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Frisch auf zur inneren Einkehr – Was man entlang des Harzer Klosterwanderweges alles erleben kann
Die Orgelklänge der Marktkirche zu Goslar hallen noch nach, genauso wie die Worte des Pfarrers, der über den Segen der Stille predigte. Stille? Später vielleicht. Zunächst mal werden die Wanderschuhe geschnürt, Tee und Butterbrote im Rucksack versenkt, Pflaster und Sonnenschutz nicht zu vergessen: 116 Kilometer misst der Harzer Klosterwanderweg, der in diesem Jahr sein 20. Jubiläum feiert und in sieben Etappen von Goslar nach Halberstadt führt.
Acht Klöster entlang des Weges laden zur Einkehr, mehrere Kirchen zur Andacht, und wem die Knöchel schwellen und die Schuhe drücken, der darf sich auf Engelbänken ausruhen, deren Rücklehnen geschnitzten Flügeln ähneln. Das Gute: Der nördliche Harzrand ist weitgehend eben, es gibt kaum Steigungen, dafür gelegentliche Aussichten auf den fernen Brocken. Den ersten Abschnitt bis zum Kloster Wöltingerode will unsere kleine Gruppe heute unbedingt schaffen.
Also frisch drauflos gepilgert. Eine Teilnehmerin zückt an jeder zweiten Weggabelung ein Büchlein mit erbaulichen Texten, ein anderer bietet großzügig Traubenzucker an, der dritte zeigt stolz seine neu erstandenen Trecking-Stöcke, alle müssen sich erst einmal einüben ins gleichmäßige Gehen und vor allem ins Loslassen der Gedanken.
Dabei ist die erste Etappe gar nicht die schwerste, aber die 14 Kilometer haben es in sich. Der Blick über die abgeernteten Felder hängt sich an Wolkenfetzen auf, die Sonne scheint. Ob hier jemals Mönche pilgerten oder nur Händler von Kloster zu Kloster zogen, um ihre Waren gegen Klosterschätze einzutauschen? Wer weiß. Heute sind die einstigen Refugien keine weltabgeschiedenen Orte mehr, sondern haben sich den Besuchern geöffnet.
Darauf einen „Abtissin Marie“-Likör
Erster Stopp ist im Kloster Grauhof mit Blick in die barocke Klosterkirche. Die hiesige Orgel soll Organisten aus dem ganzen Land anlocken, wir lauschen zunächst auf das Knistern der Butterbrot-Papiere, denn Wandern macht hungrig. Das Dorf Immenrode ist die nächste Etappe auf unserer Tour. Wir ruhen uns auf Feldsteinen aus, nehmen dankend das Angebot knuspriger Vitalkekse an, und schon geht es weiter.
Der Weg nach Wöltingerode wird für geübte Wanderer wie für Einsteiger empfohlen, die längste und letzte Strecke führt 25 Kilometer von Quedlinburg nach Halberstadt – auf die freuen sich zwei sportliche Freunde aus Mainz, die ihr Heft mit Kloster-Stempeln füllen wollen. Die weniger Ehrgeizigen genießen den Schatten eines langen Waldpfades, der erstmals eine Ahnung davon gibt, wie allein und auf sich gestellt frühere Pilger unterwegs waren ohne Navigations-App und Handys, die bei schweren Fußblasen ein Taxi herbeitelefonieren könnten.
Endlich sehen wir die ersten Mauern aus der Feldmark auftauchen, Wöltingerode ist nah, und das ist auch gut so. Das ehemalige Benediktiner-Kloster wurde 2006 zu einem Hotel umgebaut, und entlang der Kreuzgänge warten luftige Zimmer auf müde Gäste. Wer hier übernachten darf, erinnert sich an das Lob der Stille, das der Pastor aus Goslar uns mit auf den Weg gab. Keine Musikbeschallung, keine lärmenden Barbesucher, keine aufheulenden Motoren, einfach nur Ruhe.
Aber Halt, vor dem Schlafengehen schnell noch ein Blick in die 1682 gegründete Brennerei mit den riesigen Eichenfässern. Prost auf die erste Etappe mit hochprozentigem Korn der Marke Aurum, darauf noch einen „Äbtissin Marie“-Likör oder eine „Berliner Sophie“ mit mildem Kümmel? Nun aber endgültig: Silentium!
Für die nächsten beiden Etappen bleiben die Wanderstiefel im Koffer: Das 1129 gegründete Zisterzienserkloster Walkenried ist vom Parkplatz aus auch auf Sneakern gut zu erreichen. Wie riesige Zähne ragen die Ruinen der verfallenen Kirche in die Höhe, eine Kulisse wie von Caspar David Friedrich gemalt. 1570 wurde die Klosterkirche wegen Baufälligkeit aufgegeben, Jahrhunderte später als Steinbruch verwendet. Fast jedes der Häuser der Umgebung, so heißt es, birgt einen Stein der Kirche im Mauerwerk. Das Kloster steht perfekt renoviert als Kleinod in der Landschaft. Drinnen flirrt das Sonnenlicht in dem doppelschiffigen Kreuzgang, der zum UNESCO-Welterbe zählt.
Huschten da nicht eben Mönche durch den Gang, erstaunlich klein und unbekümmert? Das Rätsel löst sich schnell: Im Kloster können Kinder in Workshops erfahren, wie die Welt der Mönche einst aussah. Sie dürfen in echten Mönchskutten durch die Gänge hüpfen, mit dem Federkiel schreiben und beim Kratzen über Papier staunen, dass es ein Leben vor dem Smartphone gab.
Stolpersteine vorm Kloster
Im Refektorium, dem früheren Speisesaal, wird derweil das traditionelle Harzer Kniesteressen angerichtet: Ein fetter Mettigel thront in der Mitte, umrandet von Harzer Käse, eingelegtem Gemüse und Sauerteigbrot, daneben ein Topf herzhafter Suppe. Dazu schmeckt ein Bier der Region.
Wer erlesen speisen will, fährt nach Bad Sachsa, ins „Hotel Romantischer Winkel“. Dort kreiert Ralph Hollokoi im Restaurant „Joseph's“ Kunst am Teller wie „Wildes Herz aus Wildschwein und Miso“ oder „Waldgeschichte aus Reh, Pflaume und Petersilienwurzel“. Von wegen, der Harz steht für einfache Genüsse: Hollokoi wurde kürzlich mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet.
Dritte Etappe: Das Kloster Brunshausen, neben der Roswithastadt Bad Gandersheim gelegen. Vor dem Eingang erinnern Stolpersteine an das dunkelste Kapitel des Klosters, als dort während des Zweiten Weltkriegs Kinder von Zwangsarbeiterinnen verwahrt wurden und oft schon im Säuglingsalter starben. Schmerzliches bergen die Mauern, die heute als Kulturzentrum genutzt werden. Aber eben auch die Erinnerung an Roswitha, die Stiftsfrau aus dem frühen Mittelalter, Deutschlands erste Dichterin. In Lateinischer Schrift verfasste die Kanonisse Lebensbeschreibungen heiliger Frauen und Männer, schrieb über die Taten Kaiser Ottos und die Gründung des Stiftes.
Dem Frauenbild im frühen Mittelalter zum Trotz entwickelte Roswitha lebhafte Dialoge und stellte mutige Frauen in den Vordergrund, die gefährliche Herausforderungen mit Mut und Klugheit meisterten. Bis heute wird jährlich der Roswitha-Preis vergeben, auch Nobelpreisträgerin Herta Müller ist stolze Trägerin.
Szenenwechsel in den Klosterhof, wo skurrile Skulpturen aus den Rabatten ragen und im Café der Kaffee duftet. Tief versinken die Gabeln in luftigen Pflaumenkuchenstücken, und im Hofladen warten köstliche Spezialitäten der Region. Lustwandeln ist eine schöne Alternative zum Pilgern – also hineinspaziert in den Obstgarten, wo sich die Äste unter reifen Äpfeln biegen. Bequeme Holzstühle laden zur Rast, in einem knallroten Spind stehen fein kuratierte Bücher zum Ausleihen auf Zeit, lediglich einige späte Wespen unterbrechen die Stille.
Die Freunde aus Mainz sind da längst schon wieder aufgebrochen, zurück auf den Kloster-Wanderweg. Über Wernigerode, Blankenburg, Thale und Quedlinburg bis nach Halberstadt wollen sie in den nächsten Tagen pilgern, den berühmten Domschatz bewundern, nahe dem Kloster Burchardi übernachten. Und natürlich ihr Stempelheft füllen.
www.harzer-klosterwanderweg.de und: www.kloster-walkenried.de