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Vor 150 Jahren starb Michael Thonet. Mit seinem Bugholzverfahren revolutionierte der gelernte Tischler das Stuhldesign
Statt wie seine Berufskollegen zu sägen, hobeln und drechseln, verlegte sich der Kunst- und Bauschreiner Michael Thonet darauf, das Holz zu biegen. Sein Einmannunternehmen baute der Erfinder der Bugholzmöbel zum weltweit agierenden Firmenimperium aus. Der am 2. Juli 1796 in Boppard am Mittelrhein als Sohn eines Gerbers und Tischlers geborene Michael Thonet starb am 3. März 1871 an den Folgen einer schweren Erkältung, die er sich auf einer Geschäftsreise in Ungarn zugezogen hatte. Bestattet ist er in der Thonetschen Familiengruft auf dem Wiener Zentralfriedhof.
Seit den 1830er Jahren experimentierte Thonet in seiner Bopparder Tischlerei mit dem Verbiegen von Holz. Er erfand ein Verfahren, mit dem man aus in Leim gekochten und in Formen gebogenen Furnierstreifen Möbel fertigen konnte. Sein erstes Erfolgsprodukt war der ziemlich verschnörkelt aussehende „Bopparder Stuhl“. Thonet stellte seine Möbel 1841 auf der Koblenzer Gewerbemesse aus.
Dort erregten sie die Aufmerksamkeit des aus Koblenz stammenden österreichischen Staatskanzlers Clemens Fürst von Metternich. Der ermunterte Thonet, die preußische Rheinprovinz zu verlassen und sein Glück in der Hauptstadt des Habsburgerreiches zu suchen: „In Boppard werden Sie immer ein armer Mann bleiben, gehen Sie nach Wien, ich werde Sie dort bei Hofe empfehlen.“
Der von finanziellen Schwierigkeiten geplagte Thonet folgte dem Rat des Fürsten und ließ sich 1842 mit seiner Gattin Anna und den fünf Söhnen in Wien nieder. Dort erweckten seine Fähigkeiten das Interesse des Engländers Peter Hubert Desvignes, des Hausarchitekten des Fürsten Alois II. von und zu Liechtenstein. Der mit der Generalsanierung der Innenräume des Palais Liechtenstein befasste Desvignes sorgte dafür, dass Thonet und seine Söhne die dort benötigten Parkettböden sowie Stühle anfertigen durften.
Der Entwurf der Stühle, die mit ihren einfachen Rundungen schlicht und doch elegant wirken, wird Desvignes zugeschrieben. Aber erst Thonet hat diese Rundungen mit seiner technischen Erfindung des schichtverleimten und gebogenen Holzes möglich gemacht.
Sebastian Jacobi schreibt in seinem Katalogaufsatz der aktuell unterbrochenen Münchener Ausstellung „Thonet & Design“: Desvignes war „der Ideengeber für die formale Entwicklung der Thonetschen Möbelproduktion. Dies ist ein Umstand, der angesichts des anschließenden Weltruhms der Gebrüder Thonet und deren geschickter Lobbyarbeit in Vergessenheit geraten ist.“
Die in der Pinakothek der Moderne nach dem Lockdown fortgesetzte Schau präsentiert die Thonetschen Pionierleistungen auf dem Gebiet der Bugholzmöbel sowie der in den 1920er Jahren ins Programm genommenen Stahlrohrmöbel und endet mit Beispielen aus unseren Tagen. In das Familienunternehmen, dessen Stammsitz heute im hessischen Frankenberg beheimatet ist, ist inzwischen die sechste Generation der Thonets eingetreten.
Für den rasanten Aufstieg seiner 1849 in Wien gegründeten Firma sorgte Thonet zusammen mit seinen Söhnen Franz, August, Michael, Josef und Jacob. Dem Familienunternehmen gab der Vater 1853 den Namen „Gebrüder Thonet“. Seine Söhne waren die Gesellschafter, er aber hatte das letzte Wort.
Nach langen Experimenten gelang es ihm 1856, massive Hölzer zu biegen. Dabei werden abgerundete Buchenstäbe in Öfen für einige Stunden Wasserdampf ausgesetzt. Danach erhält die beim Biegen außen liegende Seite einen Blechstreifen, der das Aufsplittern des Holzes verhindert. Anschließend bekommen die in eiserne Biegeformen gespannten Hölzer die geplante Form.
Die Erfindung dieser Bugholztechnik zog die starke Expansion des Familienunternehmens nach sich. Auf die im mährischen Koritschan 1857 eröffnete Fabrik folgten weitere in Ost- und Mitteleuropa, unter denen die 1889 in Frankenberg eröffnete die jüngste ist. Noch zu Michael Thonets Lebzeiten gründete die Familie Verkaufshäuser in Amsterdam, Budapest, Berlin, Hamburg, London, Paris und weiteren Großstädten. Die Thonets bewarben ihre Bugholzmöbel auf Plakaten, in Musterkatalogen und auf Ausstellungen. Auf der Pariser Weltausstellung von 1867 erzielte der Stuhl Nr. 14 die Goldmedaille.
Zwar brachten Thonet und seine fünf Söhne ein vielfältiges Sortiment von Stühlen mit und ohne Armlehne, Schaukelstühlen, Sitzbänken und anderen Möbelstücken hervor, unter denen sich etliche Verkaufsschlager befinden. Aber der Stuhl Nr. 14 ragt heraus. Er wird, da dort weit verbreitet, gern als „Wiener Kaffeehausstuhl“ bezeichnet. Da er preiswert und damit für eine breite Käuferschaft erschwinglich war, hieß er zeitweise „Konsumstuhl Nr. 14“. Der noch heute unter der Produktbezeichnung „214“ hergestellte Stuhl besteht aus sechs Einzelteilen, die miteinander verschraubt werden.
Thonet konstruierte eine Transportkiste von einem Kubikmeter Fassungsvermögen. In ihr ließen sich die Einzelteile für 36 Stühle Nr. 14 verstauen und so platzsparend wie kostengünstig in alle Welt exportieren. Mit seiner schlicht gerundeten Rückenlehne und dem sparsamen Materialeinsatz stieg er zum Designklassiker und zur meistverkauften Sitzgelegenheit der Welt auf. Bis 1930 verkaufte Thonet 50 Millionen Exemplare – und gab danach das Zählen auf.
• Thonet & Design Die bereits im Mai 2019 eröffnete Sonderausstellung in der Münchener Pinakothek der Moderne soll nach dem Lockdown bis zum 6. Juni fortgesetzt werden.
www.pinakothek-der-moderne.de/ausstellungen/thonet-und-design
• Dauerausstellungen Thonet-Museum, Michael-Thonet-Straße 1, 35066 Frankenberg, www.thonet.de sowie Museum in der Kurfürstlichen Burg Boppard, Burgplatz 2, 56154 Boppard am Rhein, www.museum-boppard.de