13.12.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden

Baumeister

Meister des expressionistischen, ornamentalen Bauens mit Klinker

Das Chilehaus und der Sprinkenhof in Hamburg stammen ebenso von dem vor 75 Jahren gestorbenen gebürtigen Preußen Fritz Höger wie das Verlagshaus des „Hannoverschen Anzeigers“ und die Kirche am Hohenzollernplatz in Berlin-Wilmersdorf

Steffen Adam
20.06.2024

Im Frühjahr 1924 feierte das Chilehaus in Hamburg Einweihung. Zeitgenossen aller Couleur und Fachrichtungen
waren sich einig, dass sich etwas Außergewöhnliches ereignet hatte: Der Expressionismus in der Architektur hatte – insbesondere durch das Foto der Gebrüder Dransfeld aus der Froschperspektive gegen die Spitze des Gebäudes – seine weltweit bekannte Ikone erhalten (siehe auch S. 21). Der Gebäudetyp Kontorhaus, aus mittelalterlichen Hansetagen stammend, war gleichsam vorbildlich in das 20. Jahrhundert übertragen.

Der Klinker, der hartgebrannte Ziegelstein, war ebenfalls durch ornamentales Vermauern als ganzer Stein, aber aufrecht, hochkant oder gedreht, mustergültig im Expressionismus, in der Moderne, im Neuen Bauen angekommen.

Zu Fritz Höger, dem Architekten mit dem „Bauedelstein“ Klinker, gibt es in diesem Jahr einen weiteren Gedenktag: Vor 75 Jahren ist er in Holstein gestorben. Die Heimat, so entnimmt man es Högers Schriften, der Fachliteratur, aber auch Högers Bauen mit Klinker, war diesem Baumeister offenbar das Wichtigste im Leben und Streben. Selbst geographisch ist Höger mit Wohnsitzen und Werken auf den südlichen Teil Holsteins konzentriert. Sogar seine Planungen in Berlin, Hannover und Wilhelmshaven muss man zum Norddeutschen Kulturkreis rechnen. Synonyme, die Höger zur Beschreibung der Heimat verwendet, sind neben norddeutsch, niederdeutsch, holsteinisch, germanisch und, ja auch, völkisch.

Johann Friedrich (Fritz) Höger wurde am 12. Juni 1877 in Bekenreihe, einem Weiler nordwestlich der Gemeinde Kiebitzreihe, in Holstein, geboren. Als Folge der ersten beiden Einigungskriege, des Deutsch-Dänischen Kriegs von 1864 und des Deutschen Kriegs von 1866, war dieses Herzogtum an Preußen gefallen. Seit dem frühen Mittelalter siedelten im Marschland nördlich der Elbe Holsten, Dithmarscher und Stormaner Sachsen. Das Marschland im Südwesten Holsteins war außerordentlich fruchtbar. Die Bewohner waren Landwirte und sind es noch heute. Sie trotzten dem Meer und der Elbmündung immer wieder Land ab – und verloren es wieder an den „Blanken Hans“. Es war ein hartes, mühsames Leben, dass zwar die Familie ernährte, aber Ende des 19. Jahrhunderts immer weniger abwarf.

Verbundenheit mit der Heimat
Martin Höger, der Vater, betrieb als Kleinbauer zusätzlich eine kleine Zimmerei. Seine sechs Kinder halfen seit frühester Jugend auf dem Feld und im väterlichen Handwerk. Fritz Höger erhielt zunächst die übliche einfache Dorfschulbildung – bildungsferne Schichten, wie wir heute sagen würden. Immerhin konnte Höger als erstgeborener Sohn 1893 eine Lehre zum Zimmermann bei Julius Wiese im nahen Elmshorn beginnen und 1896 mit Gesellenbrief abschließen. Parallel besuchte er die Abendschule und schrieb sich an der staatlichen Baugewerkschule Hamburg ein. In ihr wurden während des Winters, wenn die meisten Bautätigkeiten zum Erliegen kamen, Bauhandwerker in Baumaterialienkunde, Baukonstruktionslehre, Baugeschichte, Formen- und Baustillehre, Zeichnen sowie Bautechniken geschult. Der Schwerpunkt in Norddeutschland lag auf dem Bauen mit Backstein und Ziegeln nach (neo-)gotischem Geschmack. 1896 legte Höger erfolgreich die Prüfung zum Baugewerksmeister ab.

Allerdings blieben Höger mangels Hochschulreife weiterführende Studien an technischen Hochschulen oder gar Diplome oder Examina verwehrt. Dem später höchst erfolgreich als Architekt arbeitenden Aufsteiger wurde noch 1920 die Aufnahme in den Bund Deutscher Architekten mit Hohn und Spott verwehrt. Höger nannte sich deshalb immer Baumeister.

Die Jahrhundertwende wurde für Höger zur Lebenswende. Er siedelte im 23. Lebensjahr nach Hamburg um. Dort erhielt er eine Anstellung im Architekturbüro Lundt & Kallmorgen. Prägender war für Höger jedoch seine Tätigkeit im Bauunternehmen des Maurermeisters Fritz Oldenburg. In deren Rahmen lernte er den unerhörten Variantenreichtum vom Mauerwerk aus Backstein, Ziegeln und Klinkern an praktischen Beispielen kennen und sammelte diesbezügliche Erfahrungen. 1907 eröffnete Höger in Langenhorn – damals nördlich von Hamburg – sein Architekturbüro. Am Anfang standen Villen und Landhäuser für die bürgerliche Mittelschicht. Das Büro gewann an Mitarbeitern und weiteren Aufträgen, zum Beispiel für das 1909 errichtete Kontorhaus Heinrich Niemann am Rödingsmarkt im Zentrum von Hamburg. Zusammen mit dem Journalisten und Schriftsteller Paul Bröcker schrieb Höger 1910 das Buch „Die Architektur des hamburgischen Geschäftshauses.

Ein zeitgemäßes Wort für die Ausbildung der Mönckebergstraße“. Mit ihm gelang der regionale Durchbruch als Architekt. Nach seinen Plänen entstanden 1912 das Rappoldhaus und 1913 das Klöpperhaus in der Hamburger Mönckebergstraße, 1913/14 der Sitz der Handelskammer der Hansestadt. Ebenso gehören zu seinem Werk Umbau und Erweiterung des Sitzes der Hamburg-Amerika-Paketschiff AG (HAPAG) am Ballindamm an der Binnenalster von 1913 bis 1919. Während des Ersten Weltkriegs plante und baute Höger mehr auf dem Lande in Holstein.

Nach dem Krieg fielen viele Entwürfe Högers den Nachkriegswirren und der Hyperinflation zum Opfer. Eine kleine Siedlung in Sasel nördlich von Hamburg wurde 1921 gebaut. Trotz der Verarmung Deutschlands als Folge des verlorenen Ersten Weltkriegs fiel in diese Zeit der Auftrag des Bankiers und Unternehmers Henry Brarens Sloman, ein Kontorhaus zu errichten, wie es die Welt noch nicht gesehen hat: das eingangs erwähnte Chilehaus.

Höger ist auf dem Gipfel seines Ruhmes. Zu seinen bekanntesten Projekten in den Weimarer Jahren gehören neben dem Chilehaus sicherlich der Sprinkenhof in Hamburg, das Verlagshaus des „Hannoverschen Anzeigers“ und die Kirche am Hohenzollerndamm in Berlin-Wilmersdorf. Dazu kommen rund siebzig weitere Entwürfe und/oder Umsetzungen großen Umfangs. Das hätte genug sein können für ein Lebenswerk. Er hätte seinen wahrhaft verdienten Ruhm genießen, ab und an ein gewichtiges Wort als Olympier in die Debatte werfen, eine Professur honoris causa ausüben, Orden und andere Ehrungen entgegennehmen können.

Durchbruch in Hamburg
Es kam anders. Analog dem Maler Hans Emil Hansen aus Nolde bei Tondern in Schleswig oder dem Bildhauer Arminius Hasemann aus Berlin beschloss Höger, seine Baukunst den Nationalsozialisten als Vorbild für nationalsozialistische Baukunst anzudienen. Noch vor deren „Machtergreifung“, nämlich am 1. September 1932, wurde er mit der Mitgliedsnummer 1.327.593 NSDAP-Mitglied. 1938 ließ er das Gedicht „Künstlertum ist Führertum“
veröffentlichen.

Da hatten Leute wie Albert Speer allerdings bei Adolf Hitler schon lange das Verdikt „entartet“ durchgesetzt. Man ließ Nolde, Hasemann und Höger bis auf einige Gemeinheiten wie dem Ausschluss vom Reichskultursenat oder aus der Reichskammer der bildenden Künste zwar unbehelligt, aber mit der Karriere war es bei allen dreien mehr oder minder vorbei.

Daran änderte auch das Ende der NSHerrschaft nichts, bei dem Höger immerhin schon 68 Jahre alt war. Die Bauaufgabe „Kontorhaus“ war obsolet geworden – wer bis dahin sich keines hatte bauen lassen, holte dieses auch nicht mehr nach. Das letzte vollendete Werk von Höger wurde am 8. September 1946 in Itzehoe enthüllt. Es war das deutschlandweit erste Mahnmal zur Erinnerung an Opfer des Nationalsozialismus. Initiator war der Holocaust-Überlebende Gyula Trebitsch.

Nachdem der spätere Filmproduzent in Hamburg das Chilehaus gesehen hatte, hatte er dessen seit 1945 wieder unweit von Itzehoe in Bekenreihe wohnenden Architekten um die Gestaltung gebeten. Drei Jahre nach der Einweihung, am 21. Juni 1949, ist Höger in Bad Segeberg gestorben.

Steffen Adam ist Mitglied im Vorstand des Architekten- und Ingenieurvereins zu Berlin-Brandenburg. Schwerpunkte der Arbeit des Architekten und Bauhistorikers mit ostpreußischen Wurzeln sind die Sanierung und Instandsetzung von Verkehrs-, Gewerbe- und Wohnbauten im Bestand sowie die Vermittlung von Baudenkmalen und denkmalwerter Substanz.


Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie die PAZ gern mit einer

Anerkennungszahlung


Kommentar hinzufügen

Captcha Image

*Pflichtfelder

Da Kommentare manuell freigeschaltet werden müssen, erscheint Ihr Kommentar möglicherweise erst am folgenden Werktag. Sollte der Kommentar nach längerer Zeit nicht erscheinen, laden Sie bitte in Ihrem Browser diese Seite neu!

powered by webEdition CMS