14.12.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden

Russland

Migrationspolitik auf dem Prüfstand

Nach Anschlag bei Moskau: Härtere Kontrollen und Abschiebungen könnten zum Bumerang werden

Manuela Rosenthal-Kappi
15.04.2024

Nach dem Anschlag auf die Crocus City Hall nahe Moskau reagierte die russische Öffentlichkeit teils ungehalten auf die nach ihrer Meinung gescheiterte Ausländerpolitik der Regierung. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung fand in zunehmenden fremdenfeindlichen Attacken auf Arbeitsmigranten ihren Ausdruck. Dabei traf es vor allem Menschen aus Tadschikistan und Kirgistan, obwohl die Migranten dieser ehemaligen Sowjetrepubliken normalerweise als billige Arbeitskräfte willkommen sind.

Probleme gab es bisher vor allem mit illegalen Immigranten. Besonders in der Metropole Moskau weiß keiner genau, wie viele Illegale sich dort aufhalten. Russlands Präsident Putin beeilte sich nach dem Terroranschlag zu verkünden, dass er eine härtere Gangart gegen illegale Immigration angeordnet habe. Laut Innenministerium hat es im vergangenen Jahr allein auf Entscheidung von Moskauer Gerichten 42.000 Abschiebungen gegeben. Derzeit sitzen 11.500 Ausländer in Russland vorübergehend in Haft, jährlich werden 224.000 Verstöße gegen die Mi-grationsgesetze verzeichnet. Nun müssen alle Ausländer mit verschärften Kontrollen rechnen. Die Sicherheitskräfte erhalten mehr Befugnisse, eine Migrationsbehörde soll eingerichtet werden, und eine Wiedereinführung der Visapflicht für Bürger der ehemaligen Sowjetrepubliken ist angedacht. Einige Duma-Abgeordnete gingen gar so weit, die Wiedereinführung der Todesstrafe zu fordern.

Neue Ausländerbehörde und Integrationsprogramme
Putin sagte, bisher sei es den Migranten zu leicht gemacht worden, ins Land zu gelangen. Oft hätten Menschen eine Arbeitserlaubnis erhalten, die in ihren Herkunftsländern bereits durch eine lange Liste von Straftaten aufgefallen seien. Die Migrationspolitik müsse gründlich überarbeitet werden. Im letzten Dezember hatte er sich noch für ein Einreiserecht für Arbeitsmigranten ausgesprochen.

Nun gibt es Bestrebungen, Migranten, die kein Russisch sprechen, auszuweisen. Gleichzeitig sollen Integrationsprogramme für mehr Ordnung in der Ausländerpolitik sorgen. Bei Tests zu Grundkenntnissen der Sprache wurde geschummelt, und Arbeitsgenehmigungen wurden bislang oft einfach gekauft. Bei der Vergabe der Staatsbürgerschaft will man künftig stärker auf die Sprachkompetenz der Bewerber achten. Einen Familiennachzug soll es nur geben, wenn auch die Kinder der Immigranten Russisch sprechen oder lernen. Der Zuzug von unqualifizierten Arbeitskräften soll stärker als bisher ins Visier genommen und verhindert werden.

Muslimische Migranten stellen schon länger ein Problem für Russland dar. Seit 2015 befinde sich der Islamische Staat (IS) im Krieg mit Russland, weil Moskau das Regime des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad und den schiitischen Iran unterstütze, vermuten Experten. Von Afghanistan aus bereite der IS Anschläge in Russland und in Tadschikistan vor mit dem Ziel, einen Keil zwischen beide Länder zu treiben und die tadschikischen Gastarbeiter aus Russland in ihre Heimat zu locken, um sie dort zu radikalisieren. Der russische Geheimdienst FSB will allein in diesem Jahr mehrere geplante Anschläge in der Region Kaluga, in Sibirien und in der Moskauer Region vereitelt haben. Der IS-Ableger Viljat Chorasan betrachte Russland als Feind wegen der Anwesenheit des russischen Militärs in Syrien.

Die Diskussion wird auch von der hohen Ausländerkriminalität angeheizt, die 2023 gegenüber dem Vorjahr um 75 Prozent stieg. Forderungen nach der Ausweisung von Migranten schon wegen kleinster Vergehen sind zwar verständlich, könnten sich aber als Bumerang für die russische Wirtschaft erweisen. Experten warnen vor den negativen Folgen einer verschärften Ausländerpolitik. Viele ausländische Arbeitnehmer haben Russland bereits den Rücken gekehrt. Vor allem Tadschiken befürchten, dass, wenn sie blieben, sie zum Militär eingezogen und in den Ukrainekrieg geschickt würden.

Fachkräftemangel spitzt sich zu
Russland kann es sich überhaupt nicht leisten, zu viele Ausländer nach Hause zu schicken. Würde Moskau ihnen den Zugang zum Arbeitsmarkt erschweren, stünden viele Branchen vor dem Kollaps. Ob auf dem Bau, in Produktionsstätten oder im Dienstleistungssektor – überall ist man auf Arbeitsmigranten angewiesen. Der Weggang von Arbeitskräften würde zu Stagnation und in der Folge zu höheren Preisen führen. Da in Russland annähernd Vollbeschäftigung herrscht, müssen Arbeitgeber tief in die Tasche greifen, um jemanden zu ersetzen. Der Ökonom Nikita Mitrofanow gibt auf seinem Telegram-Kanal zu bedenken, dass die Mehrzahl der Ausländer sich ordentlich verhielten und nützlich seien.

Landesweit gibt es einen Fachkräftemangel in der Baubranche, der Industrie, dem Dienstleistungssektor und der Landwirtschaft, und es ist damit zu rechnen, dass das Defizit auf dem russischen Arbeitsmarkt noch größer wird. Das trifft im Besonderen auf Bereiche zu, in denen hoch qualifiziertes Personal benötigt wird. Teils ist der Arbeitskräftemangel auf die seit Jahren rückläufige Geburtenzahlen des Landes zurückzuführen, teils darauf, dass die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand gehen. Ein weiteres Loch reißt der Ukrainekrieg in den Personalbestand. Neben den vielen Kriegstoten und -teilnehmern ist geschätzt bis zu eine Million Menschen aus Russland geflüchtet. Russen, die im Ausland leben, zieht es im Augenblick nicht unbedingt in die Heimat zurück, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.


Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie die PAZ gern mit einer

Anerkennungszahlung


Kommentar hinzufügen

Captcha Image

*Pflichtfelder

Da Kommentare manuell freigeschaltet werden müssen, erscheint Ihr Kommentar möglicherweise erst am folgenden Werktag. Sollte der Kommentar nach längerer Zeit nicht erscheinen, laden Sie bitte in Ihrem Browser diese Seite neu!

powered by webEdition CMS