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Am 1. Juli übernahm Ungarn die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union. Das zuvor verkündete Motto erinnert nicht zufällig an den Slogan eines ehemaligen US-Präsidenten. Das Ziel ist eine größere Souveränität unseres Kontinents
Am 18. Juni 2024 wurden in Budapest durch den ungarischen EU-Minister János Bóka das Motto und das Programm der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft vom 1. Juli bis 31. Dezember 2024 offiziell vorgestellt. Der Minister betonte, dass das Motto auch symbolisieren solle, dass die Europäer gemeinsam stärker seien als jeweils allein. Er fügte hinzu, dass Europa fähig sein könne, ein eigenständiger globaler Akteur zu werden und seine Interessen auf internationaler Bühne wirkungsmächtig zu vertreten.
Das Motto, angelehnt an den Wahl-Slogan von Donald Trump im Jahr 2016, wurde von Ministerpräsident Viktor Orbán bereits Anfang März anlässlich seines Besuches bei Trump veröffentlicht – allerdings in einem anderen Zusammenhang. Nicht nur Eingeweihte gehen davon aus, dass zwischen dem Motto „Make America Great Again“ (MAGA) und „Make Europe Great Again“ (MEGA) durchaus ein sinnhafter Zusammenhang bestehen könnte. Anders als viele Kritiker verlautbaren, ist Ungarn nicht an einer Schwächung der EU interessiert, sondern ganz im Gegenteil an deren Stärkung. Diese muss aber in einem geopolitischen Kontext erfolgen, in dem die Europäer ihren strategischen Handlungsrahmen erkennen, artikulieren und international mit Selbstbewusstsein agieren können, so der ungarische Standpunkt.
Aktuelle Herausforderungen
Europa werde, so Bóka, derzeit „durch den Krieg in unserer Nachbarschaft, das Abdriften hinter unseren globalen Konkurrenten, die fragliche sicherheitspolitische Lage, die illegale Migration, die Naturkatastrophen, die Folgen des Klimawandels und die demographische Situation gleichermaßen vor gemeinsame Herausforderungen gestellt“.
Darüber hinaus gelte es, den institutionellen Zusammenhang erfolgreich zu gestalten. Die Präsidentschaft Ungarns müsse dem Frieden und der Sicherheit Europas dienen. Operativ bedeutet dies, dass Ungarn etwa 1500 Arbeitsgruppen des Rats, 37 formale Ratssitzungen in Brüssel und Luxemburg sowie 230 Veranstaltungen der EU-Ratspräsidentschaft in Ungarn durchführen wird. Unter den Sitzungen im Land der Präsidentschaft soll es 16 informelle Ratssitzungen geben, eine informelle Sitzung des Europäischen Rates sowie ein Spitzentreffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft.
Bereits in der ersten Jahreshälfte 2011 hatte Ungarn die EU-Ratspräsidentschaft inne. Damals wurden wichtige Entscheidungen wie die Aufnahme Kroatiens in die Union, die europaweite Roma-Strategie oder die Donauraum-Strategie verabschiedet. Eine Besonderheit ist, dass vor dreizehneinhalb Jahren die gleiche Regierung die Präsidentschaft durchgeführt hat wie heute. Die damalige EU-Ratspräsidentschaft galt als eine durchaus erfolgreiche.
Obwohl eine linke Mehrheit im Europäischen Parlament versuchte, Ungarn den diesjährigen Ratsvorsitz abzuerkennen, konnte dieses Ansinnen nicht verfangen. Ein wichtiger Garant für das Gelingen der Präsidentschaft ist der in Fachkreisen sehr anerkannte Europaminister János Bóka, der aus der Wissenschaft kommt und ein erfahrener Europarechtsexperte ist sowie auch den Brüsseler Politikbetrieb aus nächster Nähe jahrelang hat verfolgen und mitgestalten können.
Ungarns sieben Prioritäten
Sieben Prioritäten soll das Programm der Budapester Ratspräsidentschaft umfassen, wobei allen inhaltlich gemein ist, dass sie wichtige Bausteine sein sollen, um die Resilienz sowie die Handlungs- und Zukunftsfähigkeit Europas zu stärken. Gerade angesichts der globalen Herausforderungen ist die politische Führung des Landes davon überzeugt, dass Europa ein wichtiger globaler Akteur sein kann, allerdings nicht ohne vorher seine eigene Selbstbehauptung manifest werden zu lassen. Hier die einzelnen Prioritäten:
Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit
Europa ist im Vergleich mit globalen Wettbewerbern, bedingt durch hohe Inflation, steigende Staatsverschuldung, hohe Energiekosten, Fragmentierung globaler Lieferketten sowie die Schwächung der Produktivität und des Wirtschaftswachstums in den letzten Jahren weltweit ins Hintertreffen geraten. Daher bedarf es laut der ungarischen Ratspräsidentschaft eines ganzheitlichen Ansatzes, um die Wettbewerbsfähigkeit zu fördern. Ziele sind eine technologieneutrale Industriestrategie, die Verbesserung der Rahmenbedingungen der europäischen Produktivität, die Stärkung der offenen und vernetzten Wirtschaft sowie des internationalen Wirtschaftsaustausches, daneben aber auch die Schaffung von sicheren europäischen Arbeitsplätzen durch einen flexiblen Arbeitsmarkt, der steigende Löhne verspricht.
In diesem Zusammenhang soll eine neue Vereinbarung zur Wettbewerbsfähigkeit zustande kommen, die den EU-Binnenmarkt vertieft, kleine und mittelständische Unternehmen unterstützt, die grüne und digitale Transition in Partnerschaft mit den Wirtschaftsakteuren sowie den Bürgern ermöglicht, die Stabilität und Nachhaltigkeit der Arbeitsplätze garantiert und die internationale Zusammenarbeit vorantreibt. Was den Aufbau einer wettbewerbsfähigen, nachhaltigen und arbeitsbasierten Gesellschaft betrifft, hat Ungarn selbst große Erfolge im eigenen Land verbuchen können.
Stärkung der Verteidigungspolitik
Die Konflikte in Europa und weltweit in den letzten Jahren haben gezeigt, dass Europa seine Verteidigungsfähigkeit, die Reaktionsfähigkeit bei internationalen Konflikten und seine Kapazitäten stärken muss. Die Europäische Union muss hier eine größere Rolle einnehmen, um ihre Resilienz- und Handlungsfähigkeit zu verbessern. Die ungarische Ratspräsidentschaft möchte nicht nur den sogenannten „Strategischen Kompass“ der EU implementieren, sondern auch die industrielle und technologische Basis der europäischen Rüstungsbranche stärken.
Miteingeschlossen sind die Verteidigungsinnovation sowie auch die Zusammenarbeit zur Wehrertüchtigung in Beschaffungsfragen. Ungarn konnte durch das im Jahre 2016 lancierte Modernisierungsprogramm der eigenen Streitkräfte und eine intensive Zusammenarbeit mit der deutschen Rüstungsindustrie bereits einige Erfolge in der Stärkung der Wehrfähigkeit des Landes verbuchen. Mit keinem anderen Land arbeitet Deutschland so intensiv zusammen wie mit Ungarn, so eine frühere deutsche Bundesverteidigungsministerin.
Konsequente und auf Verdiensten beruhende Erweiterungspolitik
Nach Lesart der Ungarn ist die Erweiterungspolitik eine der erfolgreichsten Fachpolitiken der EU. Sie zu bewahren ist wichtig und kann nur auf der Fortsetzung einer auf der objektiven Beurteilung der Fortschritte der Beitrittskandidaten beruhenden, ausgeglichenen und glaubwürdigen Politik basieren. In erster Linie kann durch die Beitrittsperspektive der Länder des Westbalkans die wirtschaftliche, sicherheitspolitische und geopolitische Lage der EU gestärkt werden. Ungarn will sich hierzu der Formate der EU-Westbalkan-Spitzentreffen und der Europäischen Politischen Gemeinschaft bedienen. Bereits 2011 konnte Ungarn starke Impulse für die Aufnahme Kroatiens setzen und die Ungarn rechnen damit, dies nun mit Serbien gleichzutun.
Eindämmung der illegalen Migration
Der seit Jahren auf Europa lastende Migrationsdruck stellt nicht nur eine große Herausforderung für die EU als Ganzes dar, sondern auch für jeden einzelnen Mitgliedsstaat, insbesondere für jene mit einer EU-Außengrenze. Es ist unverzichtbar, mit den Nachbarländern der EU sowie den Entsende- und Transitländern enger zusammenzuarbeiten, um die Migration zurückzudrängen und den Schleppern Einhalt zu gebieten.
Die EU-Ratspräsidentschaft Ungarn hat vor, sich verstärkt den äußeren Dimensionen der Migration zu widmen, effektiv mit Drittländern zu kooperieren, die Rückkehrquote zu steigern sowie auch den Rechtsrahmen innovativ zu gestalten. Daneben soll die Bedeutung des Außengrenzschutzes sowie dessen EU-Finanzierung besonders hervorgehoben werden. In der Migrationspolitik kann Ungarn ebenso auf ein Feld mit großer Expertise verweisen. Die ungarischen Maßnahmen zum EU-Außengrenzschutz fanden weite Beachtung und das Land konnte den Zustrom illegaler Migranten nachhaltig einschränken.
Zukunft der Kohäsionspolitik
Zur Bewahrung des Gleichgewichts auf dem Kontinent soll der Abbau regionaler Differenzen einen besonderen Stellenwert bekommen, allen voran die Sicherstellung einer wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und regionalen Kohäsion. Noch immer wohnen 25 Prozent der EU-Bevölkerung in Gebieten, die nur an 75 Prozent des Entwicklungsstandes des EU-Durchschnitts herankommen. Diese Divergenzen zu senken ist nicht nur für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit von enormer Bedeutung, sondern auch für die ausgeglichene Funktionsweise des EU-Binnenmarktes.
Ein deklariertes Ziel der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft ist es, eine strategische Debatte über die Zukunft der Kohäsionspolitik zu führen sowie über deren Rolle für eine wettbewerbsfähige und nachhaltige Beschäftigungspolitik und Demographie. Ungarn konnte in den letzten Jahren in diesen Bereichen mit einer Steigerung der Geburtenraten und einer rapiden Zunahme von Arbeit und Beschäftigung europaweit beachtliche Erfolge erzielen. Dieser Wissensschatz kann nun auch europäisch urbar gemacht werden.
Bauernzentrierte Agrarpolitik
Die ungarische Landwirtschaft erlebte ungekannte Herausforderungen wie den Klimawandel, die gestiegenen Investitionskosten, die Importe aus Drittländern und die massive Verschärfung der Produktionsregularien. Die Produktivität musste dabei Einbußen verkraften. Daher ist es unabdingbar, den Landwirten die Möglichkeiten der nachhaltigen Produktion niedrigschwellig anzubieten.
Da der Bauernstand mit seinen Lebensmitteln grundlegende Güter herstellt, ist es für die strategische Autonomie Europas erforderlich, auch langfristig die Lebensmittelsouveränität und Lebensmittelsicherheit sicherzustellen. Von daher ist es der Präsidentschaft ein Anliegen, für die Zeit nach 2027 ein Regelwerk aufzustellen, das eine wettbewerbsfähige, resiliente und bauernfreundliche europäische Agrarpolitik ermöglicht. Ungarn als Agrarland kann hierbei auf maßgebliche Erfahrungen zurückblicken.
Demographischer Wandel
Viele Herausforderungen wie die Alterung der europäischen Gesellschaften, die Nachhaltigkeit sozialer Sicherungssysteme sowie der Fachkräftemangel sind paneuropäische Problemlagen, die effektiv zu behandeln sind. Diese Tendenzen sind für die Wettbewerbsfähigkeit beziehungsweise Finanzierbarkeit der EU höchst relevant. Ziel des Ratsvorsitzes ist es demnach, neben der Garantie der nationalen Souveränität auf die diesbezüglichen Herausforderungen hinzuweisen. Ungarn konnte die Geburtenrate von 1,2 auf 1,6 steigern, die ungarische Familien- und Geburtenpolitik gilt auch international als vorbildlich.
Ein ernstzunehmendes Angebot
Wenn auch die äußere Aufmachung der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft auf Außenstehende ostentativ wirken mag, verbirgt sich hinter den kommunikativen Spitzen doch ein Programm, das inhaltlich ernst gemeint und durchaus ernst zu nehmen ist. Ungarn glaubt an die Realisierung einer starken EU. Hinter dem Motto „Make Europe Great Again“ steht eine ausgearbeitete und langfristig angelegte Sachpolitik. Hierbei kann sich Ungarn auf eigene nationale Erfolge und Erfahrungswerte stützen. Inwieweit diese nun auf gesamteuropäischer Ebene nutzbar gemacht werden können, wird sich zeigen.
Bence Bauer ist Direktor des Deutsch-Ungarischen Instituts für Europäische Zusammenarbeit am Mathias Corvinus Collegium in Budapest. Vor Kurzem erschien „Ungarn ist anders“ (MCC Press 2024). www.mcc.hu