11.12.2024

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Politik

Macron „schlafwandelt“ Richtung Apokalypse

Mit seinen jüngsten Forderungen zum Ukrainekrieg bewegt sich Frankreichs Präsident auf den unheilvollen Pfaden des Sommers 1914

René Nehring
28.02.2024

Sollen allen Ernstes westliche Truppen in den Ukrainekrieg ziehen? Das zumindest forderte der französische Staatspräsident Macron Anfang der Woche auf einer Ukraine-Konferenz in Paris. Zwar widersprach Bundeskanzler Scholz seinem Kollegen umgehend und erteilte im gleichen Rahmen den Forderungen, das schlagkräftige deutsche „Taurus“-System in das östliche Kriegsgebiet zu liefern, eine deutliche Absage. Doch hat mit dem französischen Präsidenten erstmals der Führer eines großen NATO-Mitglieds die bisherige Position verlassen, sich bei aller Unterstützung für die Ukraine unter keinen Umständen selbst in den Krieg hineinziehen zu lassen.

Zur Begründung für diesen Kurswechsel erklärte Macron, Russland dürfe den Ukrainekrieg nicht gewinnen, andernfalls stehe „unser aller Sicherheit“ auf dem Spiel. Doch wirft diese Aussage umgehend die Frage auf, ob eine Konfrontation westlicher Soldaten in der Ukraine mit russischen Streitkräften die Sicherheit der NATO-Staaten erhöhen würde.

Und so weckt Macrons Forderung Erinnerungen an den Sommer 1914, als sich ein lokaler Konflikt auf dem Balkan in kurzer Zeit zu einem Flächenbrand entfachte und Europas Nationen nach Jahrzehnten des Friedens wie „Schlafwandler“ (Christopher Clark) in einen Krieg zogen, der das Antlitz unseres Kontinents für immer veränderte.

Damals wie heute glaubten die Führer aller Konfliktparteien, die Moral auf ihrer Seite zu haben. Weitaus gefährlicher ist die Parallele, dass damals eine neue Zeit mit ihren moderneren Waffen weitaus furchtbarere Zerstörungen brachte, als es die alte Welt auch nur geahnt hatte. Auch heute halten die Arsenale Kriegsgerät bereit, das alles bislang Gekannte in den Schatten stellt. Drohnen, Marschflugkörper und Hyperschallraketen können auch ohne atomare Sprengköpfe eine Zerstörungskraft entfachen, die unsere gewohnte Welt buchstäblich in Trümmern legen würde.

Die Verantwortlichen unserer Tage sind also gut beraten, abzuwägen, ob sie Schlafwandlern wie Macron folgen – oder nicht doch den Weg der Suche nach einem politischen Ausweg gehen wollen. In jedem Fall sollten sie sich einige entscheidende Fragen vor Augen führen:

Eine der dringlichsten ist die, welchen Einfluss westliche Truppen auf das Kriegsgeschehen eigentlich hätten. Könnten die russischen Streitkräfte überhaupt besiegt werden? Schließlich verfügt Russland nicht nur über Atomwaffen, sondern auch über eine auf dem Schlachtfeld erfahrene Armee sowie über eine produktive Kriegswirtschaft, während die westlichen Nationen Mühe haben, die der Ukraine versprochene Munition zu liefern.

Hinzu kommt die Frage, welche Truppen Macron eigentlich an die Ostfront schicken will. Denn trotz der hinlänglich bekannten prekären Lage der Bundeswehr stehen die deutschen Streitkräfte im Vergleich zu ihren europäischen Bündnispartnern noch immer glänzend da.

Nicht zuletzt stellt sich die Frage nach dem Geld: Es ist derzeit nicht erkennbar, wie die seit Monaten von der republikanischen Opposition blockierten US-Militärhilfen in Höhe von 60 Milliarden Dollar ersetzt werden könnten. Welche Bedeutung dieser Betrag hat, zeigen Daten des Portals „statista.com“, nach denen der ukrainische Militäretat für das laufende Jahr bei nunmehr 42 Milliarden US-Dollar liegt, während der russische umgerechnet 109 Milliarden Dollar umfasst.

Frankreich selbst hat übrigens seinen Wehretat im vergangenen Jahr deutlich aufgestockt, sodass dieser von 2024 bis 2030 Ausgaben in Höhe von 413 Milliarden Euro vorsieht – doch sind dies pro Jahr auch nur 59 Milliarden Euro. Mit anderen Worten: Macron erwägt die Beteiligung an einem Krieg, für den sein eigenes Land nicht gewappnet wäre.

Kein Ende ohne politische Lösung
Fakt ist: Kriege haben immer eine politische Ursache – und können deshalb auch nur mit politischen Lösungen beendet werden. Weshalb es höchste Zeit ist, die gedanklichen Anstrengungen auf die Suche nach einer politischen Lösung des Ukrainekriegs zu richten. Seit dem Stocken der ersten russischen Offensive im Frühjahr 2022 hat diese Zeitung in diversen Beiträgen – vor allem in Interviews mit General a.D. Harald Kujat – in diese Richtung argumentiert. Seitdem hat sich nichts zugunsten der Ukraine verändert. Im Gegenteil befinden sich die Russen seit Wochen auf dem Vormarsch (was Kujat ebenfalls bereits im vergangenen Herbst prognostiziert hatte).

Als Argument gegen eine politische Lösung wird in der Regel erwidert, dass Russland gar nicht dazu bereit wäre. In der Tat hat Präsident Putin wiederholt unerfüllbare Vorbedingungen wie die Abdankung der Kiewer Regierung und die Anerkennung der Annexion von vier ukrainischen Verwaltungsgebieten genannt. Doch auch die Ukraine hat mit der Forderung nach einem vorherigen russischen Abzug aus allen besetzten Gebieten Bedingungen genannt, die Russland kaum akzeptieren wird. Das alles ändert jedoch nichts daran, dass es zu einer politischen Lösung keine Alternative gibt. Und nebenbei: Dass beide Kriegsparteien wiederholt Gefangene ausgetauscht haben, belegt, dass es längst belastbare Gesprächskanäle zwischen ihnen gibt.

Freilich dürfte, da schwer vorstellbar ist, dass Russland die annektierten Gebiete wieder herausgibt, ein Verhandlungsfrieden für die Ukraine schmerzhafte Gebietsverluste bedeuten. Allerdings besteht beim derzeitigen Kriegsverlauf die hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Verluste bei einem langen Fortgang der Kämpfe ungleich höher ausfallen werden. Welches Opfer die Ukrainer erbringen wollen, können nur sie selbst entscheiden.

Viel Zeit bleibt allerdings nicht. General Kujat erinnerte unlängst im Rahmen eines Vortrags, angesprochen auf eine mögliche Korea-Lösung für die Ukraine, daran, dass die Verhandlungen für den Waffenstillstand in Korea rund zwei Jahre dauerten. So viel Zeit, so Kujat, hat die Ukraine sehr wahrscheinlich nicht mehr.


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Kommentare

Peter M3 am 28.02.24, 21:52 Uhr

Die kürzlich geschlossenen bilateralen Beistandsab-
kommen u.a. zwischen DE und UA sowie FR und UA,
untermauern die Einschätzung von Thomas Röper
(anti-spiegel), wonach EU-Staaten in den Krieg noch
aktiver eingreifen könnten, ohne dass der NATO-
Bündnisfall ausgerufen wird.

Betreffen würde das z.B. den Einsatz von F16, die
von der UA aus gar nicht starten könnten, selbst
wenn sie Piloten hätten. Heißt, die Jets starten
womöglich von RO oder PL aus. Die Flugplätze
dieser Staaten würden somit zur russ. Zielscheibe
werden.

Nachdem die USA die NATO raushalten möchte,
wäre das dann "EU-Privatvergnügen"! Wenn das
keine Aussichten sind?

Ottfried Wallau am 28.02.24, 20:16 Uhr

Der Beitrag von René Nehring bringt die Gefahren einer weiteren Eskalation des Konflikts um die Ukraine wieder gewohnt sachlich und klar auf den Punkt. - Der Vergleich mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs ist wohl in der Tat sehr naheliegend. Schon 2014 zog Altkanzler Helmut Schmidt diesen Vergleich mit Blick auf den Ukrainekonflikt: sein Beitrag in der ZEIT vom 25. September 2014 hatte die Überschrift: „Wir Schlafwandler“. Sehen Politik & Medien heute nur den „Splitter“ im Auge des Präsidenten Russlands, konnte HS schon damals sagen, dass ALLE (!) Fehler gemacht haben & eben darum auch alle nachgeben müssten: die Ukraine, die Europäische Union, die Nato und Russland. Warum aber möchte man nicht auf Helmut Schmidt oder Harald Kujat hören? - Ist es das schlechte Gewissen?

Tim Schwatlo am 28.02.24, 19:02 Uhr

Man sollte bei diesem Konflikt auch die Vorgeschichte kennen. Übrigens, ich bin weder für noch gegen Russland oder die Ukraine. Diejenigen, die jetzt kopflos irgendwelche Einsätze der Nato oder EU in der Ukraine fordern, werden sich doch hoffentlich freiwillig melden, oder? Oft sind es Menschen, die Ü60 sind, die gerne mal Kriegseinsätze mit eigenen Soldaten haben wollen. Doch auch diesen Menschen sei gesagt, die Raketen können überall einschlagen.

Wilhelm Gutekunst am 28.02.24, 16:57 Uhr

Kaum anzunehmen, dass Macrönchen das so ganz eigenmächtig rausposaunt hat. Vermutlich sollte mal einer die Reaktion der Russen antesten. Wie dem auch sei: Bemerkenswert ist, dass von nirgendwo aus dem Westen irtendein Bemühen um Waffenstillstand und Frieden kommt, zumindest nicht von den Blockparteien hierzulande. Sie wollten und wollen den Krieg! Das schlimme Bluten geht also weiter ... und sie werden es noch weiter treiben, wenn sie davon ausgehen können, dass die Russen nicht heftig reagieren, wenn westliche Truppen teilnehmen. Die Verlockungen, ein geschwächtes Russland (die Ukraine sowieso) aussaugen zu können, ist halt groß. Dumm nur, dass Russland rote Linien definiert hat und bei Überschreitung sehr "intensiv" reagieren wird. Schritte in Richtung Frieden wären jetzt angesagt, nicht ständiges Eskalationsgeschwurbel. Unser Kinder sollen ja in Europa eine Zukunft haben und nicht dem nuklearen Winter entfliehen müssen ... wenn das dann überhaupt möglich ist.

Gregor Scharf am 28.02.24, 16:38 Uhr

Das ist kein Schlafwandeln, sondern Kalkül. Nicht ausgeschlossen, dass er sich zuvor mit Moskau abgestimmt hat. Für die russische Propaganda kommt die Aussage vor den Präsidentschaftswahlen gerade recht. Und in der Bevölkerung wächst die Zustimmung für den Krieg. Noch ein richtiger Sieg und daraus wird Kriegsbegeisterung und jeder will dabei sein, wenn es Richtung Berlin geht.
Auf die Reaktion Chinas kann man ebenfalls gespannt sein, wenn NATO-Truppen in der Ukraine herumstolpern.

sitra achra am 28.02.24, 12:30 Uhr

Summa summarum: man hat die Erfahrung gemacht, daß eine Appeasementpolitik dazu führt, daß der Aggressor erst recht seinen Kurs fortsetzt. Wer Putin ermutigt, sein Unwesen weiterzutreiben, wird ihn bald vor der Haustür stehen haben. Macron scheint der einzige europäische Politiker zu sein, der noch einen Arsch in der Hose hat.
Allerdings verfügt er im Gegensatz zu Deutschland über ein Atomwaffenarsenal.
Der Iwan würde es nicht wagen, uns atomar zu vernichten, weil er dann nämlich sein wunderschönes Imperium zerstören würde. So dämlich ist nicht einmal ein Medwedew.
Und so gilt für uns der Leitspruch: nam tua res agitur, paries cum proximus ardet. Wenn beim Nachbarn die Hütte brennt, muss man eingreifen!
Vive la France!

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