen zur Via Triumphalis Königsbergs, denn König Friedrich Wilhelm I. erwarb 1731 das nur ein paar Häuser weiter östlich, auf derselben Straßenseite liegende von Ostausche Palais, in dem später, bei seinen wenigen Aufenthalten in Königsberg, auch Friedrich der Große abstieg.

Graf Adam Christoph von Wallenrodts Erben einigten sich 1748, dass ihr ältester Bruder Johann Ernst Graf von Wallenrodt das Königsberger Palais für 10.000 Gulden von ihnen annahm. Nach seinem Tod 1783 wurde es mit allen darin befindlichen Tapeten an Philipp Carl von Borcke veräußert, der es wiederum 1798 für 27.000 Gulden an Carl Albrecht Baron von der Trenck abtrat. Aus dessen Nachlass wurde das Haus Königstraße 55 an Carl Friedrich Graf von der Schulenburg verkauft, von dem es 1813 mit zahlreichen Möbeln der jüdische Unternehmer Hirsch Pollack erwarb. Dieser gründete auf dem rückwärtigen Gartenland eine Zucker-Raffinerie mit modernen Fabrikgebäuden. Pollack verblieb das Haus nicht allein in den folgenden Jahrzehnten, sondern es gelang, noch das benachbarte Eulenburgsche Palais Königstraße 56 anzukaufen.

Diese Königstraße 56 war im späten 17. Jahrhundert aus dem Besitz der Witwe des Generals Johann Friedrich von Schlieben, Catharina geborene Gräfin Dönhoff, ihrem Mann in zweiter Ehe, Dietrich von Tettau, Herr auf Wicken, zugefallen. Dieser ließ ein älteres Gebäude abbrechen und gleich seinem Nachbarn zur Linken 1694/95 ein zweigeschossiges Haus mit Walmdach neu aufführen. Die barocke Fassade ist aufgrund der Veränderungen von 1794 nicht bekannt; auch hier befand sich im Inneren eine nun nicht mehr erhaltene recht eigentümliche, halbrunde Treppe unter einem Gewölbe.

Stadtsitz der Tettaus und Eulenburgs
Dietrich von Tettau, der 1719 zum Oberburggrafen aufstieg – also mit an der Spitze der ostpreußischen Provinzialverwaltung stand –, starb 1730. Das Grundstück fiel an seinen Bruder Minister Friedrich von Tettau, der wiederum laut Testament von 1742 bestimmte, dass die Witwe Oberburggräfin Catharina von Tettau „so lange als sie lebet, freye Wohnung in dem Hause“ haben sollte und ihr jährlich 4.500 Gulden zu ihrem Unterhalt aus den Wickenschen Gütern zu zahlen waren; nach ihrem Tod aber sollte das Haus mit den „Mobilien“ an den Erben seiner Güter, seinen Großneffen Ernst Dietrich von Tettau, gelangen.

Mit Ernst Dietrich von Tettau wurde 1752 erneut ein hoher Beamter Eigentümer dieses Hauses, denn er stieg 1753 zum Kanzler des Königreichs Preußen auf. Dreizehn Jahre blieb er im Amt und in der Königstraße, bis er 1766 ausgezeichnet durch „Menschenliebe und eine ungeheuchelte Frömmigkeit nach kurzer schmerzhafter Krankheit im 51sten Jahre“ starb.

Die Ernst Dietrich von Tettau beerbenden Geschwister entschlossen sich zur Teilung des großen Güterbesitzes. Dafür wurde der Nachlass geschätzt und dabei für das Palais Königstraße 56 ein Wert von 26.450 Gulden ausgemittelt. In der nur unter den Tettauschen Erben stattfindenden Versteigerung im September 1766 nahm Henriette Charlotte Baronin zu Eulenburg geborene von Tettau das Haus für sogar 28.500 Gulden an; sie wurde außerdem Herrin Wickens, das bis 1945 Eulenburgscher Besitz blieb.

1782 entschloss sich die mittlerweile verwitwete Baronin Henriette Charlotte, ihr Haus nicht etwa an ihren Sohn Ernst Christoph Baron zu Eulenburg, sondern an dessen Frau, ihre Schwiegertochter Hedwig geborene von der Groeben zu verkaufen. Die „Groebin“ bewahrte durch ihre große Kinderzahl die vor dem Erlöschen stehende Familie – alle heutigen Nachfahren aller Zweige der Eulenburgs gehen auf sie zurück –, und auch der Grafentitel kam mit dem Ehepaar Ernst Christoph und Hedwig bei der Huldigung 1786, als Friedrich Wilhelm II. ihnen diesen verlieh, an die Familie.

Seit dem Hauserwerb pendelten Eulenburgs mit ihren elf Kindern in der Kutsche oder zu Ross zwischen ihren Gütern und Königsberg hin und her. Vor allem zu den Bällen und Lustbarkeiten im Januar ging es in die Stadt. Die kleinen Jungs fanden diese aber im Vergleich zum Landleben recht langweilig, denn im Mittelpunkt ihres Lebens standen die Pferde; diese konnte die Familie aber auch in Königsberg halten, denn zum Haus gehörten – wie bei allen Grundstücken der Königstraße – noch Stallungen und große Gärten. Vieles wissen wir durch im Familienbesitz erhaltene Briefe der 1790er Jahre, die nicht nur ein Bild des herzlichen Umgangs zwischen Eltern und Kindern vermitteln, sondern neben manchem Tratsch und kleineren Ereignissen aus Stadt und Land auch gut unterrichtet über die großen Geschehnisse in Europa berichten.

Ab und an finden sich in Briefen Angaben zur Königstraße 56 und dem Haus des Großvaters Groeben in der Königstraße 45/46. Hierzu schrieb die Schwester Friederike (*1777) im Juli 1794 an ihren im Krieg gegen das revolutionäre Frankreich stehenden Bruder Wilhelm (*1778): „Das[s] der Großvater einen Flügel an seinem Hause baut, von zwey Etagen nach der Seite der Caserne, wird der Vater dir schon gesagt haben. Wenn du nach Königsberg kömst, so wirst du recht schöne Verschönerungen finden, auch bey uns, unser Haus bekömt große [Fenster-]Rauten und wird auch neu abgeputzt werden.“

Die Witwe Hedwig Gräfin Eulenburg übertrug nach und nach ihren umfangreichen Güterbesitz – die bis 1945 im Familienbesitz verbliebenen Güter Wicken, Prassen und Gallingen – an ihre ältesten Söhne, während das Königsberger Haus wohl erst bei ihrem Tod 1817 an den jüngsten, ohne Güterbesitz gebliebenen Sohn Friedrich Leopold (*1787) gelangte. Er hatte 1811 Amalie von Kleist (*1792) geheiratet, die ihm das Gut Perkuiken im Kreis Wehlau in die Ehe brachte. Nach dem Verlust desselben und dem Tod Amalies 1830 lebte Friedrich Leopold mit seinen Kindern in der Königstraße. Hier sorgte sich die Großmutter Eleonore von Ostau um die beiden Enkelsöhne, darunter den in diesem Haus 1815 geborenen, späteren preußischen Minister des Inneren Fritz Graf zu Eulenburg. Das Obergeschoss war hingegen an Friedrich Leopolds Schwester Emilie Hedwig und seinen Schwager den Kanzler Carl Ludwig August von Wegnern vermietet. Als Graf Friedrich Leopold 1845 starb, müssen sich die Erben vor 1850 entschlossen haben, das Haus an den Nachbarn Pollack zu verkaufen. Pollack vermietete es, und so wohnten hier noch 1852 Major Ludwig Graf zu Eulenburg, ein weiterer Sohn der Gräfin Hedwig, und weiterhin Wegnerns.

Königsbergs Untergang überlebt
Etwa im Herbst 1877 wurde die Königstraße 56 von dem Königsberger Landkreis „ganz besonders zur Unterbringung des Landrathsamts“ angekauft; „neben den nöthigen Bureauräumen sind in dem Hause noch Wohnungen zur Vermiethung an Private übrig, die auch vermiethet sind“. Unter denen, die ihre Wohnung in dem Haus nahmen, waren stets die Landräte, deren erster, Otto Carl Freiherr von Meerscheidt genannt von Hüllessem, als Gutsherr von Kuggen nahe Königsberg nicht sonderlich erfreut war, beständig in der Stadt wohnen zu müssen, und schließlich für die Landräte eine Zulassung des doppelten Wohnsitzes, also auch auf dem je eigenen Gut, erwirkte.

Noch manches Mal wechselten in den Häusern Königstraße 55 und 56 Eigentümer, Mieter und Teile der Nutzungen. Dem Provinzialkonservator gelang es, beide Palais unter Denkmalschutz zu stellen. Eine Luftaufnahme nach dem Bombenangriff von 1944 zeigt, dass sie noch mit Dach standen, während rundum nur noch ausgebrannte Ruinen lagen.

Heute befinden sich beide Häuser unter einem neuen gemeinsamen Dach, dienen als Verwaltungsgebäude für die Elektrizitätsversorgung der Oblast Kaliningrad und stehen klein als letzte Zeugnisse der einst prächtigen Königstraße zwischen zahlreichen Neubauten.

Dr. Wulf D. Wagner ist Architektur-historiker und Publizist. Zu seinen Arbeiten gehören eine zweibändige Geschichte des Königsberger Schlosses (Schnell & Steiner 2008 und 2011) sowie „Die Altertumsgesellschaft Prussia. Einblicke in ein Jahr-hundert Geschichtsverein, Archäologie und Museumswesen in Ostpreußen (1844–1945)“ (Husum 2019).
www.verlagsgruppe.de


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