28.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden

Hungersnöte in Ostpreussen

Missernten, Dürre und Heuschrecken

Das Leben in der ostdeutschen Provinz verlangte seinen Bewohnern wiederholt große Anstrengungen ab, um zu überleben

Wolfgang Kaufmann
19.01.2021

Schon vor dem traumatischen Schicksalsjahr 1945 hatten die Menschen in Ostpreußen vielfach Schreckliches zu durchleiden. So gab es beispielsweise immer wieder große Hungersnöte. Die drei wahrscheinlich folgenschwersten Ereignisse dieser Art fielen auf die Jahre 1706 bis 1711, 1846/47 und 1867/68. Der Auslöser war jedes Mal der gleiche.

Die gewöhnlichen Mahlzeiten der einfachen Leute bestanden damals vor allem aus Kartoffeln und Schwarzbrot – wohingegen tierische Produkte eher selten auf den Tisch kamen. Deswegen überstieg bei einer schlechten Getreide- oder Knollenernte die Nachfrage schnell das Angebot. Das führte wiederum zu massiven Preissteigerungen. Dann reichte das Geld oft nicht mehr aus, um sich auskömmlich zu ernähren. Darüber hinaus wurden viele Agrarprodukte aus Ostpreußen exportiert. Das gefährdete die Versorgungssicherheit der Bewohner der Provinz noch zusätzlich.

Grundnahrungsmittel Kartoffel
So war es auch in der Zeit zwischen 1706 und 1709, welche vier fatale Missernten in Folge brachte, die aus anhaltenden Wetterkapriolen resultierten. Zuletzt verzehrten die verzweifelten Menschen sogar das Saatgetreide oder lebten von Ersatzbrot aus Treber, Leinenspreu und Birkenrinde. In der durch den jahrelangen Hunger geschwächten Bevölkerung fand die Pest, die dann beispielsweise im August 1708 in Königsberg ausbrach, einen idealen Nährboden. Und dann tauchten 1711 auch noch riesige Heuschreckenschwärme auf, die Felder und Gärten kahlfraßen. Infolge all dessen zählte man damals in Ostpreußen mehr als 240.000 Tote. Das heißt, über ein Drittel der Menschen in der Region starb an der Seuche oder verhungerte, wobei das erstere Schicksal den meisten Zeitgenossen weniger grausam erschien als das zweite.

Die nächste große Katastrophe begann im September 1845. In Europa hatte sich seit einigen Jahren die durch den Pilz Phytophthora infestans verursachte, aus Nordamerika eingeschleppte Kartoffelfäule ausgebreitet und erreichte nun auch Ostpreußen. Dadurch wurden die Lagerbestände schnell aufs Dramatischste reduziert. Dem folgte 1846 ein ungewöhnlich feuchter April; danach kam extreme Trockenheit. Das sorgte für sehr schlechte Erträge bei der Getreide- und Kartoffelernte. Das Resultat war eine weitere Hungerkrise, die bis 1847 anhielt und zugleich noch für Typhus-Ausbrüche sorgte. Dadurch starben nun erneut ganze Dorfgemeinschaften. Die Ostpreußen versuchten zu überleben, indem sie sich von Viehfutter ernährten, Brot aus verdorbenem Getreide herstellten oder nachts die Saatkartoffeln von den Äckern stahlen. Außerdem begann so mancher aus Verzweiflung, Queckenwurzeln zu verzehren. Die Regierung in Berlin versuchte, das Schlimmste zu verhindern. So zum Beispiel durch das Verbot, aus Kartoffeln Schnaps zu brennen. Außerdem stoppte sie die Ausfuhr von Lebensmitteln. Dennoch entstanden massive soziale Spannungen, die schließlich in Unruhen mündeten: Die Hungernden gingen auf die Straße und plünderten Bäckereien sowie die Lager von Getreidegroßhändlern, während Polizei und Militär die Tumulte niederzuschlagen versuchten.

In Anerkennung dessen, dass der Staat zu wenig unternommen hatte, um seine Untertanen vor dem Hungertod zu bewahren, erließ der preußische König Friedrich Wilhelm IV. am 15. Oktober 1847 ein Dekret, mit dem er all jene amnestierte, die „durch die augenblickliche Noth zu Vergehen oder Verbrechen verleitet“ worden seien. Dennoch war die „Kartoffelrevolution“ von 1847 mit dafür verantwortlich, dass dann im März 1848 die große Deutsche Revolution ausbrach, die auch Preußen nachhaltig veränderte.

Vorbote der Märzrevolution
Trotz der neuen gesellschaftlichen Verhältnisse musste Ostpreußen zwei Jahrzehnte später noch eine Hungerphase durchleiden. Vom März bis in den November 1867 hinein regnete es derart stark, dass die Ernte auf den Feldern verdarb. Dazu kam dann 1868 wieder eine Dürre, welche die Situation weiter verschärfte. Diesmal wurde jedoch schneller reagiert. Beispielsweise veröffentlichten nun Blätter wie die „Allgemeine Illustrirte Zeitung“ in Berlin eindringliche Aufrufe, die „braven Ostpreußen“ zu unterstützen. Daraufhin konstituierte sich ein „Hülfs-Comité“ in Berlin, das die reichlich eingehenden Spenden entgegennahm und weiterleitete. Dadurch konnten die Vorläufervereine des Deutschen Roten Kreuzes schon im Winter 1867/68 drei Millionen Essensportionen sowie Kleidung und Heizmaterial an Bedürftige verteilen. So überstand die preußische Provinz die letzte große Katastrophe vor den beiden Weltkriegen.


Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie die PAZ gern mit einer

Anerkennungszahlung


Kommentar hinzufügen

Captcha Image

*Pflichtfelder

Da Kommentare manuell freigeschaltet werden müssen, erscheint Ihr Kommentar möglicherweise erst am folgenden Werktag. Sollte der Kommentar nach längerer Zeit nicht erscheinen, laden Sie bitte in Ihrem Browser diese Seite neu!

powered by webEdition CMS