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Politik

Mehr als eine ideelle Schicksalsgemeinschaft

Warum die Nation und der demokratische Nationalstaat auch in Zeiten der Globalisierung unverzichtbar bleiben

René Nehring
18.01.2021

Seit 150 Jahren haben die Deutschen nun einen Nationalstaat. Mit der Gründung des Kaiserreichs im Januar 1871 endete die jahrhundertelange Zersplitterung des Vaterlandes in unzählige Einzelstaaten. Wenngleich dieses Deutschland nicht als vom Volke getragene Demokratie errichtet worden ist, sondern als Fürstenbund von oben, so hatte es doch immerhin eine Verfassung. Damals galt die Nation als fortschrittlich.

Diese positive Einstellung der Deutschen zu ihrer Nation endete mit der Katastrophe von 1933 bis 1945. Die Überhöhung der eigenen Volksgemeinschaft, so die vielfache Deutung, hatte patriotische Gefühle und Ideen fortan diskreditiert.

Doch nicht nur die Deutschen litten nach 1945 an und mit ihrer Nation. In Ost und West träumten Intellektuelle von neuen Menschen und alternativen sozialen Bindungen: vom „Sowjetmenschen“, der von seiner Herkunft losgelöst allein der Zukunft zugewandt leben sollte, im Osten – und vom „Weltbürger“, der sich ganz von seiner Herkunft losgelöst einer globalen Gemeinschaft verbunden fühlen sollte, im Westen. Die Nation erklärten nicht wenige Geisteswissenschaftler und Publizisten zu einer konstruierten und überholten Idee des 19. Jahrhunderts.

Doch dann kam 1989/91 – und mit dem Zerfall des Sowjetreiches auch die Wiedergeburt zahlreicher Nationen und ihrer Staaten. Viele Großdenker mussten einsehen, dass Kategorien wie Kultur, Religion und Sprache noch immer eine ungemeine Bindekraft besitzen.

Dass eine Nation keinesfalls ein beliebig replizierbares Konstrukt ist, musste die Welt zu Beginn des 21. Jahrhunderts schmerzlich erfahren. Nach den Terrorattacken vom 11. September 2001 scheiterte das Konzept des „Nation Building“, des Schaffens neuer Staaten nach westlichem Vorbild, in den zahlreichen Auseinandersetzungen mit Despotien und radikalislamischen Regimen in Nordafrika und im Nahen Osten kläglich. Es zeigte sich, dass eine Nation offenkundig auf anderen Fundamenten ruht als ein paar Nachhilfestunden in politischer Bildung.

Kein überholtes Konstrukt

Was genau eine Nation ausmacht, ist durchaus von Land zu Land verschieden. In Großbritannien ist es eher die Monarchie, in der Schweiz die Sonderrolle der Eidgenossen gegenüber ihren Nachbarn. Die Deutschen werden vor allem vom Bewusstsein einer Sprach- und Kulturgemeinschaft zusammengehalten, die bislang alle politischen Brüche überstand – weshalb die Nation auch nicht zerfiel, als das Land nach dem Zweiten Weltkrieg abermals geteilt wurde.

Dass Nation und Nationalstaat keinesfalls überholt sind, zeigt sich auch an der Entwicklung der Europäischen Union. Seit der Verabschiedung des Maastrichter Vertrags 1992 versuchen europäische Eliten, die Mitgliedsländer der Gemeinschaft in einer „immer engeren Union“ aufgehen zu lassen. Diese freilich ist nicht nur mehrfach in Referenden von den Bürgern abgelehnt worden, sondern hat sich in wesentlichen Krisen als ungeeignet erwiesen, die angefallenen Probleme zu lösen (siehe zuletzt den Verlauf der Corona-Pandemie).

Die Globalisierung rückt auch die Bedeutung der Nationen für eine funktionierende Demokratie wieder in den Fokus. Auch wenn es sinnvoll ist, dass sich souveräne Länder zusammentun, um auf der Weltbühne ein größeres Gewicht zu haben, garantiert allein der demokratische Nationalstaat unverzichtbare Standards. Er allein ermöglicht allen Bürgern die barrierefreie Teilhabe an politischen Debatten (ohne Elitensprache oder Dolmetscher). Er ermöglicht eine empathischere Solidargemeinschaft als multinationale Gebilde (siehe die Hilfsbereitschaft bei Naturkatastrophen). Nicht zuletzt bietet er einen auf einem gemeinsamen Werteverständnis basierenden Rechtsraum. Ohne den demokratischen Nationalstaat wären die Bürger supranationalen Bündnissen, NGO's und Konzernen sowie deren Interessen schutzlos ausgeliefert.

So ist die Nation auch künftig in vielerlei Hinsicht unverzichtbar – entfliehen kann man ihr ohnehin nicht.


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Kommentare

Jan Kerzel am 24.01.21, 19:26 Uhr

Es ist schwierig den Nationalstaatsgedanken in der Bundesrepublik als notwendig darzustellen. Das Land kennt lediglich den Verfassungspatriotismus, und auch der kommt schon recht ramponiert daher. Ein grundlegender Konsens der Staatsbürger über Aufgabe, Zweck und Sinn als nationales Gebilde ist nicht mehr festzustellen. Die politischen Parteien und Eliten greifen zwar ab und zu mal rein sprachlich in das nationale Vokabular, aber lediglich dann, wenn es gilt den Bürgern gemeinsame Lasten und Zumutungen aufzuhalsen. Die Bundesrepublik hat aufgrund ihres volkspaedagogisch inszenierten nationalen Selbsthasses ein weltweites Alleinstellungsmerkmal, dieser Bruch hat natürlich seine Wirkung laengst voll entfaltet, übrigens seit Jahrzehnten. Die Negation würde ich fast als ein neues einigendes Band ansehen. Für das Gebiet der Bundesrepublik halte ich daher nationales Denken nicht mehr für wieder herstellbar und im Grunde genommen ist es auch überflüssig. Das ist kein politisch annehmbares Ziel mehr, wer dies artikuliert, kann nur mit geringer Zustimmung rechnen. Neu denken, die Sprachgemeinschaft ist doch z.B. nur ein Indikator, es genügt doch auch eine allgemeine Verkehrssprache. Entscheidend ist die Zustimmung und Übereinstimmung in grundlegenden Existenzfragen. Wahre Solidaritaet kann es nur unter Gleichgesinnten geben.

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