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Mielkes Trauma

Am 17. Juni 1953 stand die Diktatur in der DDR zum ersten Mal vor dem Zusammenbruch. Nur der Einsatz sowjetischer Truppen sicherte ihr das Überleben. Als Konsequenz bauten die Machthaber den Sicherheitsapparat massiv aus

Hubertus Knabe
17.06.2023

Für Stunden hatte die SED die Macht verloren: Rund eine Million Menschen gingen am 17. Juni 1953 in der ganzen DDR auf die Straße und forderten den Rücktritt der Regierung. Um die Funktionäre vor dem Zorn der Bevölkerung zu schützen, sahen sich die Sowjets gezwungen, die Parteispitze in ihr Hauptquartier nach Berlin-Karlshorst zu evakuieren. Als Walter Ulbricht von dort am Mittag im Gebäude des Zentralkomitees anrief, bekam er zur Auskunft, dass Demonstranten gerade dabei seien, dieses zu erstürmen. Mit bleichem Gesicht brachte der Chef der SED nur noch ein einziges Wort hervor: „Aus.“

Die Volkserhebung am 17. Juni 1953 wurde zum Trauma der SED-Führung. Wütende DDR-Bürger hatten binnen weniger Stunden 140 Partei- und Verwaltungsgebäude besetzt. Auch Polizeidienststellen und Gefängnisse waren in ihre Hände gefallen. Die Sicherheitskräfte hatten auf ganzer Linie versagt, vor allem die schlecht ausgerüsteten Polizisten hatten häufig einfach die Flucht ergriffen. Hätten die sowjetischen Truppen den Aufstand nicht mit 16 Divisionen niedergeschlagen, wäre das Regime der SED schon vier Jahre nach Gründung der DDR gestürzt worden.

Ausbau des Sicherheitsapparats
Nach der Niederschlagung des Volksaufstands setzte die SED alles daran, eine Wiederholung für alle Zeiten auszuschließen. Die Parteispitze sorgte deshalb dafür, dass der Sicherheitsapparat systematisch ausgebaut wurde. Bei der Verteilung der knappen Ressourcen genossen Polizei, Armee und Staatssicherheitsdienst hinfort höchste Priorität.

Schon wenige Tage nach der Erhebung verlangte der Chef der Deutschen Volkspolizei, Karl Maron, knapp 16.000 zusätzliche Polizisten. Der spätere Innenminister und Stiefvater der Schriftstellerin Monika Maron forderte außerdem 4800 Maschinenpistolen, 10.000 Karabiner, 144 Panzerspähwagen und 30 Wasserwerfer – Ausrüstungen, die ihm während des Aufstands gefehlt hatten.

Den Wunsch der SED nach mehr Waffen hatten die Sowjets zuvor immer abgelehnt. Noch in den ersten Stunden des Aufstands hatten sie den Gebrauch der Schusswaffe untersagt. Doch nachdem ihre Statthalter in der DDR beinahe die Macht verloren hätten, änderten sie ihre Meinung. Der sowjetische Krisenstab in Karlshorst schrieb nach Moskau über den künftigen Bedarf der Volkspolizei: „Sie ist mit modernen Waffen auszurüsten, einschließlich Schützenpanzerwagen, Panzerspähwagen und Kommunikationsmitteln.“ Am Ende erhielt die Volkspolizei 14.000 neue Planstellen.

Auch die DDR-Armee, damals noch als „Kasernierte Volkspolizei“ kaschiert, sollte in Zukunft bei Unruhen eingesetzt werden. „Aus den derzeitigen kasernierten Polizeieinheiten“, so der Krisenstab, „sind ausreichend starke mobile Bereitschaftstruppen der Volkspolizei zu schaffen, die fähig sind, ohne Hilfe sowjetischer Truppen die Aufrechterhaltung von Ordnung und Ruhe in der Republik zu gewährleisten.“ Die mehr als 100.000 Soldaten bekamen dafür Wasserwerfer und eigene Munition. Zudem wurden sie vorrangig in Gebieten stationiert, in denen die Unruhen am größten gewesen waren.

Um Proteste wie im Juni 1953 schon bei der Entstehung zu ersticken, beschloss die SED im Juli darüber hinaus, die bis dahin nur in einigen Werken existierenden „Arbeiterwehren“ zu straff organisierten „Kampfgruppen“ auszubauen. Die Einheiten wurden von Offizieren ausgebildet und konnten vom Parteisekretär des Betriebs jederzeit zum Einsatz befohlen werden. 1957 standen bereits 150.000 mit Karabinern bewaffnete Kämpfer bereit, um Unruhen in den DDR-Betrieben niederzuschlagen.

Als es 1956 auch in Ungarn zu einem Aufstand kam, wurde der SED noch einmal bewusst, wie fragil ihr Regime war. Auf der nächsten Sitzung des Zentralkomitees schärfte Erich Honecker deshalb den Mitgliedern ein: „Wir tragen eine große Verantwortung dafür, daß die bewaffneten Kräfte unserer Arbeiter-und-Bauern-Macht, die Nationale Volksarmee, die Deutsche Volkspolizei und die Kampfgruppen der Arbeiterklasse, zu jeder Zeit in der Lage sind, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Kräften die Ruhe und Ordnung sicherzustellen und eventuelle Provokationen im Keime zu ersticken, zu unterdrücken und zu zerschlagen.“

Die Aufrüstung der Stasi
Soweit sollte es allerdings möglichst gar nicht erst kommen. Geplante Proteste sollte die Geheimpolizei der DDR vielmehr schon im Vorfeld erkennen und verhindern. Im Juli 1953 hatte Ulbricht dem Ministerium für Staatssicherheit vorgeworfen, „im Kampf gegen die feindlichen Agenturen völlig versagt“ zu haben. Es habe über keinerlei Anhaltspunkte verfügt, die „auf die groß angelegte feindliche Provokation hingewiesen“ hätten.

Auch die Sowjets monierten, dass die Stasi nicht über die angespannte Lage in der DDR informiert hätte. Sie ordneten deshalb an, dass die ostdeutsche Geheimpolizei bereits ab dem 17. Juni täglich Lageberichte erstellte. Im August 1953 wurden zudem sogenannte Informationsgruppen gebildet, die alles einlaufende Material zusammenführen und auswerten sollten. Die daraus hervorgegangene Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) wuchs bis 1989 auf mehr als 450 Mitarbeiter.

Systematischer als vorher suchte die Stasi auch nach verdächtigen Personen. Eine Dienstanweisung ordnete im Dezember 1953 an, sämtliche Aktenvorgänge zu überprüfen und neu zu registrieren. Zur Begründung hieß es: „Vor Beginn der Provokation sowie auch in den Tagen der aktiven Auftritte des Feindes kannten die Organe für Staatssicherheit die Orte der Konzentrierung feindlicher Elemente nicht und konnten deshalb auch die von Feinden am meisten verunreinigten Abschnitte nicht rechtzeitig feststellen.“

Am 17. Juni hatten Demonstranten in Bitterfeld, Görlitz und weiteren Orten auch Kreisdienststellen der Stasi gestürmt. In Jena musste ein Stasi-Mitarbeiter anschließend auf dem Marktplatz öffentlich Rede und Antwort stehen, in Niesky wurden mehrere MfS-Angehörige in den Hundezwinger der Dienststelle gesperrt. Die SED-Spitze beschloss deshalb, die Kreisdienststellen personell besser auszurüsten. Im September 1953 verfügte sie, dass 1500 zuverlässige und geschulte SED- und FDJ-Mitglieder zusätzlich beim Staatssicherheitsdienst eingestellt würden.
Und dabei blieb es nicht. Nach der Niederschlagung des Aufstands erhielt die Stasi durchschnittlich jedes Jahr 2000 neue Mitarbeiter. Am Ende erreichte sie auf diese Weise Armeestärke. Hatte sie 1953 noch knapp 13.000 hauptamtliche Mitarbeiter, waren es im Herbst 1989 rund 91.000.

Stete Angst vor neuen Unruhen
Erweitert wurde auch das geheime Informantennetz. Insbesondere frühere leitende Angestellte der Großbetriebe sowie ehemalige Sozialdemokraten und Mitglieder der Blockparteien sollten damit stärker überwacht werden. In Versammlungen schärfte die SED den Stasi-Mitarbeitern ein, gegen Kritiker entschlossen vorzugehen. „Wir müssen hart und rücksichtslos zuschlagen. Für knieweiche Pazifisten oder Mondgucker ist in unseren Reihen kein Platz“, schurigelte sie ein hoher Parteifunktionär.

Aus Angst vor neuen Unruhen galt hinfort jedes Jahr am 17. Juni höchste Alarmbereitschaft beim Staatssicherheitsdienst. 1954 bildete der spätere Stasi-Minister Erich Mielke erstmals einen zentralen Einsatzstab. Unter dem Codewort „Bollwerk“ hatten ihm alle Stasi-Dienststellen im Vorfeld des Jahrestages zweimal täglich über Hinweise auf mögliche Aufstandsvorbereitungen zu berichten. „Es ist besonders darauf zu achten, dass an diesem Tage alle arbeiten“, hieß es in seinem Befehl. Darüber hinaus wies Mielke an: „Besondere Beachtung ist auch den Massenorganisationen und solchen gesellschaftlichen Organisationen wie Hundezüchtern, Kleingartenhilfe, Wandergruppen usw. sowohl in der Stadt als auch auf dem Lande zu schenken, dass nicht durch getarnte Versammlungen am 17.6. diese zur Tribüne für Provokateure gemacht werden können.“

Änderung der Befehlsstrukturen
Die SED baute jedoch nicht nur den Sicherheitsapparat zahlenmäßig massiv aus. Sie änderte auch die Befehlsstrukturen. Am 17. Juni hatten die Verantwortlichen vor Ort nämlich vielerorts vergeblich auf Befehle aus Ost-Berlin gewartet, während selbstständige Entscheidungen im stalinistischen System nicht vorgesehen waren. Die SED zog daraus die Lehre, dass die Sicherheitskräfte in der Lage sein müssten, im Krisenfall auch ohne Anweisungen von oben zu reagieren.

Im Juli 1953 ordnete die Parteispitze deshalb an, in allen Kreisen und Bezirken sogenannte Einsatzleitungen zu bilden. Mitglieder waren die örtlichen Leiter von SED, Polizei, Armee, Staatssicherheitsdienst und Regierung. Die Einsatzleitungen blieben bis 1990 DDR-weit für die „Sicherheit im Territorium“ verantwortlich.

Bis zum Untergang der DDR blieb der 17. Juni für die SED ein Trauma. Als im Sommer 1989 Tausende Ostdeutsche über die Tschechoslowakei und Ungarn aus der DDR flüchteten, fragte Stasi-Minister Mielke seinen Bezirkschef in Gera: „Ist es so, dass morgen der 17. Juni ausbricht?“ Dessen beruhigende Antwort lautete darauf: „Der ist morgen nicht, der wird nicht stattfinden, dafür sind wir ja auch noch da.“
Dass die Diktatur der SED nur wenige Wochen später wie ein Kartenhaus zusammenbrach, erscheint vor dem Hintergrund der gigantischen Sicherheitsvorkehrungen immer noch wie ein Wunder.

Dr. Hubertus Knabe leitete 18 Jahre lang die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. Zum 70. Jahrestag des Volksaufstands
erschien sein Buch „17. Juni 1953. Ein deutscher Aufstand“ (Langen Müller Verlag)., www.hubertus-knabe.de


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Kommentare

Gregor Scharf am 17.06.23, 07:45 Uhr

Wie recht ich doch damals hatte, als ich die DDR als das bezeichnete, was sie für mich war, nämlich ein riesiges Reservat, in dem wir wie Sklaven gehalten wurden.
Bei Mielke muss man hinzufügen, dass er aus persönlichen Gründen schon deshalb am Erhalt des Sklavensystems und dem antifaschistischen Schutzwall interessiert war, weil er als Mörder identifiziert wurde und ihm Verurteilung drohte, was nach dem Fall der Mauer auch geschah.
Ist es nicht bezeichnend für dieses Verbrechersyndikat, wie sich dieser Abschaum die Macht sichert? Die Bösen sind immer die Anderen.
Dabei war der Grundgedanke des gemeinschaftlichen Zusammenlebens nicht verkehrt. Er galt als Deckmantel für die verbrecherischen Strukturen und Machenschaften zur Durchsetzung des Staatskapitalismus und der völligen Enteignung bis zur Bespitzelung im engsten familiären Kreis. Braune und rote Faschisten unterscheiden sich durch ihre Ideologie. Ihre Handlungsweise ist nahezu identisch. Auf ihre Sirenenklänge fallen die Schafe immer wieder herein.
Was der Eingangs erwähnte Satz erahnen lässt, ist der steinerne Weg, der einem bereitet wird, wenn man die Wahrheit ausspricht. Wie sehr der Westen von unserer Ausbeutung profitiert hat, ist ein weiteres unrühmliches Kapitel deutsch-deutscher Geschichte.

Kersti Wolnow am 17.06.23, 07:45 Uhr

Dass die Diktatur der SED nur wenige Wochen später wie ein Kartenhaus zusammenbrach, erscheint vor dem Hintergrund der gigantischen Sicherheitsvorkehrungen immer noch wie ein Wunder.


Das war kein Wunder, das war so geplant. Der westeuropäische Markt war gesättigt, das Dollarimperium suchte nach Absatzmärkten. Und was für ein schöner Marktplatz bot der ausgehungerte Osten der Welt, einschließlich China!!! Und so hält sich der Dollar bis zum heutigen Tag, obwohl er nur aus Luft und Papier besteht.

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