13.12.2024

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Genusswelt

„Marjellchen“ verwöhnt mit preußischer Küche

Wer sich nach Pillkaller, Schalche Fleck oder Beetenbartsch sehnt, findet in Berlin-Charlottenburg die originalen Heimatspeisen

Von Jörn Pekrul und Jens Eichler
25.08.2024

Wer kennt ihn nicht, den typisch ostpreußischen Ausspruch, in welchem das Marjellchen, sich mit's Jelbe vom Ei bekleckert hat? Und für alle, die sich bis heute immer noch fragen, wer zum Teufel eigentlich viel besagtes Marjellchen ist, dem sei erklärt, dass es sich dabei schlicht und einfach nur um den ostpreußischen Begriff des Mädchens handelt. Was dem Norddeutschen „sien Deern“ ist dem Ostpreußen „sein Marjellchen“. Ganz einfach.

Doch in Berlin steht Marjellchen gleichsam für noch viel mehr. Es ist der absolute Geheimtipp für alle Freunde und Genießer der einzigartigen Küche Ostpreußens. Denn im Stadtteil Charlottenburg verwöhnt das Restaurant „Marjellchen“ seine Gäste mit feinsten Spezialitäten aus „dem östlich gelegenen Land der Seen, Haffe, Nehrungen und kalten Winter“. Die Gründerin dieses Genusstempels sagte in einem Interview: „Ich hatte einfach das Bedürfnis, diese Küche weiterzugeben und eben diese Tradition des alten deutschen Ostens, wenn ich das mal so sagen darf, ein bisschen hochzuhalten. Und als ich soweit war, dass ich mich selbstständig machen konnte und selber ein Restaurant eröffnen wollte, gab es für mich eigentlich gar keine Frage. Es hat mich sehr geprägt ... meine Großmutter hat wunderbar gekocht!“, schwärmte die stets fröhliche Marjellchen-Gründerin Ramona Azzarro.

Mit ostpreußischer Herzlichkeit
Und tatsächlich hatte ihre ostpreußische Großmutter sie die authentische, köstliche und ebenso urige Küche der Heimat bis ins kleinste Detail gelehrt und ihr so manchen Trick, so manches Würz-Geheimnis und den einen oder anderen Küchendreh beigebracht. So lange, bis Ramona das ostpreußische Kücheneinmaleins wirklich beherrschte. Eine Kompetenz, die sie über viele Jahre hinweg weiter perfektioniert hat. Beruflich ohnehin im Gastgewerbe etabliert, eröffnete sie bestens vorbereitet am 14. Mai 1985 das „Marjellchen“. Mit Tatkraft und ihrer ostpreußischen Herzlichkeit schuf sie ein einzigartiges Spezialitätenrestaurant.

Mit einem echten Pillkaller geht es los. Dabei handelt es sich um einen klaren, hochprozentigen Schnaps, auf dem eigentlich gemäß ostpreußischem Brauchtum eine Scheibe Leberwurst liegt, die wiederum mit Senf und Senfkörnern gewürzt ist. Erfunden wurde dieser deftige Schluck im Hotel „Breslauer Hof“ in Pillkallen – das damit zugleich Namensgeber wurde. Dem könnte nun ein Ostpreußischer Beetenbartsch folgen, also eine würzige Rote-Beete-Suppe mit viel feinem Rindfleisch und einem kräftigen Schuss saurem Schmand. Ebenso eine Sauerampfersuppe oder eine Schalche Fleck, eine Suppe aus Kuddeln. Die Eröffnung des Hauptgangs nach guter ostpreußischer Genussart lässt keine heimatlichen Wünsche offen. Es folgen ein ebenso auf der Speisekarte aufgeführter Masurischer Sauerbraten mit grünen Klößen und Schmorkohl, oder Danziger Stremellachs mit einer Honig-Senf-Sauce, sowie ein „Schlesisches Himmelreich“ von Rauchfleisch mit Backobst in feinster Rotwein-Zimt-Sauce mit einem Hefekloß. Die Königsberger Klopse, unverzichtbarer Bestandteil in Ostpreußens Kulinarik, gelingen hier stets besonders gut mit einer sämigen Kapernsauce – kurzum: Heimatküche vom Feinsten, wie sie sein soll. Und als Beilage zum perfekten Abrunden noch einen originalen Rote-Beete-Salat.

Anlaufstelle für kleine Sorgen
Doch das Restaurant war seit Öffnung nicht nur ein kulinarisches Stück Ostpreußen. Mit ihrer Warmherzigkeit wurde Ramona Azzaro auch eine Persönlichkeit im Charlottenburger Kiez, für den Ortsteil und für die auswärtigen Gäste. Ins „Marjellchen“ ging man nicht nur, weil man ein besonders gutes Restaurant besuchen wollte. Für Stammgäste, deren Schar im Laufe der Zeit größer wurde, war Ramona Azzaro ebenso eine kompetente Anlaufstelle für die kleinen und großen Sorgen des Lebens, die hier, in fürsorglicher Umgebung, ihren Schrecken verloren. Ostpreußen wirkt!

Eine neue Generation übernimmt
Zum 1. September 2020, inmitten der staatlich angeordneten Restaurantschließungen im Rahmen der Corona-Maßnahmen, übergab Ramona Azzaro das „Marjellchen“ aus Altersgründen in jüngere Hände. Der neue Inhaber, der in gehobener Restauration erfahrene Dennis Butor, erkannte schnell den kulinarischen und ideellen Reichtum der ostpreußischen Kultur. In Zusammenarbeit und unter Anleitung von Azzaro entwickelte er seine koch- und küchentechnischen Fertigkeiten gefühlt noch einmal neu: unter Beachtung und Würdigung jedes Details, jeder Geschmacksnote und jeder Besonderheit der ostpreußischen Küche.

Die Speisekarte wurde für den modernen Gast noch um einige leichtere Gerichte aus der zeitgenössischen Küche erweitert, doch das schmackhafte Erbe blieb weiterhin unangetastet. Und so dauerte es nicht lange, bis Butor Staffelstab und Kochlöffel kompetent und zuversichtlich übernehmen konnte.

Bis heute hat das „Marjellchen“ nicht nur seine authentische Küche, sondern auch seine Vertrautheit als Ort heimatlicher Gastlichkeit und Atmosphäre erhalten. Umso trauriger ist es, dass Azzaro, im Juni nach kurzer, schwerer Krankheit im Alter von 77 Jahren verstarb. Im ehrenden Andenken an die ostpreußische Küchenikone führt nun die nachkommende Generation das Erbe weiter. Ganz im Sinne der ostpreußischen Tradition, die auf eine Kulinarik blickt, die in ihrer vollmundigen Geschmacklichkeit teilweise Weltruf genießt – und das vollkommen zu Recht.


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