24.09.2024

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DDR-Erlebnisse

Misshandlungen als Alltäglichkeit

Die Dramatikerin Anne Rabe deckt in ihrem Roman „Die Möglichkeit des Glücks“ die repressiven Erziehungsmethoden in der DDR auf

Dagmar Jestrzemski
24.09.2024

Die Dramatikerin- und Drehbuchautorin Anne Rabe behandelt in ihrem Debütroman „Die Möglichkeit des Glücks“ die leidvolle Geschichte einer jungen Frau namens Stine, die in der Nachwendezeit in der DDR aufwuchs und durch familiäre Gewalt in ihrer Kindheit und Jugend schwer traumatisiert wurde.

Das Geburtsjahr der Ich-Erzählerin Stine wie auch der Autorin ist 1986. Junge Menschen dieser Generation waren in der Nachwendezeit noch von den repressiven Verhaltensmustern der hierarchisch geprägten DDR-Gesellschaft betroffen, die mit dem Mauerfall nicht aus der Welt waren. Der Roman insinuiert, dass solche verfestigten Verhaltensmuster in etlichen Familien zum Schaden der Kinder fortbestanden. Wie viel an persönlichem Erleben der Autorin in ihren Roman eingeflossen ist, bleibt offen. In einem Essay hat Rabe angedeutet, dass sie aus einem Mosaik von Berichten über familiäre Gewalt geschöpft hat.

Mit Anfang Zwanzig bekommt Stine zwei Kinder. Für sie wird es nun existentiell wichtig, aus der Endlosschleife ihres Leidensdrucks herauszufinden, der sie aufgrund von jahrelanger elterlicher Misshandlung und Demütigung quält. Die unfassbaren Taten der Mutter und des Vaters schildert Stine mit derselben Offenheit wie ihr eigenes häufig irrationales Verhalten aufgrund von tiefsitzenden Ängsten und Unsicherheit. Erschütternd sind die Berichte über ausgefeilte Bestrafungsaktionen überwiegend seitens der eiskalten Mutter. Infolgedessen entstand bei dem jungen Mädchen durch Schuldübertragung auf sich selbst eine Neigung zur Selbstverstümmelung.

Um ihre beiden Kinder vor der eigenen psychischen Belastung zu schützen, forscht die Erzählerin nach möglichen Ursachen für das krankhafte Fehlverhalten der Eltern, von denen sie sich schon vor Jahren losgesagt hatte. Ihr Interesse gilt dem 1923 geborenen Großvater Paul. Sie recherchiert in Archiven und findet heraus, dass Paul als junger Schuldirektor möglicherweise schwere Schuld auf sich lud. Der angepasste Parteigenosse bemühte sich unermüdlich um einen beruflichen Aufstieg als Pädagoge und wurde Universitätsdozent. Abschnittsweise hat der Roman eher den Charakter einer Dokumentation. Umso eindrücklicher wird aufgezeigt, dass Kinder über Generationen hinweg Opfer harter Erziehungsmethoden werden können, zu denen sich schlimmstenfalls Sadismus gesellt. Rabes aufrüttelndes Buch ist ein großer Wurf und unbedingt empfehlenswert.

Anna Rabe: „Die Möglichkeit von Glück“, Klett-Cotta Verlag, Stuttgart, 3. Auflage 2023, gebunden,
382 Seiten, 24 Euro


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