09.05.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden

Nachruf auf Wolfgang Schäuble

Mehr Diener als Politiker

René Nehring
03.01.2024

Am 26. Dezember 2023 verstarb Wolfgang Schäuble. Umgehend würdigten Politiker und Journalisten das Lebenswerk des ehemaligen CDU-Vorsitzenden, Ministers und Bundestagspräsidenten. Bundespräsident Steinmeier bezeichnete den Verstorbenen gar als „Glücksfall für die deutsche Geschichte“.
Zweifellos ragt Schäuble unter den Köpfen der politischen Landschaft heraus. Kein Abgeordneter in der deutschen Geschichte hat einem Parlament so lange angehört wie er – von seinem Einzug in den Bundestag 1972 bis zu seinem Tode. 1984, mit 42 Jahren, wurde er von Helmut Kohl zum Chef des Kanzleramts und damit erstmals in ein Kabinett berufen.

Im April 1989 wurde Schäuble zum Bundesinnenminister ernannt. Da ahnte noch niemand, dass er in dieser Funktion wenige Monate später die Verhandlungen über die Deutsche Einheit führen würde. Bei den durch DDR-Unrecht entstandenen offenen Vermögensfragen setzte er das Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung“ durch, allerdings nicht für den durch die sowjetische Besatzungsmacht enteigneten Grundbesitz. Als am 20. Juni 1991 der Bundestag über den künftigen Regierungssitz zu entscheiden hatte, warb Schäuble mit für ihn seltenem Pathos für Berlin als „Symbol von Einheit und Freiheit, für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit für das ganze Deutschland“ und hatte damit maßgeblichen Anteil daran, dass die Bundesrepublik schon bald von der Spree aus regiert wurde.

Großen Respekt erfuhr Schäuble dafür, dass er sich nach einem Attentat im Oktober 1990, das er knapp mit einer Querschnittslähmung überlebte, ins Leben zurückkämpfte und weitere Spitzenämter wie den Vorsitz der Unionsfraktion im Bundestag (1991–2002), den Bundesvorsitz der CDU (1998–2000), den Posten des Innenministers (2005– 2009) und des Finanzministers (2009– 2017) sowie des Bundestagspräsidenten (2017–2021) ausüben konnte. Langjährige Ministerialbeamte erklärten im privaten Kreis, dass Schäuble ihr vom Fachwissen her mit Abstand brillantester Dienstherr gewesen sei, er es allerdings auch jeden spüren lassen habe, wenn er ihn nicht für intellektuell gewachsen hielt.

Zu einer Betrachtung Wolfgang Schäubles gehört auch, dass er im Grunde kein Politiker war, sondern ein politischer Beamter. Treu diente er den Re- kordkanzlern Helmut Kohl und Angela Merkel (selbst dann noch, als beide – der eine in der Nachfolge im Amt des Bundeskanzlers, die andere bei der Wahl zum Bundespräsidenten – ihn um die höchsten Ämter der Republik brachten) und hatte mit seiner Effizienz einen hohen Anteil daran, dass sich Kohl und Merkel jeweils 16 Jahre im Amt halten konnten. Als Schäuble nach der Ära Kohl selbst an die Spitze seiner Partei rückte, stolperte er schon bald über die CDU-Spendenaffäre, wobei er zuvor durch die Berufung der damals funktionslosen Merkel zur Generalsekretärin der Partei eine neue Ära einläutete.

Als Merkel dann zur Parteivorsitzenden und später zur Kanzlerin aufstieg, wurde Schäuble eine ihrer wichtigsten Stützen. Gerade weil er nicht zu Merkels Umfeld gehörte und persönlich als konservativ galt, wurde er damit auch zu einem Gewährsmann der „Vergrünung“ der CDU. Hatte er vorher schon Überlegungen geäußert, zur Not, wenn keine andere Option bestünde, auch mit den Grünen zu koalieren, trug er nun an führender Stelle einen Kurs mit, der erst die Union und in der Folge das ganze Land auf zentralen politischen Feldern von bewährten Positionen entfernte.

Dass ihm oft in entscheidenden Situationen das politische Gespür fehlte, zeigte Schäuble zuletzt, als er als graue Eminenz der Union entscheidenden Anteil daran hatte, dass diese nicht mit dem populäreren CSU-Vorsitzenden Markus Söder als Spitzenmann in die Bundestagswahl 2021 zog, sondern mit dem CDU-Vorsitzenden Armin Laschet, der dann einen als uneinholbar geltenden Vorsprung verspielte.

Ob und wie Schäuble in Erinnerung bleiben wird, wird sich zeigen. In den Leserkommentaren zu den Nachrufen auf ihn hieß es immerhin, dass er einer von jenen Politikern gewesen sei, die man noch ernst nehmen konnte. Für die meisten von heute gelte das nicht mehr.


Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie die PAZ gern mit einer

Anerkennungszahlung


Kommentare

Chris Benthe am 12.01.24, 10:15 Uhr

Diesem Herrn weine ich keine Träne nach. Und wenn ich " in Inzucht degenerieren" sollte. Amen.

sitra achra am 06.01.24, 11:50 Uhr

Das Bedenkliche an dem Mann ist, dass er aus ehrlicher Überzeugung transatlantischer Diener war, während seine kongenialen Nachfolger, die Young European Leaders, diese Rolle nur zum Zwecke der Förderung ihrer Karriere vortäuschen. Alles in allem war er, wenn man objektiv bleibt, ein Feind Deutschlands.

Kersti Wolnow am 04.01.24, 11:44 Uhr

Immerhin war er ehrlich nach über 50 Jahren im Bunten Tag. Daß die bRD seit ihrem Entstehen auf tönernen Füßen steht, weil nicht souverän, wissen die doch scheinbar alle.
Wie sagte auch Horst Seehofer sinngemäß? "Die, die gewählt sind, haben nichts zu sagen und die, die etwas zu sagen haben, wurden nicht gewählt." Wie lange soll das noch so gehen? Darum nehmen wir seit gut 20 Jahren nicht an Wahlen teil, wir haben nichts zu wählen. Was ich von Menschen halte, die nur Befehle ausführen, schreibe ich lieber nicht. Auf jeden Fall regieren sie nicht für uns Deutsche, aber unser Geld nehmen sie und verteilen es global.

Kommentar hinzufügen

Captcha Image

*Pflichtfelder

Da Kommentare manuell freigeschaltet werden müssen, erscheint Ihr Kommentar möglicherweise erst am folgenden Werktag. Sollte der Kommentar nach längerer Zeit nicht erscheinen, laden Sie bitte in Ihrem Browser diese Seite neu!

powered by webEdition CMS