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Kultur

Millionenerbe mit Vorliebe für „brotlose Kunst“

Vom naturalistischen „Armeleutemaler“ zum Impressionismus-Star – Vor 175 Jahren wurde in Berlin Max Liebermann geboren

Veit-Mario Thiede
14.07.2022

Aus heutiger Sicht gilt der am 20. Juli 1847 in Berlin geborene Max Liebermann als unantastbarer Maler der Extraklasse. Der Wegbereiter des deutschen Expressionismus war in der Kaiserzeit als Vorsitzender der fortschrittlichen Künstlervereinigung „Berliner Secession“ und dann in der Weimarer Republik als Präsident der Preußischen Akademie der Künste eine der einflussreichsten Persönlichkeiten des deutschen Kunstlebens.

Aber als Jude sah er sich wiederholt Anfeindungen ausgesetzt. Die häuften sich, nachdem die Nationalsozialisten 1933 an die Macht gekommen waren. Bevor diese ihn aus der Akademie drängen konnten, legte er sein Amt als Ehrenpräsident nieder und trat aus.

Liebermann hatte es von Anfang an als Künstler nicht leicht. Vater Louis Liebermann hielt es für ein großes Unglück, dass sein Sohn Maler werden wollte. Der reiche Stofffabrikant fürchtete, dass dabei nur brotlose Kunst herauskäme. Sein Frühwerk trug ihm den Spotttitel „Arme­leutemaler“ ein. Und das kam so: Während seiner Studienjahre an der Großherzoglichen Kunstschule zu Weimar malte Liebermann sein erstes eigenständiges Werk: „Die Gänserupferinnen“ (1871/72). Vor dunkler Kulisse sitzen Frauen, die in mühseliger Arbeit Gänse ihres weißen Federkleides berauben.

Kunstskandal in der Bismarckzeit

Martin Faass urteilt in seiner lesenswerten Liebermann-Biographie: „Es ist ein für die Zeit unerhörtes Motiv, das Liebermann noch dazu in einem Format (118 x 172 cm) malt, das damals großen historischen Ereignissen oder biblischen Themen vorbehalten war.“ Die öffentliche Präsentation des Gemäldes machte ihn auf unrühmliche Weise schlagartig bekannt. Publikum und Kunstkritik verurteilten es als Affront gegen den guten Geschmack und beschimpften Liebermann als „Apostel der Hässlichkeit“. Immerhin erwarb es der Eisenbahnmillionär Bethel Strousberg. Als dieser in Finanznot geriet, kaufte Louis Liebermann das Gemälde seines Sohnes und vermachte es testamentarisch der Berliner Nationalgalerie.

Von 1878 an lebte Liebermann für sechs Jahre in München. Sein Hauptwerk dieser Zeit heißt „Der zwölfjährige Jesus im Tempel bei den Schriftgelehrten“ (1879). Als er es ausstellte, war der größte Kunstskandal der Bismarckzeit perfekt. Die Kritiker warfen Liebermann Gotteslästerung vor. In der Presse erschienen Leserbriefe, die ihn als Juden angriffen, der christliche Gefühle verletze.

Empörung rief hervor, dass er Christus als barfüßigen jüdischen Jungen mit Schläfenlocke zeigte, der in ein kurzes schmuddeliges Gewand gekleidet war. Liebermann gab klein bei. Er spendierte dem zwölfjährigen Jesus Sandalen, hüllte ihn in ein weißes Gewand und ersetzte die Frisur mit Schläfenlocke durch langes blondes Haar. In diesem Zustand hängt das Werk in der Hamburger Kunsthalle.

Liebermann kehrte 1884 nach Berlin zurück und heiratete Martha Marckwald. Die Hochzeitsreise führte in seine „Malheimat“ Holland und dort erstmals nach Laren. Hier entdeckte er Motive für zahlreiche Gemälde. Das spektakulärste unter ihnen ist das in der Alten Nationalgalerie hängende Großformat „Flachsscheuer in Laren“ (1887). In einem weiten, aber niedrigen Holzschuppen spinnen einige Jungen und viele Mädchen Flachsgarn.

Malparadies am Wannsee

Zwar wird hier schwere, monotone Arbeit gezeigt, aber soziale Anklage liegt Liebermann fern. Das Flachsspinnen wird bei ihm nicht aus-, sondern wie auf einer Theaterbühne aufgeführt. Offensichtlicher noch wird dieses choreographische Bestreben Liebermanns in einem weiteren Hauptwerk: den in der Hamburger Kunsthalle beheimateten „Netzflickerinnen“ (1887/89).

Ab Anfang der 1890er Jahre ließ Liebermann seinen sozial orientierten Naturalismus allmählich hinter sich. Seine Malerei bekommt nun impressionistische Züge. Die Pinselschrift wird skizzenhaft. Es geht farbenfroh zu. Bevorzugte Motive sind jetzt Strandszenen, Reitsport und andere Freizeitvergnügen. Seine in der Kunsthalle Bremen hängende „Papageienallee“ (1902) gilt als ein Hauptwerk des deutschen Impressionismus.

Zahlreiche impressionistische Motive fand Liebermann in den beiden Gärten, die vor und hinter seinem Sommerhaus liegen. Das ließ sich der Millionenerbe 1907 am Wannsee erbauen – und zwar mit dem Geld, das ihm die Verkäufe seiner Werke eingebracht hatten.

Bis zum Lebensende 1935 schuf er über 200 Gemälde seines Gartenreiches am Wannsee. Ein schönes Beispiel sind die „Blumenstauden am Gartenhäuschen nach Norden“ (1928). Für jede Blütenfarbe setzte Liebermann einen anderen Pinselduktus ein. Die bläulichen neigen sich nach links, die orangefarbenen nach rechts und die gelb getupften streben in die Höhe. Dieses und 21 weitere Gemälde Liebermanns befinden sich in der Alten Nationalgalerie. Die hat sich etwas Besonderes unter dem Titel „Mein Liebermann. Eine Hommage zum 175. Geburtstag“ ausgedacht. Im Blickpunkt stehen 13 Gemälde Liebermanns aus der Dauerausstellung. Zu denen gibt es ab dem 20. Juli per QR-Code und auf der Webseite des Museums Videos. Auf ihnen tun zum Beispiel Kinder, eine Museumsaufsicht und die Künstlerin Valerie Favre ihre Begeisterung für ein bestimmtes Bild kund.

Dabei stellt dem Besucher auch der Schauspieler und Sänger Tim Schilling das „Landhaus in Hilversum“ (1901) vor. Den „Stevenstift in Leiden“ (1889/90), vor dem links alte Damen sitzen, präsentiert uns der Leiter der Alten Nationalgalerie, Ralph Gleis. Martin Faass, lange Jahre Direktor des Museums Liebermann-Villa am Wannsee und heute Direktor des Hessischen Landesmuseums Darmstadt, bringt uns die „Gänserupferinnen“ nahe.

Mein Liebermann: 20. Juli bis 13. November in der Alten Nationalgalerie Berlin, Bodestraße, geöffnet täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Telefon (030) 266424242, Internet: www.smb.museum/ang
Lesetipp: Martin Faass, „Max Liebermann“, Wienand-Verlag, Köln 2017, Hardcover 96 Seiten, 12,95 Euro


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