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Kriminalität

Messergewalt verändert Berlin

Die Angst im öffentlichen Raum wächst – Menschen schauen weg, um nicht selbst Opfer zu werden

Hermann Müller
23.08.2024

Fast jeden Tag berichten Medien mittlerweile über Gewalttaten, bei denen Opfer mit Messern niedergestochen werden. Angesichts der Vielzahl solcher Vergehen bleiben vielen Menschen oft nur noch Fälle im Gedächtnis, die Besonderheiten aufweisen. Die Messerattacke von Mannheim auf den Islam-Kritiker Stürzenberger, bei der ein junger Polizeibeamter erstochen wurde, hätte vermutlich nicht so hohe Wellen geschlagen, wenn eine Kamera nicht zufällig das Geschehen aufgenommen hätte. Das entstandene Video verbreitete sich rasch im Internet und zeigte die Brutalität des Angriffs. Zur Kenntnis nehmen musste die Öffentlichkeit hier, dass nicht einmal massive Polizeipräsenz den Messerstecher von seiner Tat abgeschreckt hat.

Auch ein Angriff auf eine private EM-Party im sachsen-anhaltischen Wolmirstadt erregte Aufsehen. Der Fall zeigte, wie schnell ahnungslose Durchschnittsbürger mittlerweile zum Opfer eines Messerangriffs werden können. Nachdem er bereits einen Landsmann erstochen hatte, war ein 27-jähriger Afghane plötzlich auf einer Gartenparty aufgetaucht und hatte drei der feiernden Gäste niedergestochen. Vorher hatte es zwischen dem Messerstecher und den Opfern keinen Streit, nicht einmal einen Kontakt gegeben.

Schon wegen Lappalien
In Berlin lösen mittlerweile nur noch Schlagzeilen wie „Drei Messer-Attacken innerhalb von 24 Stunden“ ein gesteigertes Interesse bei Zeitungslesern aus. Tatsächlich ist die reale Lage noch viel alarmierender, als dies die zahlreichen Einzelfallmeldungen vermuten lassen. Die Polizei der Hauptstadt registrierte vergangenes Jahr 3842 Fälle von Messerkriminalität. Im Schnitt griffen damit jeden Tag mehr als zehnmal Täter zu einem Messer – entweder um ihren Opfern Verletzungen beizubringen, oder um Opfer zu bedrohen oder auszurauben.

Für dieses Jahr ist mit noch höheren Zahlen zu rechnen. Die Berliner Charité hat unlängst gemeldet, sie habe im ersten Halbjahr so viele Stichverletzungen behandelt wie sonst in einem ganzen Jahr. Der Geschäftsführende Direktor des Centrums für Muskuloskelettale Chirurgie, Ulrich Stöckle, erklärte gegenüber dem Sender rbb: „Wir sehen im Anstieg dieser Verletzungen einfach auch eine offensichtlich deutlich niedrigere Schwelle für diese Körperverletzungen in der Gesellschaft.“ Der Charité-Mediziner erinnerte dabei an den Fall eines Mannes, der im Juli im Stadtteil Gesundbrunnen bei einer Lappalie – dem Streit um einen Parkplatz – niedergestochen wurde und verstarb.

Fälle wie diese entfalten eine schleichende Wirkung auf die Gesellschaft. Jeder Messerangriff ist geeignet, das Gefühl von Unsicherheit wachsen zu lassen. Mittlerweile fühlen sich bereits 40 Prozent der Deutschen laut einer Umfrage von Infratest Dimap im öffentlichen Raum nicht mehr sicher.

Die Gefahr, plötzlich ein Messer in die Halsschlagader oder den Bauch gerammt zu bekommen, befördert neben dem Rückzug der Bürger aus dem öffentlichen Raum auch die Tendenz, dass viele Menschen lieber „wegsehen“. Die „Berliner Zeitung“ berichtete unlängst in einer Reportage über den Kriminalitätsschwerpunkt Leopoldplatz, wie eine Gruppe Jugendlicher einen Obdachlosen drangsaliert. Einzig ein gebürtiger Türke wagt es, von der anderen Straßenseite aus die Jugendlichen zum Aufhören aufzufordern. „Niemand ist eingeschritten, aus Angst, selbst verletzt zu werden“, so der Mann. Er erklärt: „Die Jungs sind gefährlich, fast alle tragen ein Messer bei sich und sind, leider Gottes, meistens Ausländer.“

„3500 Beamte zusätzlich nötig“
Mit dem Anwachsen des Gefühls, im öffentlichen Raum nicht mehr sicher zu sein, erodiert bei den Bürgern auch das Vertrauen in den Staat. Dieser „doktert“ mittlerweile seit Anfang der 1970er Jahre daran herum, dass „Messerrecht“ immer wieder zu verschärfen. Ein Blick in die aktuelle Kriminalstatistik zeigt, wie erfolglos diese jahrzehntelangen Bemühungen waren. Entstanden ist mit den Verschärfungen lediglich eine selbst für Polizeibeamte mitunter schwer zu durchschauende Gesetzeslage.

Berlins schwarz-rote Rathauskoalition will nun Messerverbotszonen an kriminalitätsbelasteten Orten ermöglichen. Solche Verbotszonen geben der Polizei die Möglichkeit, Personen gezielt nach Messern zu durchsuchen. Für solche Verbotszonen spricht sich auch Heiko Teggatz, Vorsitzender der Bundespolizeigewerkschaft, aus.

Teggatz wies allerdings zudem darauf hin, dass auch ausreichend Personal zur Verfügung gestellt werden müsse, um solche Verbotszonen zu kontrollieren. Nach Angaben des Polizeigewerkschafters wären allein bei der Bundespolizei bis zu 3500 zusätzliche Polizisten notwendig, um auf Deutschlands Bahnhöfen konsequent Kontrollen nach Messern durchführen zu können.


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