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Biographie

Mann ohne Eigenschaften

Zwei Journalisten porträtieren den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst

Ansgar Lange
16.12.2023

Sensiblere oder idealistischere Gemüter werden diese Biographie als einen Beitrag zur Mehrung ihrer Politikverdrossenheit lesen. Rund 220 recht eng gedruckte Seiten widmen die beiden Journalisten Tobias Blasius und Moritz Küpper dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (CDU) – und am Ende weiß der Leser immer noch nicht, was diesen ziemlich glatt wirkenden Politiker im Innersten antreibt.

Offenkundig reicht es in der heutigen Zeit schon, wenn ein Politiker möglichst keine Fehler macht, nicht (wie Armin Laschet) im falschen Moment lacht, Reden hält, die schon beim Hören wieder vergessen sind, und bei Instagram eine gute Figur macht, um von den Journalisten dieses Landes als kanzlertauglich hochgeschrieben zu werden. Will die Mehrheit der Deutschen wirklich einen solchen Politiker-Typus? Schaden Ecken und Kanten und eigene inhaltliche Überzeugungen, wenn man in der Politik Karriere machen will? Offensichtlich, wenn man sich die erstaunliche Karriere des Münsterländers Wüst anschaut.

Man kann den beiden Autoren nicht vorwerfen, dass sie sich nicht umfassend mit dem Leben Wüsts beschäftigt hätten. Schon der Klappentext wirbt damit, dass Blasius und Küpper fast 100 Weggefährten, Mitarbeiter und Freunde, aber auch Kritiker und Konkurrenten befragt hätten. Doch was hilft all der Fleiß, wenn sie am Ende nicht herausarbeiten können, wie der von ihnen Porträtierte tickt, was er denkt und vor allem, woran er glaubt? Interessanterweise zeichnen die Autoren den Werdegang Wüsts von den Anfängen in der beschaulichen Kleinstadt Rhede bis hin zur Düsseldorfer Staatskanzlei akribisch, vielleicht manchmal zu detailverliebt nach, doch sie stellen dabei nie die Frage, welche messbaren Erfolge Wüst für die Bürger in seinen verschiedenen Funktionen erzielt hat. Oder geht es heute gar nicht mehr um das Sein, sondern nur noch um den schönen Schein in den sozialen Medien?

Wie ein politischer Vollsortimenter
Wüst hat relativ früh Mutter und Vater verloren. Es lässt sich vermuten, dass er daraus nicht nur schon in jungen Jahren gelernt hat, auf eigenen Füßen zu stehen. Offensichtlich hat dieser Verlust auch zu dem Gefühl Wüsts geführt, dass er sich nur auf sich selbst verlassen kann. Die Zeiten als Verfasser konservativer Thesenpapiere und als schneidiger Generalsekretär unter Jürgen Rüttgers sind längst vergessen.

Heute tritt Wüst wie ein politischer Vollsortimenter auf. Er hat für fast jeden etwas im Angebot. Er möchte die Menschen nicht durch Ideenreichtum oder originelle Reden verunsichern. Mit seinem Schwiegermutter-Charme und dem adretten Äußeren lächelt er einfach jede Krise weg. Ob er NRW nun besonders erfolgreich regiert oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Hauptsache, die Bilder sind gut.

Innenminister Herbert Reul und Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann wirken in der Riege der Minister wie Fossile aus längst vergangenen Zeiten. Sie sehen immer ein wenig zerknautscht und zerknittert aus, haben dafür aber noch eigene Überzeugungen und leben in der realen, nicht der Insta-Welt.

Die schwarz-grüne Koalition in Düsseldorf regiert weitestgehend geräuschlos. Die SPD-Opposition strampelt sich ziemlich erfolglos ab und hat keine eigenen Führungsfiguren zu bieten, die dem glatten und geschickten Wüst Paroli bieten könnten. Der Ministerpräsident ist exzellent vernetzt, besetzt viele Positionen mit ehemaligen Mitstreitern aus der Jungen Union und ist im Gegensatz zur grünen Vize-Ministerpräsidentin Mona Neubaur ein mit allen politischen Wassern gewaschener Vollprofi.

Wüst hat längst auch Angela Merkel umarmt und sich nicht zuletzt mit einem Gastbeitrag für die „FAZ“. kritisch von Friedrich Merz abgesetzt. Doch die Politik ist ein schnelllebiges Geschäft. Zurzeit hat man den Eindruck, dass die schwarz-grüne Liebe ziemlich erkaltet ist. Nicht zuletzt aus Machtkalkül hat Hessens Ministerpräsident Boris Rhein jüngst die Grünen ziemlich kühl abserviert und die SPD mit ins Regierungsbett gezogen. Außerdem kommen immer neue Krisen hinzu. Die Zeiten werden härter.

Das könnte konservativeren Unionsmännern wie Merz und Carsten Linnemann in die Hände spielen. Vor allem angesichts der Migrationskrise, für die nicht zuletzt die von Söder und Wüst umgarnte Altkanzlerin entscheidend verantwortlich ist, führt dazu, dass sich viele Bürger eher einen Clint Eastwood als einen soften Robert Redford wünschen.

Es ist die Frage, ob Wüst auch diese Drehung hinbekäme. Bei all seiner Wandlungsfähigkeit könnte dies eine Volte zu viel sein. Auch Söder hat ja inzwischen extreme Probleme mit der eigenen Glaubwürdigkeit. Merz und Linnemann haben sich nie in dieser Art und Weise verbogen. In Nordrhein-Westfalen sitzt Wüst zudem der „Schattenmann“ Nathanael Liminski im Nacken, ein Sohn des verstorbenen Publizisten Jürgen Liminski (der auch für die PAZ geschrieben hat). Er ist inhaltlich sicher stärker begabt als Wüst, den Blasius und Küpper für nicht besonders belesen halten, eine Vorliebe für Tom Clancy und Henning Mankell ausgenommen.

Allerdings fehlt dem politischen Wunderkind Liminski diese roboterhafte Trittsicherheit auf dem politischen Parkett und in der Welt der schönen Bilder, die sich Wüst mit viel Fleiß, Nüchternheit und Zielstrebigkeit erobert hat. Könnte „Mr. Perfect“ (so die Biographen über Wüst) nicht ein wunderbarer Politiker sein, wenn zu seinen Steherqualitäten, seinem Fleiß, seinem Netzwerk, seinem Geschick als Macht- und Personalpolitiker nicht noch zwei oder drei echte Überzeugungen und politische Ideale hinzukämen?

Tobias Blasius/Moritz Küpper: „Hendrik Wüst. Der Machtwandler. Karriere und Kalkül“, Klartext-Verlag, Essen 2023, gebunden, 224 Seiten, 22 Euro


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