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Der Wochenrückblick

Menetekel eines Neuanfangs?

Die Fußballeuropameisterschaft zwischen Sport und Politik

Reinhard Mohr
29.06.2024

Ob „Sommermärchen“ oder „Wunder von Bern“ – Europa- und Weltmeisterschaften, die großen Fußballturniere, schreiben nicht nur Sportgeschichte, sie sind auch Teil der nationalen Geschichte und daher hochpolitisch. Sie sorgen für kollektive Gefühlsaufwallungen, die sich tief in die Erinnerung graben, und formen Legenden, die auch zu Marksteinen der jüngsten Zeitgeschichte werden.

1954, 1974, 1990, 2014, Zusatzzahl 2006: Die vier deutschen Weltmeistertitel plus das „Sommermärchen“ in Schwarz-Rot-Gold sind auch unvergessliche Wegmarken der Bundesrepublik, die für die jeweilige historische Phase stehen. Der Sieg gegen die favorisierten Ungarn in Bern 1954 wirkte wie ein seelischer Befreiungsschlag neun Jahre nach dem katastrophal verlorenen Krieg, nach NS-Herrschaft und Holocaust. Deutschland war wieder im Kreise der zivilisierten Staaten Europas aufgenommen worden, das Wirtschaftswunder begann, und man durfte wieder ein bisschen stolz sein auf jenes Land, dessen „Führer“ eben noch halb Europa erobert und verwüstet hatte.

Zwanzig Jahre später hatte die Republik schon die Revolte von 1968 überstanden, die terroristische RAF bombte sich gerade durch den revolutionären „Guerillakrieg“, während unter Bundeskanzler Willy Brandt eine neue Reformära Gestalt annahm. Deutschland hatte die Nachkriegszeit hinter sich gelassen, und der coole Hippie-Wuschelkopf Paul Breitner repräsentierte den neuen, modernen Geist der Zeit: Ein bisschen aufmüpfig, aber auch effektiv – Gerd Müller, der „Bomber der Nation“, schoss nicht zufällig das 2:1 gegen Finalgegner Holland.

Der Sommer 1990 war der „Honeymoon“ der bevorstehenden Einheit mit einer deutschen Mannschaft, die die „Lichtgestalt“ Franz Beckenbauer mit scheinbar leichter Hand zum Weltmeistertitel führte. In Berlin schwenkten selbst junge Türken die Deutschlandfahne und machten die Nacht zum Tage.

Es dauerte 24 Jahre, bis das Land wieder im Freudentaumel war und Mario Götze im Stadion von Rio de Janeiro das Siegtor gegen Argentinien schoss. Ein vorerst letzter Glücksmoment. 2014 hatte sich die deutsche Wirtschaft erstaunlich gut von der großen Finanz- und Schuldenkrise seit 2008 erholt, und noch war die große Migrationswelle mit all ihren problematischen Folgen, die ein Jahr später einsetzte, nicht in Sichtweite. Angela Merkel war auf dem Höhepunkt ihrer Macht und besuchte „die Mannschaft“ sogar in der Kabine, wo sie dem halbnackten Mesut Özil die Hand gab. Nicht viel später gab er sie Recep Tayyip Erdoğan, seinem neuen Idol.

Und jetzt? Zeitenwende? Ampeldämmerung? Neuwahlen? Olaf go home? Friedrich Merz ante portas?! Es scheint jedenfalls, dass sich nach Jahren einer bleiernen Lähmung, in denen die rot-grün geprägte politisch-mediale Klasse wie das Kaninchen vor der Schlange stand und auf die immer stärker werdende AfD nur mit immer lauteren Kampfrufen „gegen Rechts“ antwortete, die rechthaberische Begriffsstutzigkeit zu schwinden beginnt. Plötzlich gibt es, vor allem bei den Themen Asyl und Wirtschaft, eine neue Entschlossenheit, die Probleme anzugehen.

Sinnbild der Zeitenwende?
Das Mantra des „Kampfes gegen Rechts“, das dem „Amen“ in der Kirche immer ähnlicher wurde, weicht neuen Einsichten, auch wenn es zuletzt noch einmal einen Höhepunkt erklomm mit den Großdemonstrationen gegen eine angeblich geplante „Deportation“ von Millionen Migranten. Auch die inzwischen drei Prozesse gegen angebliche Putschpläne von „Heinrich dem Dreizehnten“ und seine operettenhaften Spießgesellen lassen eher an „Lummerland“ und „Alfons den Viertelvorzwölften“ denken als an einen kurz bevorstehenden bewaffneten Staatsstreich.

Die Parallelen zum Spiel der Nationalmannschaft sind offenkundig. Schon in den letzten Merkel-Jahren geriet das Ballgeschiebe zum mutlosen Kicken, eigentümlich ziel- und orientierungslos. Bei der Weltmeisterschaft in Katar 2022 schied die Mannschaft schon in der Vorrunde aus. Im Gedächtnis blieb einzig der Kampf um die Regenbogenbinde, mit der man die richtige Gesinnung demonstrieren wollte.

Das hat sich nun deutlich geändert, wie die ersten Spiele der deutschen Mannschaft gezeigt haben. Ein neuer Geist scheint sich etabliert zu haben; ja, auch ein bisschen altdeutscher Sturm und Drang, Einsatzwille, Hoffnung und Risikobereitschaft – jener Optimismus, den man braucht, um einen erfolgreichen Angriff zu starten. Alles in einem: neues Selbstbewusstsein.

Wenn die Eindrücke nach den ersten zwei Wochen der Europameisterschaft nicht täuschen, dann offenbart sich in den Stadien wie in den „Fan-Zonen“, in denen sich zehntausende junge Leute versammeln, nicht zuletzt ein lange vernachlässigtes Bedürfnis, stolz zu sein auf das eigene Land. Es ist auch ein Bedürfnis nach Identifikation, das sich durch noch so viele Windräder, Solarzellen und Wärmepumpen nicht stillen lässt, mit denen das Weltklima gerettet werden soll.

Ein neuer Offensivgeist
Genau das hat sehr lange gefehlt, im Fußball und in der Politik. Symptomatisch das oft hingemümmelte, ton-, mut- und ausdruckslose, regelrecht gepresste Sprechen des Kanzlers, bei dem eine grundsätzliche Ängstlichkeit, klare Entscheidungen zu treffen, zu spüren ist. Gündogan und Musiala, Kroos und Kimmich sind da anders drauf, und es braucht gar nicht die übliche deutsche Patriotismus-Debatte, um zu begreifen, dass schlicht ein kollektiver Offensivgeist nötig ist, um den ständig bemühten „Zusammenhalt“ der Gesellschaft von seiner Phrasenhaftigkeit zu befreien.

Doch es war wieder einmal eine Spitzenkraft der Grünen, die für Spaltung sorgte – und für den bislang peinlichsten Moment der Europameisterschaft. Just nach dem bejubelten Ende des 2:0-Siegs über Ungarn twitterte die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, Katrin Göring-Eckardt, wie eine Lehrerin auf Klassenfahrt: „Stellt euch kurz vor, da wären nur weiße deutsche Spieler!“

Auch wenn sie ihren Tweet kurz darauf löschte: Ihre durch und durch ideologiegetränkte Haltung hat es ihr nicht erlaubt, einfach mitzujubeln über die Tore von Musiala und Gündogan. Nein, sie musste daran erinnern, wie rassistisch Deutschland in ihren Augen ist: ein Land, in dem „die Weißen“ leider immer noch in der Mehrheit sind und zwischen Jägerzaun und Gartenzwergen unbelehrbar ihre Ressentiments pflegen. In ihrem dummen Furor hat Göring-Eckardt gar nicht bemerkt, dass sie selbst rassistisch argumentiert, indem sie die Hautfarbe zum Kriterium macht. Was sie wohl gedacht haben mag, als den rettenden Ausgleich gegen die Schweiz der „bio-deutsche“ Niclas Füllkrug schoss?

In jedem Fall ist der aktuelle Niedergang der Ökopartei hochverdient.

Also doch Zeitenwende? Die Europameisterschaft 2024 als Menetekel eines politischen Neuanfangs?

Erinnern wir uns an die ewige Fußballerweisheit: „Entscheidend is auf'm Platz.“


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Kommentare

Annegret Kümpel am 01.07.24, 19:14 Uhr

Hoffnung machen die ganz jungen Menschen, die offensichtlich keine ÖRR konsumieren und alternative Medien zum Eigenständigen denken lesen und ansehen. Bravo!

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