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Bohemien Thomas Mann am Schreibtisch: Ein Porträt des Künstlers als junger Mann
Bild: imago/Bridgeman ImagesBohemien Thomas Mann am Schreibtisch: Ein Porträt des Künstlers als junger Mann

Geschichte

Mann und Zeit

Deutschlands letzter „Großschriftsteller“ – Vor 150 Jahren wurde Nobelpreisträger Thomas Mann geboren

Harald Tews
07.06.2025

Inzwischen haben die Lübecker mit Thomas Mann ihren Frieden gemacht. Zu seinen Lebzeiten war das anders, galt er doch als Nestbeschmutzer. Schuld war sein Roman „Buddenbrooks“, in dem sich einige Lübecker nicht gerade vorteilhaft porträtiert fanden. Doch spätestens, als ihn die Hansestadt kurz vor seinem Tod vor 70 Jahren die Ehrenbürgerwürde verlieh, ist das alles Schnee von gestern. Das ist am 6. Juni zu erleben, wenn zum 150. Geburtstag des Literaturnobelpreisträgers ein großer Rummel um ihn veranstaltet wird. Bei einem Festakt in der St.-Aegidien-Kirche werden Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther erwartet.

Später wird Frido Mann, ein Enkel aus dem Mann-Clan, im Theater Lübeck ein Konzert eröffnen, bei dem Musik von Lieblingskomponisten seines Großvaters gespielt wird, darunter Richard Wagner. Zuvor wird die Ausstellung „Meine Zeit. Thomas Mann und die Demokratie“ eröffnet, die Manns politische Emanzipation vom – wie es heißt – „Reaktionär zum Demokraten in Leben und Werk“ erläutert.

Es handelt sich um eine Veranstaltung des Buddenbrookhauses, gezeigt wird sie aber nicht in dem den Brüdern Heinrich und Thomas Mann gewidmeten Literaturmuseum, sondern unter den spätgotischen Gewölben des St.-Annen-Museums. Ausgerechnet im Jubiläumsjahr ist das Buddenbrookhaus geschlossen, und das wegen eines Umbaus inklusive einer Erweiterung voraussichtlich noch bis 2029.

Das im Herzen der Hansestadt gelegen Haus in der Mengstraße halten viele für Manns Geburtshaus. Tatsächlich hat hier seine Großmutter väterlicherseits gewohnt. Der am 6. Juni 1875 geborene Patriziersohn Thomas Mann wuchs einen Straßenzug weiter auf im Haus Beckergrube 52, das beim Bombenangriff der Briten 1942 komplett zerstört wurde.

In das großelterliche Haus in der Mengstraße quartierte Mann seine fiktive Kaufmannsfamilie Buddenbrooks ein und machte den Ort damit zu einem der berühmtesten Schauplätze der Weltliteratur. Dabei verkaufte sich die im S. Fischer Verlag im Jahr 1901 erschienene zweibändige Erstausgabe des Romans nur schleppend. Erst die zwei Jahre später veröffentlichte einbändige Ausgabe entwickelte sich zu einem Bestseller. Lohn dafür war 1929 der Literaturnobelpreis, obwohl Mann selbst seinen fünf Jahre zuvor entstandenen Roman „Der Zauberberg“ für das preiswürdigere Werk hielt.

In der Zwischenzeit hatte sich bei Mann ein Wandel vollzogen: Aus dem der Erzähltradition des 19. Jahrhunderts verpflichten Schriftsteller wurde ein moderner Künstler. So orientieren sich die „Buddenbrooks“ noch am Stil von Manns Vorbildern Theodor Fontane und Theodor Storm. Detailgetreue Wiedergaben der bürgerlichen Gesellschaft treffen dabei mit einer Prise Ironie auf volkstümliche Motive und Weisheiten. Wenn Pensionatsvorsteherin Sesemi Weichbrodt ihren Schützlingen die dialektgefärbte Abschiedsphrase „Sei glöcklich, du gutes Kend!“ mit auf den Weg gibt, läutet sie damit ungewollt deren Unglück ein.

Die Wandlung von einer bürgerlichen zur künstlerischen Existenz hat Mann schon in dem kränkelnden Knaben Hanno Buddenbrook vorweggenommen, der sich weniger zum Kaufmann als zum Musiker berufen fühlt. In der Figur des künstlerisch verhinderten Sanatoriumspatienten Hans Castorp werden wir ihm im „Zauberberg“ als Erwachsenen wiederbegegnen. Schon in seinen frühen Novellen wie „Tonio Kröger“ ging Mann der Frage nach: „Aber was ist der Künstler?“ Er entwickelte darin Lebensentwürfe, ähnlich wie fast zur selben Zeit der Ire James Joyce in seinem autobiographischen Roman mit dem programmatischen Titel „Ein Porträt des Künstlers als junger Mann“.

Entfremdung vom Bruder Heinrich
Die Autoren der Moderne sahen sich nicht profan als Schriftsteller, sondern als Künstler, die nicht schnöde Bücher, sondern wie Joyce, Marcel Proust, Robert Musil, Alfred Döblin, Hermann Broch oder John Dos Passos literarische Kunstwerke schufen. Mit seinem Roman „Königliche Hoheit“, in dem er das wilhelminische Kaiserreich in eine Welt märchenhafter Phantastik einbalsamierte, befand sich Mann 1909 allerdings noch in der Lernphase.

Erst mit dem „Zauberberg“ gelang ihm der Durchbruch als Schreib-Künstler. Er setzte dabei virtuos Stilmittel ein, die zum Markenzeichen der Moderne wurden wie etwa die Umkehrung von Erzählzeit und Erzählte Zeit. Dehnt sich in der ersten Hälfte des Romans ein Zeitabschnitt von sieben Monaten aus, so rast die andere Hälfte unaufhaltsam zum sieben Jahre später beginnenden Ersten Weltkrieg hin.

Ähnlich wie Proust ist auch Mann „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. Der Anfang des dritten „Zauberberg“-Kapitels erinnert an den Beginn von Prousts „Recherche“: „Hans Castorp hatte gefürchtet, die Zeit zu verschlafen.“ Auf diese Weise wird „Der Zauberberg“ zum Zeitroman, der die Erzähltechniken um die Erlebte Rede erweitert, eine Art inneres Selbstgespräch der handelnden Figuren ähnlich dem kurz zuvor von Joyce im „Ulysses“ entwickelten Bewusstseinsstrom. Sogar Wagnersche Leitmotivik hat Mann in die Literatur übertragen, etwa wenn die exzentrische Madame Chauchat ihr spätes Erscheinen im Speisesaal des Davoser Sanatoriums regelmäßig durch lautes Türenschlagen ankündigt.

Die Arbeit am „Zauberberg“ unterbrach Mann mit seinen „Betrachtungen eines Unpolitischen“, in denen er auf 600 Seiten seine Rechtfertigung für die Kriegspolitik des Kaisers darlegte. Die Schrift war eine Antwort auf einen Angriff im „Zola“-Essay seines Bruders Heinrich auf ihn. Damit festigte sich die Entfremdung der Schriftsteller-Brüder, die damit endete, dass Thomas Mann im US-Exil seinen verarmten älteren Bruder alimentierte.

In der Schweiz und ab 1938 in den USA schuf Mann mit der 1500-seitigen Tetralogie „Joseph und seine Brüder“ das, was er später als sein Hauptwerk bezeichnete. Hier war er ganz der „unpolitische“ exilierte Künstler, der NS-Herrschaft und Weltkrieg ignorierte und sich stattdessen biblischen Themen widmete. Mit den Romanen „Lotte in Weimar“ und „Doktor Faustus“ näherte er sich danach seinem Idol Goethe an, wobei letzteres Werk über den Tonsetzer Adrian Leverkühn, der einen Pakt mit dem Teufel eingeht, auch als verklausulierte Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zu lesen ist.

Verklausuliert hat Mann in seinen Werken auch seine latente, aber angeblich nie ausgelebte Homosexualität. Die von Luchino Visconti verfilmte Novelle „Tod in Venedig“ gilt thematisch als Paradestück solcher unterdrückten Begierden, ebenso auch Manns letzter Roman „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“, mit dem der Autor genau wie Goethe mit dem „Faust“-Stoff sein ganzes Künstlerleben schwanger ging, um ihn am Ende unvollendet zu hinterlassen. Hier wie dort sind es hübsche Jünglinge, die älteren Herren den Kopf verdrehen, wobei die Liebe letztlich im Platonischen verharrt.

In seinen Werken ging Mann wie Wagners Held Parsifal auf Gralssuche, auf Suche nach wahrer Liebe. Im echten Leben war er mit der Münchenerin Katia Pringsheim verheiratet und stand einer Großfamilie mit sechs Kindern vor. Seine geheimen Träume und Phantasien lebte er aber vor allem in seinen ab 1975 veröffentlichten Tagebüchern aus. Für Biographen wie Klaus Harpprecht mit seiner 1995 erschienenen monumentalen Biographie oder Hermann Kurzke sind sie ein unerschöpflicher Fundus, aus dem heraus Thomas Mann die deutsche Literatur im 20. Jahrhundert wieder an die Weltspitze führte.


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