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Zum 150. Geburtstag

Lyonel Feiningers Sehnsucht

Berühmter Bauhaus-Meister begeisterte sich für Vor- und Hinterpommern

Martin Stolzenau
11.07.2021

Lyonel Feininger ist als deutsch-amerikanischer Maler, herausragender Meister des berühmten Bauhauses und Hauptrepräsentant der klassischen Moderne überliefert. Er erlangte als expressiver Kubist Weltgeltung. Besondere Bekanntheit erlangten seine prismatischen Bildstrukturen von den Kirchen des Weimarer Landes und seine 40 Halle-Arbeiten mit der Domdarstellung.

In der öffentlichen Wahrnehmung ist jedoch weniger bekannt, dass er über Jahrzehnte die meisten Sommer an der Ostsee verbrachte, sich für Rügen, Vorpommern und Hinterpommern begeisterte und eine Fülle an Bildmotiven von der idyllischen Landschaft, von Kirchen, Schlössern und anderen historischen Gebäuden erschloss. Das reicht vom Wasserschloss in Mellenthin auf Usedom über das Rathaus in Swinemünde bis zur Kirchenruine in Hoff, östlich von Kolberg. Allein auf Usedom schuf der Moderne-Künstler über 80 Gemälde. Viele spätere Bilder haben ihre Quelle in vorangegangenen Ostseeaufenthalten.

Wunsch der Eltern: Musikstudium Feininger wurde am 17. Juli 1871 in New York geboren. Der Vater gab dem musikalisch und zeichnerisch überaus begabten Sohn ab 1880 Geigen- sowie Kompositionsunterricht, orientierte ihn früh auf ein Musikstudium und war überaus enttäuscht, als Lyonel bei einem Hamburg-Besuch 1887 zunächst die Allgemeine Gewerbeschule der Hansestadt und danach die Akademie in Berlin absolvierte.

Er besuchte zwischendurch Lüttich sowie Brüssel, interessierte sich für mittelalterliche Städte sowie gotische Architektur, brachte 1890 erste „lustige Blätter“ in Zeitschriften unter und weilte 1891 erstmals im Sommer auf Rügen. Ab 1893 verdiente sich Feininger seinen Lebensunterhalt als Karikaturist und Illustrator. Er gehörte bald „zu den gefragtesten Karikaturisten Deutschlands“, heiratete 1900 Clara Fürst und verbrachte die Sommer mit seiner wachsenden Familie an der pommerschen Ostseeküste.

1905 lernte der Künstler Julia Berg kennen, die Tochter des Berliner Großkaufmanns Bernhard Lilienfeld, die im Herbst ihr Kunststudium in Weimar begann. Feininger besuchte seine neue Liebe in Weimar, erschloss sich das Weimarer Land zeichnerisch und verbrachte den Sommer 1906 mit Julia im Ostseebad Graal. Beide weilten auch in Paris, freuten sich über die Geburt des Sohnes Andreas und heirateten 1908 in London.

Viele Sommer an der Ostsee

Nach den Werken von Henri Matisse sowie Paul Cézanne beeindruckten Feininger nun die Bilder von William Turner. Zu diesen Anregungen kam der Einfluss seiner zweiten Frau, die ihn zur Ölmalerei bewog, und die Bekanntschaft mit Robert Delauny, Ernst Heckel sowie Karl Schmidt-Rottluff, was ab 1912 in erste prismatische Bildstrukturen und wachsende Architektur-Kompositionen einmündete. Aus dem Starkarikaturisten wurde ein eigenwilliger Ölmaler und bedeutender Holzschneider, der 1913 ein Atelier in Weimar bezog und fortan abwechselnd in der Klassikerstadt und in Berlin lebte. Doch die Sommer verbrachten Feiningers mit inzwischen drei Söhnen weiter an der Ostseeküste.

Nach Rügen gedieh Usedom zum nächsten Hauptanziehungspunkt. Der Künstler unternahm dabei mit seinen Zeichenutensilien ausgedehnte Radtouren, die ihn von Heringsdorf über Bansin und Sallenthin bis nach Benz führten. Andere Fahrten führten ihn nach Mellenthin, wo er das geschichtsträchtige Wasserschloss der erloschenen Adelsfamilie von Neuenkirchen und die Dorfkirche festhielt, und nach Swinemünde, wo ihn besonders das Rathaus als Motiv reizte. Einige Zeichnungen galten auch der Kleinstadt Ribnitz. Nach der Motivsammlung aus dem Weimarer Land gewinnen inzwischen auch die Bezüge zu Pommern für die Feininger-Forschung an Bedeutung. Heute gibt es auf Usedom einen Feininger-Radweg, der auf den Spuren des Künstlers dessen maßgebliche Motive berührt.

Zu neuen Ufern

Der Erste Weltkrieg brachte für den „feindlichen Ausländer“ eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit. Das Kriegsende sorgte dann aber für Aufbrüche zu neuen Ufern. Feininger wurde Mitglied der Novembergruppe, gehörte zu den Unterzeichnern des Programms des linken „Arbeitsrates für Kunst“ und wurde nach der Gründung des Bauhauses in Weimar von Walter Gropius zum Werkmeister berufen. Er schuf für das Bauhausmanifest den Titel-Holzschnitt „Ka- thedrale“, erhielt im Erfurter Anger-Museum seine erste Einzelausstellung in einem öffentlichen Museum und bewohnte mit seiner Familie in Weimar das repräsentative Haus Gutenbergstraße 16.

Für die Fortsetzung seiner Ostseeaufenthalte wählte er ab 1924 zwischen Mai und September für über elf Jahre das Fischerdorf Deep in Hinterpommern nahe Treptow an der Rega und Kolberg. Feininger fand hier ein neues Motivreservoir abseits der großen Seebäder, erschloss sich die alten Kleinstädte der Region wie Kolberg, Cammin, Treptow und Greifenberg und entwickelte eine besondere Liebe zu Hoff, dem jetzigen Trzesacz und Ortsteil von Rewahl, mit einer eindrucksvollen Ruine der spätgotischen Nikolaikirche. Sie war nach jahrhundertelangem Landverlust mit rund zwei Meter pro Jahr aufgegeben worden, nur noch als Restruine am oberen Kliffrand erhalten und ist bis heute eine Touristen-Attraktion.

Feininger schuf während seiner Aufenthalte hier über 30 Arbeiten zu dieser Kirchenruine. Dazu gesellten sich andere Bilder von den Nachbarorten und von Deep wie „Sonnenuntergang“, „Regamündung“, „West-Deep“, „Große Kutterklasse“ und „Dünen am Strand“. Von den Zeichnungen aus Hinterpommern zehrte er künstlerisch noch im Alter in den USA.

Feininger erreichte während der Deep-Aufenthalte eine „wachsende Vergeistigung der Motive“, galt nun als einer der „bedeutendsten zeitgenössischen Maler Deutschlands“ und wechselte 1925/26 als Professor mit dem Bauhaus nach Dessau. Er bezog eines der Meisterhäuser, erhielt in den Dessauer Jahren Besuch vom Gründungsdirektor des New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) und schuf bei vielen Aufenthalten in Halle (Saale) seine berühmte Halle-Serie.

Doch die Einflussnahme der damaligen Machthaber auf die „Moderne Kunst“ machte die Arbeit fast unmöglich. In der Folge wurden über 400 Bilder Feiningers als „entartet“ aus allen deutschen Museen entfernt. 1935 weilte er mit seiner Familie ein letztes Mal in Deep. 1936 nahm er eine Arbeitseinladung nach Kalifornien an. Es wurde ein Wechsel auf Dauer.

Immer Sehnsucht nach Pommern

Feininger wohnte dann in New York, erschloss sich die Wolkenkratzer und Straßenschluchten von Manhattan, erlebte 1944 mit einer großen Retrospektive im MoMA seinen amerikanischen Durchbruch und traf sich im Exil mit Gropius, bei dem er seinen 80. Geburtstag beging.

Zwischendurch entstanden immer wieder Bilder auf der Grundlage der mitgebrachten Ostsee-Skizzen. Die Sehnsucht nach Deep, dem Kirchenmotiv in Hoff und die Küstenlandschaft Pommerns begleiteten ihn im Alter. An Georg Muche schrieb er dazu: „... doch ist für uns hierzulande nirgends eine Ostsee zum Sommeraufenthalt beschieden. Wir sehnen uns oft maßlos nach unseren alten, monatelang ausgedehnten Erholungsreisen in Deep.“ Über dieses Fernweh starb der Künstler am 30. Januar 1956 in New York.


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