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Westfälischer Friede

Mahnende Friedensstadt

Steckenpferdreiter und Städtebotschafter – In Osnabrück ist der Appell nach Verständigung eine historische Verpflichtung

Helga Schnehagen
08.11.2022

Auf den ersten Blick fasziniert Osnabrücks Altstadt allein durch ihr quirliges Flair, die große Zahl an Fachgeschäften, die hier nicht von Ketten dominiert werden, die trotz Corona-Nachwirkungen florierende Gastronomie, die zur Vorbestellung zwingt, und die Freundlichkeit des Personals. Von Leerständen keine Spur. Osnabrücks gelungene Sanierungspolitik hat das historische Zentrum für Einwohner wie Besucher zu einem nicht nur attraktiven, sondern auch unübersehbar beliebten Aufenthaltsort gemacht.

Doch schon beim zweiten Blick kann man dem Kernthema der viertgrößten Stadt in Niedersachsen mit dem Beinamen „Friedensstadt“ nicht entgehen. Das rund 160.000 Einwohner zählende Osnabrück hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Friedens- und Toleranzgedanken auf besondere, zum Teil einzigartige Weise und mit verschiedenen Institutionen, Tagungen und Preisen zu feiern, zu fördern und zu erforschen.

Gerade rund um den 25. Oktober, den Osnabrücker Friedenstag, inszeniert sie diese Haltung jedes Jahr mit einer Vielzahl städtisch, aber auch bürgerschaftlich organisierter Veranstaltungen. Neben Diskussionen, Vorträgen, Lesungen und Theateraufführungen oder dem Konzert „Musica pro Pace“ erfüllen vor allem das Osnabrücker Steckenpferdreiten und der ökumenische Gottesdienst den Friedenstag mit Leben.

Eine Brezel vom Bürgermeister

Am 25. Oktober 1648 war von Osnabrücks Rathaustreppe aus der Westfälische Frieden verkündet worden, der den Dreißigjährigen Krieg nicht mit Gewalt, sondern mit Verhandlungen beendete – für die Stadt Osnabrück und ihre Bürgerschaft ein bis heute gültiges historisches Vermächtnis.

Schon damals wurde speziell für Osnabrück eine in Deutschland einzigartige Friedenslösung gefunden. Fortan wechselten sich katholische und evangelische Bischöfe im Amt ab. Bis zur Säkularisation und Aufhebung des Hochstifts Ende 1802 saßen drei katholische und drei evangelische Fürstbischöfe auf dem Bischofsstuhl. Am Domhof versinnbildlichen zwei unterschiedlich geformte, aber gleich schwere Metallplatten aus Kupfer und Stahl, die sich die Waage halten, den Gedanken „Toleranz, Gleiches Gewicht – Gleichgewicht“ auf moderne Weise.

An der Katharinenkirche erinnert der Steckenpferdreiter-Brunnen weniger ab­strakt an das gleichnamige Kinderfest. Erstmals 1948, seit 1953 regelmäßig, ziehen an einem Tag um den 25. Oktober herum – je nach Schulferien – bis zu 1400 Viertklässler mit selbst gebasteltem Steckenpferd und buntem Reiterhut durch die Innenstadt zum Marktplatz, um dort über die Rathaustreppe zu reiten und vom Oberbürgermeister eine süße Brezel in Empfang zu nehmen. Dieses Volksfest der besonderen Art ist für die meisten nicht nur ein erstes, sondern oft auch ein prägendes Erlebnis im Zeichen des Friedens. Als herausragende Beispiele europäischer Friedenskultur wurde den Rathäusern von Münster und Osnabrück – in beiden wurde der Westfälische Friede jahrelang verhandelt – 2015 das Europäische Kulturerbe-Siegel verliehen.

Remarque ist allgegenwärtig

Das Rathaus ist Dreh- und Angelpunkt geblieben. Schon 1964 hatte Osnabrück eine für Deutschland einmalige Einrichtung angeregt. Nach Abschluss der Partnerschaftsverträge mit Haarlem und Angers beschlossen alle drei Städte, innerhalb ihrer Stadtverwaltung eine bezahlte Stelle für junge Leute aus den jeweiligen Partnerstädten einzurichten. Inzwischen haben fast 300 Städtebotschafter jeweils für ein Jahr mitgewirkt, die Beziehungen zu fördern und zu vertiefen. Unter Osnabrücks elf Freundschafts- und Partnerstädten sind derzeit Twer (Russland), Haarlem (Niederlande), Angers (Frankreich) und Çanakkale (Türkei) im Rathaus mit Botschaftern vertreten.

Hauptattraktion des historischen Rathauses ist zweifellos der Friedenssaal, in dem die Delegierten einst tagten. Nur eine Treppe höher fällt der Blick sogleich auf die lange Liste der Preisträger des Erich-Maria-Remarque-Friedenspreises, die sich mit Themen des „Inneren und äußeren Friedens“ auseinandergesetzt haben. Seit 1991 wird er von der Stadt in der Regel alle zwei Jahre verliehen. Jüngster Preisträger ist der kenianische Schriftsteller und Kulturwissenschaftler Ngugi wa Thiong'o.

Als die Preußen kamen

Erich Maria Remarque wurde 1898 in Osnabrück geboren. In der ehemaligen Löwenapotheke gleich neben dem Rathaus betreiben Stadt und Universität das Erich-Remarque-Friedenszentrum. Eine Dauerausstellung informiert detailliert über Leben und Werk des weltberühmten Antikriegs-Schriftstellers. Erwartungsgemäß dominant ist sein Roman „Im Westen nichts Neues“, der schon ein Jahr nach Erscheinen 1930 verfilmt wurde. Die jüngste preisverdächtige Verfilmung kam Ende September in die deutschen Kinos.

Einem weiteren Sohn der Stadt, dem jüdischen Maler Felix Nussbaum, der 1944 in Auschwitz starb, setzt das von Daniel Libeskind entworfene Museum seit 1998 ein Denkmal. Die Bauskulptur versinnbildlicht durch Form und Material Nussbaums Schicksalswege, wobei besonders der scheinbar ausweglose langgestreckte fensterlose Gang aus Sichtbeton seine tragische Wirkung nicht verfehlt. Das Felix-Nussbaum-Haus ist Teil des Museumsquartiers, in dem auch das Kulturgeschichtliche Museum eine zeitgemäße Präsentation gefunden hat.

In der stadtgeschichtlichen Abteilung fällt die Vitrine mit einer Pickelhaube ins Auge. Dazu ist zu lesen: „Nach dem Sieg Preußens über die hannoverschen Truppen im deutschen Krieg endet mit dem Annexionspatent am 3. Oktober 1866 die Selbständigkeit des Königreichs Hannover. Bürgermeister Johannes Miquel setzt sich dafür ein, dass Osnabrück Teil der preußischen Provinz Hannover wird. Die Zahl der in der Stadt stationierten Soldaten, die häufig privat einquartiert sind, vervierfacht sich gegenüber der hannoverschen Zeit. Die preußischen Militärhelme sind nun auch in Osnabrück gegenwärtig.“

• friedensstadt.osnabrueck.de


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