05.12.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Eine Beleidigung nimmt Fahrt auf: Graffito an einer Münchener S-Bahn
Foto: pa/Jens NieringEine Beleidigung nimmt Fahrt auf: Graffito an einer Münchener S-Bahn

Analyse

Majestät ist beleidigt

Robert Mühlbauer
04.12.2024

In den vergangenen Wochen kam, angestoßen durch die „Schwachkopf-Affäre“, ans Licht der Öffentlichkeit, wie leicht deutsche Politiker zu beleidigen sind. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck schickte die Staatsanwaltschaft los, weil ein Rentner in Franken ihn im Internet mit einer Shampoo-Werbepersiflage als „Schwachkopf Professional“ bezeichnet hatte. Um sechs Uhr morgens klingelte die Polizei am Haus des Rentners und konfiszierte digitale Endgeräte.

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz ist offenbar mimosenhaft empfindlich. Einem Mann, der in einer Telegram-Chatgruppe zu Scholz die Worte „Was ein Idiot“ geschrieben hatte, wurde ein Strafbefehl über 1200 Euro zugeschickt. Die Beleidigung würde „das Wirken des Herrn Olaf Scholz als Bundeskanzler erheblich beeinträchtigen“, seine Lauterkeit infrage stellen und „sein Handeln beeinflussen“, schrieb die Staatsanwaltschaft. Eine kurze flapsige Bemerkung in einer Online-Gruppe soll „das Wirken des Bundeskanzlers erheblich beeinträchtigen“?

Es klingt absurd – folgt aber der Logik des Paragraf 188 des Strafgesetzbuchs (StGB). Während der Corona-Zeit hat die damalige Große Koalition ein neues Sonderrecht eingeführt, das Politikerbeleidigung extra schwer ahndet. Der Paragraf 188 sieht nun bis zu drei Jahre Gefängnisstrafe oder Geldstrafe vor. Die Strafverfolgungsbehörden ermitteln „von Amts wegen“ – nicht nur auf Antrag des betroffenen Politikers. Zahlreiche Staatsanwaltschaften sind nun damit beschäftigt, das Internet nach irgendwelchen mehr oder weniger gravierenden Beleidigungen zu durchforsten.

Die Zahl der Verfahren hat drastisch zugenommen. Wie die Wochenzeitung „Junge Freiheit“ durch Anfragen bei den Länderjustizministerien recherchierte, haben Politiker seit 2021 weit mehr als 6000 Strafanzeigen gestellt. Anzeigenkönig ist Robert Habeck mit mehr als 800 Strafanträgen. Auch SPD-, FDP- und CDU-Politiker stellen fleißig Strafanträge. Jede Anzeige bürden den ohnehin stark überlasteten Justiz- und Polizeibehörden zusätzliche Arbeit auf.

Keine Frage: Es gibt – gerade im Internet – krasse Beleidigungen und Bedrohungen, die geahndet werden müssen. Aber „Schwachkopf“ oder „Idiot“ sind wohl am untersten Rand der strafbaren Ausdrücke. Die Klagewelle gegen Bürger dient hier nur der Einschüchterung.

Und nun will die SPD-Justizministerin von Niedersachsen den Paragrafen 188 StGB auch noch verschärfen beziehungsweise die Hürde für die Strafverfolgung senken. Die bisherige Bedingung, dass „das öffentliche Wirken“ des Politikers „erheblich erschwert“ wurde, soll wegfallen. Das schafft eine reine Zweiklassen-Justiz: Beleidigungen gegen Politiker wären per se eine andere Kategorie als Beleidigungen gegen „normale“ Bürger.

Nicht wenige Verfassungsrechtler hielten ein solches Sonderrecht für grundgesetzwidrig. Denn ein Kernsatz des Rechtsstaates lautet, dass vor dem Recht alle Bürger gleich sind. Sondergesetze für Politiker erinnern fatal an Strafen wegen „Majestätsbeleidigung“, die in vordemokratischen Zeiten üblich waren.


Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie die PAZ gern mit einer

Anerkennungszahlung


Kommentar hinzufügen

Captcha Image

*Pflichtfelder

Da Kommentare manuell freigeschaltet werden müssen, erscheint Ihr Kommentar möglicherweise erst am folgenden Werktag. Sollte der Kommentar nach längerer Zeit nicht erscheinen, laden Sie bitte in Ihrem Browser diese Seite neu!

powered by webEdition CMS