19.04.2025

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Deutsche Botschaft in Stockholm: Am 24. April 1975 um 23.46 Uhr explodieren 15 Kilogramm Trinitrotoluol (TNT)
Bild: imago/TT:Deutsche Botschaft in Stockholm: Am 24. April 1975 um 23.46 Uhr explodieren 15 Kilogramm Trinitrotoluol (TNT)

Linksterrorismus

„Mein ganzer Instinkt sagt mir, dass wir hier nicht nachgeben dürfen“

Bei der Geiselnahme in der deutschen Botschaft in Stockholm vor 50 Jahren erfüllte die Bundesregierung erstmals nicht die Forderungen der Geiselnehmer

Bernhard Knapstein
19.04.2025

Die Studentenunruhen 1968 mündeten in einer Radikalisierung sehr unterschiedlicher Gruppierungen. Dabei kristallisierten sich auch Gruppen heraus, die Gewalt und Terror zur Umsetzung ihrer linksextremistischen Ziele bejahten. So gründete sich 1970 die Rote Armee Fraktion (RAF). Deren Mitglieder wurden 1972 größtenteils gefasst. Um Erleichterungen bei den Haftbedingungen zu erreichen, kam es immer wieder unter ihnen zu Hungerstreiks. Einem solchen erlag am 9. November 1974 das inhaftierte RAF-Mitglied Holger Meins. Einer von Meins' Anwälten war der spätere Bundesinnenminister Otto Schily. Ob Meins' Tod von seinen Mithäftlingen nur billigend in Kauf genommen wurde oder auf deren „Befehl abzukratzen“, wie es der Linksterrorist Hans-Joachim Klein später formulierte, geschah, sei dahingestellt. Fakt ist, dass Meins' vermeintlicher Märtyrertod die weitere Radikalisierung der RAF befeuert hat.

Einen Tag später erschoss die „Bewegung 2. Juni“ in Berlin Kammergerichtspräsident Günter von Drenkmann. Als die Terrorgruppe, die nach dem Todesdatum von Benno Ohnesorg benannt war, der bei einer Demonstration am 2. Juni 1967 in West-Berlin von dem Berliner Polizisten Karl-Heinz Kurras erschossen worden war, im Februar 1975 den Berliner CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz entführte und die Freilassung von inhaftierten Gruppenmitgliedern forderte, gab Bundeskanzler Helmut Schmidt nach. Die Terroristen flogen in den Jemen aus, Lorenz wurde im Gegenzug freigelassen, wie in der PAZ vom 21. Februar nachzulesen ist. Der rote Terror hatte verstanden: Geiselnahme war ein funktionierendes Mittel, um den Staat zu erpressen.

Erfahrung der Lorenz-Entführung
Vor einem halben Jahrhundert, am 24. April 1975, verschafften sich Karl-Heinz Dellwo, Siegfried Hausner, Hanna Krabbe, Bernhard Rössner, Lutz Taufer und Ulrich Wessel unter dem Vorwand, Pässe zu benötigen, um 11.50 Uhr Zugang zur deutschen Botschaft in Stockholm. Sie waren mit Pistolen und Sprengstoff ausgestattet und nannten sich „Kommando Holger Meins“. Die sechs Terroristen nahmen in der deutschen Botschaft zwölf Geiseln. Rund 90 Mitarbeiter und Besucher der Botschaft konnten über die normalen Ausgänge und über die Feuerleiter das Botschaftsgebäude verlassen.

Die Terroristen trieben ihre Geiseln im Büro des Botschafters im dritten Stockwerk zusammen und zwangen sie, sich auf den Boden zu legen. Das Terrorkommando wollte mit den Geiseln 26 in Gefängnissen sitzende Gesinnungsgenossen freipressen. Um die Stockholmer Polizei, die mittlerweile den ersten Stock der Botschaft besetzt hatte, zum Abzug zu bewegen, drohten die Terroristen mit der Erschießung der Geiseln und setzten eine Frist bis 14 Uhr. Für die Verhandlung mit der schwedischen Polizei in deren Landessprache suchten sich die Geiselnehmer gezielt Andreas Baron von Mirbach heraus. Der 1931 in Riga geborene Oberstleutnant im Generalstab war Militärattaché an der Botschaft. „Es war klar, dass er der erste auf ihrer Liste war“, sagte Jahre später seine Ehefrau Christa von Mirbach in einem Rundfunkinterview. Es sei „ein echter Countdown seines Lebens gewesen, das war ihm klar“.

Als die Frist um war, schossen die Terroristen von Mirbach von hinten fünfmal in den Rücken und den Kopf und stießen den Schwerverletzten die Treppen herunter. Sein Gesicht sei zerfetzt gewesen, die Treppenstufen voller Blut, erinnerte sich später seine Witwe. Von Mirbach habe noch gut eine Stunde lang geröchelt. Dann erlaubten die Geiselnehmer zwei bis auf Unterhosen entkleideten Polizisten den Abtransport. Von Mirbach wurde zwar noch operiert, starb aber am späten Nachmittag an seinen schweren Verletzungen.

In Bonn lehnte Bundeskanzler Helmut Schmidt im Krisenstab ab, auf die Forderungen einzugehen: „Meine Herren, mein ganzer Instinkt sagt mir, dass wir hier nicht nachgeben dürfen.“ Die im Regierungssitz aufgrund einer angesetzten Konferenz ohnehin versammelten Ministerpräsidenten und Parteichefs treffen zu Krisensitzungen zusammen und leisteten „eine Art Rütli-Schwur“, wie es im Rundfunk hieß. Alle hochrangigen Politiker der Bundesrepublik teilten demnach die Entscheidung, dass der Staat sich nicht erpressen lassen dürfe, und niemand eine Stellungnahme abgeben werde.

Tödliche Schüsse und 15 Kilo TNT
Derweil platzierten die Terroristen im Stockholmer Botschaftsgebäude 15 Kilogramm Trinitrotoluol (TNT) und führten den Sprengstoff mit Kabeln an einer Zündstelle zusammen. Sie hatten als nächste Frist 22 Uhr festgelegt. Sollten bis dahin ihre Forderungen nicht erfüllt sein, sollte ein weiter Botschaftsangehöriger erschossen werden. Nach Ablauf des Ultimatums waren in der Botschaft zunächst Schüsse zu hören – wohl aber nur Warnschüsse. Kurz darauf verkündete das schwedische Fernsehen, dass Bonn nicht auf die Forderungen eingehen werde. Als den Geiselnehmern bewusst wurde, dass es nicht zur Freilassung von Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und den weiteren inhaftierten RAF-Terroristen kommen würde, entschlossen sie sich zu einer weiteren dramatischen Tötung. Um 22.20 Uhr zerrte einer der Terroristen den Wirtschaftsattaché der Botschaft, Heinz Hillegaart, ans Fenster und erschoss ihn öffentlich.

Anschließend ließen die Geiselnehmer einige Geiseln frei. Dann geschah zunächst nichts, bis um 23.46 Uhr eine gewaltige Explosion das Botschaftsgebäude erschütterte und schwer beschäfigte. Der Sprengstoff war detoniert, weil, wie später ermittelt wurde, einer der Terroristen über ein Kabel gestolpert war. Alle Kommandomitglieder und Geiseln erlitten Verbrennungen, bei den Terroristen Wessel und Hausner waren sie tödlich.

1977 verurteilte das Oberlandesgericht Düsseldorf die vier überlebenden Terroristen zu jeweils zweimal lebenslanger Haft wegen gemeinschaftlichen Mordes in zwei Fällen und weiteren Delikten. Sie wurden bereits in den 1990er Jahren sukzessive wieder aus der Haft entlassen.


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