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Liberalismus im Gefolge der Anderen

Kann die FDP in einer Koalition mit SPD und Grünen die eigenen Grundsätze behaupten? Oder beugt sie sich dem grün geprägten Zeitgeist? Die Geschichte der Partei stimmt wenig optimistisch. Der Zwischenruf eines liberalen Urgesteins

Fritz Goergen
14.10.2021

Ob es am Ende die „Ampel“ wird oder „Jamaika“, macht für den weiteren Gang der Dinge in Deutschland keinen nennenswerten Unterschied. Welche Koalitionsregierung nach der Pfeife des grünen Zeitgeist-Netzwerks aus Medien und NGOs tanzt, ändert an der falschen Richtung nichts.

Wenn die FDP des Christian Lindner die antimarktwirtschaftliche und staatsgläubige Politik der einen wie anderen Dreierkoalition unter beschönigenden PR-Floskeln des „Klimaschutzes“ brav mitmachen wird, folgt sie der nichtliberalen Tradition der FDP von Anfang an. Schon Theodor Heuss hatte 1948 als erster Vorsitzender der FDP darauf bestanden, dass diese das Wort „liberal“ nicht im Namen führt. Die letzte Partei, der er in der Weimarer Republik angehört hatte, hieß Deutsche Staatspartei. Manche Namen sind Programm.

Sünden der Vergangenheit
Die Rolle der FDP von Beginn der Bundesrepublik an war und blieb die, einer größeren Partei die Regierungsmehrheit zu sichern. Das Narrativ, die FDP habe zusammen mit der SPD die „neue Ostpolitik“ ermöglicht, hält der kritischen Überprüfung ebenso wenig stand wie die Erzählung vom „marktwirtschaftlichen Korrektiv“ in den Koalitionen mit SPD und CDU. Alle Weichenstellungen in der Wirtschafts-, Umwelt- und Sozialpolitik, in der Gesellschafts- und Bildungspolitik, in der Innen- und Rechtspolitik, in der Außen- und Sicherheitspolitik wurden direkt und indirekt von Union und SPD getroffen. Die FDP war immer nur dabei, bestimmend war sie nie.

Verhängnisvoll für die Partei ist das Wahlrecht. Die FDP selbst sorgte für die flächendeckende Einführung der Zwei-Stimmen-Wahl in den Bundesländern. Seit das Stimmensplitting bei der Bundestagswahl 1969 erstmals als Wahl der SPD-FDP-Koalition propagiert wurde, wandelte sich nicht nur das Bild der Bürger, sondern vor allem auch das Selbstverständnis der FDP in eine Partei der zweiten Wahl. Früher Ausdruck dieser Rolle als Partei der zweiten Wahl war die Parole des FDP-Vorsitzenden Erich Mende „Mit der CDU, aber ohne Adenauer“, mit der die FDP 1961 mit 12,8 Prozent ihr bestes Wahlergebnis in der Bonner Republik einfuhr. Dass Adenauer dann doch wieder mit Stimmen der FDP Kanzler wurde und erst zwei Jahre später an Ludwig Erhard übergab, begründete den Stempel der FDP als „Umfaller-Partei“.

Ein noch höheres Wahlergebnis holte die FDP mit 14,6 Prozent 2009 mit dem Ziel, die Große Koalition zu beenden und Rot-Rot-Grün zu verhindern, aber vor allem mit dem Versprechen von massiven Steuersenkungen. Das „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ als erstes großes Projekt der schwarz-gelben Regierung degenerierte jedoch in der öffentlichen Wirkung auf die Senkung der Mehrwertsteuer für Hotelübernachtungen – zusammen mit dem Bekanntwerden einer Millionenspende von Mövenpick an die FDP war der Sargnagel eingeschlagen. Bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai 2010 verlor die schwarz-gelbe Landesregierung ihre Mehrheit. Einen Tag danach cancelte Bundeskanzlerin Angela Merkel die Steuersenkungspläne, das zentrale Wahlversprechen der FDP. Bei der Bundestagswahl 2013 flog die FDP dann mit 4,8 Prozent aus dem Bundestag.

Parteivorsitzender Westerwelle hätte 2009 entweder Otto Solms zum Finanzminister machen oder dieses Amt selbst übernehmen müssen, statt den alten FDP-Fehler zu wiederholen, in das wählerunwirksame Amt des Außenministers einzutreten. Diese Tradition geht auf Walter Scheel zurück, der 1969 Außenminister bei Kanzler Willy Brandt wurde. Über Hans-Dietrich Genscher, der damals mit der Union koalieren wollte, hatte sich Scheel einfach hinweggesetzt, weil die CDU Scheel nicht das Außenministerium geben wollte. Alles andere ist sozialliberale Mär.

Ein heute kaum noch erinnerter FDP-Vordenker vergangener Tage ist Karl-Hermann Flach. Dieser trat als Bundesgeschäftsführer der FDP 1961 aus Protest gegen Mendes Umfallen zurück und wurde stellvertretender Chefredakteur der „Frankfurter Rundschau“. 1970 holte ihn Scheel zurück, Flach wählte als bis dahin unüblichen Titel „Generalsekretär der FDP“. Zuvor hatte er ein Büchlein geschrieben, das in FDP-Kreisen seiner Farbe wegen „Grüne Bibel“ genannt wurde. Der Titel: „Noch eine Chance für die Liberalen“.

Vergessene Gedankenspiele
Wer das journalistisch flott geschriebene Bändchen liest, findet zweierlei. Der aus Königsberg stammende Angehörige der LDPD der DDR, der in den Westen fliehen musste, plädiert wirtschaftspolitisch für eine Art „Dritten Weg“ zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Und er zerlegt die Bedeutung des Wortes „liberal“. Liberal sei zu einem Relativierungsbegriff verkommen, mit dem etwas als weniger schlimm gekennzeichnet wird, wie zum Beispiel der ungarische „Gulaschkommunismus“ oder die wegen scheinbarer Distanz zu Moskau „liberalen“ Regime von Ceausescu in Rumänien oder Tito in Jugoslawien.

Flach war schwer krank und starb schon 1973. In einem langen Nachmittagsgespräch erläuterte er mir damals seine strategische Vision: die FDP in „Sozialliberale Partei“ umzubenennen und dann in einer Langzeit-Koalition mit der CDU die SPD von Platz zwei zu verdrängen, sprich: die FDP zur moderneren SPD zu machen. Was Martin Bangemann und einige Jungdemokraten ins Freiburger Programm schrieben sowie manches aus der politischen Philosophie von Werner Maihofer fügt sich da nahtlos ein. Mit Letzterem stritt ich oft auf gepflegte Art, weil ich seiner Lieblingsformel eine andere entgegensetzte. Maihofers Motto im Konfliktfeld von Freiheit und Sicherheit lautete: „Im Zweifel für die Freiheit“. Leute wie Gerhart Baum und andere reihten sich da auch ein. Meine Gegenformel fand bei niemandem von ihnen Zustimmung: „Ohne Zweifel für die Freiheit“.

Der einzige echte Marktwirtschaftler auf den vorderen Rängen der FDP war Hans Friderichs, Bundesgeschäftsführer, Bundestagsabgeordneter, dann Bundeswirtschaftsminister. Otto Graf Lambsdorff nach ihm predigte sonntags Marktwirtschaft und machte mit seinem Wirtschaftsministerium die Woche über Staatsinterventionismus. So verhinderte Lambsdorff die grüne Keimzelle des Abfalltrennwahnsinns nicht, sondern begründete ihre staatsdirigistische Einführung als „Grüner Punkt“.

Im Dienste des Staates, nicht der Bürger
Dass die FDP auch in der Rechtspolitik keine liberale Partei ist, ergibt sich bereits daraus, dass sie sich nie für die Volkswahl von Anklägern und Richtern eingesetzt hat, was erst die Grundlage für eine unabhängige Justiz wäre. Schon die Worte „Staatsanwalt“ und „Rechtsstaat“ signalisieren, dass es keine unabhängige Justiz sein kann, wenn Staatsanwälte politischer Weisung unterstehen und Richter von Politikern eingesetzt werden und der Parteieneinfluss nicht nur bis ins Bundesverfassungsgericht reicht, sondern das oberste Gericht nach und nach selbst von Politikern mit Politikern besetzt wird.

Was künftig von der FDP bei „Ampel“ oder „Jamaika“ gegenüber grünen Wünschen zu erwarten ist, hat sie 2011 vorgeführt, als sie dem parteitaktisch motivierten Ausstieg Merkels aus der Atomenergie nach dem Tsunami in Fukushima keinerlei Widerstand entgegensetzte. Die angebliche Marktwirtschaftspartei versagte komplett und verhinderte nicht, dass Merkel ein Kernelement der Versorgungssicherheit des Landes mit Strom und Energie beseitigte, um einen Wahlsieg der Grünen in Baden-Württemberg zu verhindern; nicht begreifend, dass die politische Dilettantin das Gegenteil bewirken würde. Die FDP als Anwalt vernünftigen Wirtschaftens und damit des Wohlstands für alle (Ludwig Erhard) hat oft bewiesen, dass sie das niemals war, aber niemals dramatischer als 2011.

Jetzt allerdings bekommt die Partei von Lindner und Kubicki sowohl bei der „Ampel“ als auch bei „Jamaika“ die „Chance“, ihr Versagen von damals zu krönen durch die nur mit Worten verbrämte Mitwirkung bei allem, was die Grünen und ihre Antreiber in Medien und NGOs von ihnen an teils wirkungslosem, teils verheerend wirkendem und in jedem Fall sauteurem „Klimaschutz“ verlangen werden. In ihrem Übereifer, zu den „Guten“ zu gehören, wird die FDP zum Musterschüler der „Zitrus-Koalition“, zusammen mit den Grünen also und egal, ob nun plus SPD oder Union, die längst mit großem Tempo dem Abstieg der ehemaligen Volkspartei SPD folgt.

Ihre Erfolge bei den Bundestagswahlen 2017 und 2021 verdankt die FDP dem Antäuschen einer Opposition oder gar Alternative zu Union und SPD, die manchmal ein wenig nach AfD klang. Lindner und Kubicki spielten oft ganz geschickt das US-amerikanische Spiel „Good Cop – Bad Cop“ (Guter Bulle, böser Bulle). 2021 war das nicht mehr so erfolgreich wie 2017, sonst hätte die FDP bei diesem dramatischen Verlust der Union (minus neun Prozentpunkte) viel mehr dazu bekommen müssen als mickrige 0,8 Prozentpunkte.

Im Schatten der Grünen
Es ist unschwer vorherzusagen, dass die FDP bis zur nächsten Bundestagswahl hinter den Grünen bis zur Unkenntlichkeit verblassen wird. „Transformation der Industriegesellschaft hin zu einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft“ heißt das Etikett auf der grünen Wunderlampe. Drinnen in der alten, verrosteten Lampe steckt jedoch nur eine andere sozialistische Kommandowirtschaft, die wie alle vorhergehenden zum wirtschaftlichen Ruin führen muss.

Dafür, dass die FDP das verhindert oder auch nur verzögert oder abmildert, spricht nichts. Am Ende ist die FDP nur noch eine Partei, die durch ihr verbales Beharren auf ihrer Eigenständigkeit mit darüber hinwegtäuschen hilft, dass die Unterschiede zwischen CDU, SPD, Grünen und der FDP selbst gemessen an ihrem politischen Handeln so gering sind, dass sie fusionieren könnten. Den Namen für einen solchen Zusammenschluss könnten sie von Heuss übernehmen: Deutsche Staatspartei.

Aktuell beobachte ich mit einer Mischung aus Staunen und Wundern, wie viele FDP-Leute, die sich seit dem Jahr 2000 eher in die politische Schweigsamkeit zurückgezogen hatten, geradezu nostalgisch von einer Rückkehr der guten sozial-liberalen Zeiten von Brandt und Scheel in Gestalt der Ampel-Koalition schwärmen. Dass sie das Neue gegen Schwarz und Rot verkörpern, diese Saga von Grün und Gelb in Zitrus-Gestalt, klingt tatsächlich ähnlich romantisch wie das Maihofer-Bild der Wiedervereinigung von Bürgertum und Arbeiterschaft 1972.

Kein Anwalt der Freiheit
Doch Politik an und für sich, Politik im deutschen Parteienstaat noch viel mehr, wo die Parteien von großen Teilen in Staat und Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur Besitz ergriffen und inzwischen ihre Macht an Medien und NGOs abgegeben haben, ist keine romantische Veranstaltung, sondern knallharte Interessendurchsetzung. Freunde der Freiheit jedenfalls finden in der FDP seit jeher keinen Anwalt, bei den anderen Parteien ebenfalls nicht. Aber die haben das auch nie behauptet, sieht man von manchen Grünen in ihrer frühen Anfangsphase ab.

Rund um Deutschland herum, mehr im Osten als im Westen, aber vereinzelt auch dort, tut sich politisch und geistig in den Gesellschaften das eine oder andere. Von dort erwarte ich Anstöße, die ich in Deutschland nicht erkennen kann. Ein häufiger Spruch sagt, die Hoffnung stirbt zuletzt. Dem setze ich stets meinen entgegen: Die Hoffnung ist unsterblich.

• Dr. Fritz Goergen ist Publizist und Berater für Kommunikationsstrategien. 1975 bis 1979 war er stellvertretender, dann bis 1983 Bundesgeschäftsführer der FDP. Von 1982 bis 1991 war er Vorsitzender der Geschäftsführung der Friedrich-Naumann-Stiftung und bis 1995 deren Geschäftsführender Vorstand. Zu Beginn der 2000er Jahre war Goergen Strategieberater für Jürgen Möllemann und Guido Westerwelle, bis er 2002 aus der FDP austrat. Heute schreibt er unter anderem für „Tichys Einblick“.


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Kommentare

sitra achra am 20.10.21, 11:44 Uhr

Nun hat "Fiffi" Lindner durch seine Hinwendung zur Ampel endgültig seine FDP zur Blockflöte gemacht. Die Neobolschewisten von Rot und Grün dürfte es freuen, zumal sie in der FDP den idealen Prügelknaben im Gefolge haben, dem sie zur Not das eigene Versagen in die Schuhe schieben werden, wenn ihr Megaprojekt nicht so hinhaut, wie sie es medial gefeiert haben.
Ja, die FDP sei der Bremser, aber wir wollten ja doch den Fortschritt, den sie durch ihre Uneinsichtigkeit verhindert haben. Und zum Schluss landet diese einstmals liberale Partei auf dem Müll.

Tom Schroeder am 15.10.21, 16:22 Uhr

Na ja Her Goergen, so ganz negativ sehe ich das mit der FDP nicht, denn sie haben in der Kohl-Zeit für die eine oder andere gute Politik gesorgt. Ohne sie hätte die bräsige und behäbige CDU mitdem tapsigen Kohl-Ungeheuer die damals bleierne Zeit - von mir so in der 2. Hälfte der 16 Jahre so empfunden - noch unerträglicher gemacht. Bei der Regierung unter Schmidt, der Kanzlerlegende, bremsten sie auch manches mal die noch im Sozialismus der 20er u. 30er Jahre ideologisch gefangene SPD etwas ein - bis zu dem Wechsel zu Kohl - das war eigentlich unfein, aber Cleverle Genscher hatte Machtinstinkt und ahnte sicherlich bereits das drohende Ende Ende der Sozi-Liberalen Regierung bei der nächsten Wahl. Mit Merkel war die FDP ein Haufen Jung-Yuppies, die mal in Politik machten - Fipsi Roesler fiel da auf - aber Westerwelle war jetzt nicht so schlecht - gut, die Klientelpolitik mit Moevenpicksteuer usw. war unverschämt und dafür wurden sie auch lange vom Wähler ignoriert. Nun schauen wir mal: Die Leute machen die Politik und es ist weder Fipsi noch Westerwelle (RIP) noch da. Wenn sie :Nein" sagen, dann können die Grünen auch einpacken, also sind sie in den Verhandlungen zur Koalition schon stark. Wenn die Grünen "Nein" sagen, bleibt immer noch Jamaica oder eben nicht, wie 2017. Warten wir mal die Koalitionsvereinbarungen ab, wenn die heute veröffentlichten Positionen tatsächlich in einen Vertrag münden - so schlecht wirkt das erst mal nicht, also alles andere als halb-kommunistische Enteignungsphantasien oder Klimadiktatur - ok, die Ausgestaltung werden wir dann zu spüren bekommen, dann gebe ich Ihnen vielleicht auch wieder Recht. Ich liebe Meinungsjournalismus.

Chris Benthe am 14.10.21, 13:45 Uhr

Tja...."Die Hoffnung ist unsterblich." Wohl und wahr gesprochen vom Apostaten. Glänzender Artikel, der uns nochmals den Weg der FDP in den letzten Jahrzehnten vor Augen führt. Alles gut durchschaut und auch richtig eingeschätzt, was den zukünftigen Weg dieser Partei betrifft. Chapeau.

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