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„Vielfalt, Sprengkraft und Modernität“ einer Künstlerin aus Königsberg – Das Frankfurter Städel-Museum feiert Käthe Kollwitz
Die Arbeiten der Königsbergerin Käthe Kollwitz (1867–1945) waren für eine Künstlerin zu ihrer Zeit so außergewöhnlich, dass die damalige Kunstkritik sie als „männlich“ charakterisierte. Statt liebliche Gemälde hervorzubringen, widmete sie sich mit sozialkritischem Anspruch der Graphik. Die Künstlerin bekannte: „Nie habe ich eine Arbeit kalt gemacht, sondern immer gewissermaßen mit meinem Blut. Das müssen die, die sie sehen, spüren.“ Ob ihr Schaffen diesen Anspruch einlöst, lässt sich in der Sonderschau des Städel-Museums von Frankfurt am Main prüfen, die schlicht und einfach „Kollwitz“ heißt. Zu mehr als 100 Zeichnungen und Druckgraphiken gesellen sich vier Bronzegüsse.
Im Laufe ihres Schaffens hat Kollwitz mehr als 100 Selbstbildnisse hervorgebracht. In großer Zahl bilden sie das erste Kapitel der Schau. Ein scheuer Blick aus großen Augen charakterisiert ihr um 1888 mit Feder und Pinsel geschaffenes frühestes Selbstbildnis. In dem 1924 auf dunkelgrünes Papier gezeichnetem Selbstportrait stützt sie ihr Kinn auf und richtet ihren wachen Blick zur Seite. Einen müden Blick aus dunklen Augen wirft sie in der Kreide- und Pinsellithographie von 1934 auf uns. Mit der Kreidelithographie von 1938 enden ihre druckgraphischen Selbstdarstellungen. Auf der präsentiert sie sich als von der Seite gesehene Halbfigur, den Kopf vorgebeugt, das Antlitz verschattet. Altersmüde scheint die von den Nationalsozialisten argwöhnisch beobachtete und aus der Akademie der Künste gedrängte Graphikerin und Bildhauerin gemächlich von der Bühne des Lebens abzutreten.
Ihr künstlerischer Weg verlief zunächst schleppend und führte dann doch an die Spitze. Rückblickend urteilte sie: „Ich war stark ehrgeizig.“ Hinzu kamen Selbstkritik, Fleiß und Beharrlichkeit. Die Ehefrau des Berliner Kassenarztes und Sozialdemokraten Karl Kollwitz war schon weit über 30 Jahre alt, als ihr mit dem Radierzyklus „Bauernkrieg“ der künstlerische Durchbruch gelang. Ihre Blätter behandeln die 1525 aus wirtschaftlicher und sozialer Not erfolgten Aufstände gegen den Adel aus der Perspektive einer Bäuerin.
Kollwitz arbeitete an dem 1908 abgeschlossenen Zyklus sieben Jahre. Am Beispiel von Blatt 3 können wir ihren tastenden, geduldig nach der überzeugenden Komposition suchenden Schaffensprozess nachverfolgen. Die erste Fassung der Radierung heißt „Inspiration“ (1904/05) und weist Überarbeitungen mit Bleistift und Kreide auf. Von hinten beugt sich die als Nackter dargestellte Allegorie der Inspiration über die Bäuerin und drückt ihre Hand an den Stiel einer gesenkten Sense.
Auf der mit Feder und Pinsel überarbeiteten zweiten Druckfassung, „Frau mit Sense“ (1905) betitelt, hat Kollwitz die allegorische Figur weggelassen. Die in ganzer Gestalt gezeigte Bäuerin schmiegt ihre Wange ans Sensenblatt, über das sie ihren linken Arm baumeln lässt.
Wandlung zur rigorosen Pazifistin
Die dritte und endgültige Druckfassung heißt „Beim Dengeln“ (1905). Die Darstellung ist nun auf die uns in Halbfigur bedrängend nah auf den Leib gerückte Bäuerin zugespitzt. In der Rechten hält sie den Wetzstein. Ihre Linke umfasst das Sensenblatt, über das hinweg sie einen Blick aus finster zusammengekniffenen Augen wirft. Sie ist zum Aufstand entschlossen. Dessen „Losbruch“ zeigt das bereits 1902/03 vollendete Blatt. Dicht gedrängt formieren sich mit Sensen und anderen Waffen ausgerüstete Jugendliche und Männer zur losbrausenden Keilform, angetrieben von der in Rückenansicht links vorn wiedergegebenen Bäuerin. Sie wirkt wie eine Dirigentin.
Das Ehepaar Kollwitz hatte die Söhne Hans und Peter. Um die hatte die Mutter und Künstlerin Angst, wie mehrere Graphiken verraten. Auf ihnen kämpft eine Mutter mit der Allegorie des Todes um ihr Kind. Ihr mit 18 Jahren zur Kaiserzeit noch minderjähriger Sohn Peter durfte nur mit der Erlaubnis seines Vaters als Freiwilliger in den Ersten Weltkrieg ziehen. Er fiel 1914 in Flandern. Dieser Schicksalsschlag hinterließ tiefe Spuren im weiteren Schaffen von Käthe Kollwitz.
Ihre Wandlung von der anfänglichen Kriegsbefürworterin zur rigorosen Pazifistin offenbart sie in der Holzschnittfolge „Krieg“ (1921/22). Der erste Holzschnitt heißt „Das Opfer“: Eine Mutter bietet mit geschlossenen Augen ihren Säugling dar. Das nächste Blatt ist den „Freiwilligen“ gewidmet: Wie in Trance ziehen sie hinter dem trommelnden Skelett in den Tod. Der Holzschnitt der trauernden „Eltern“ steht in enger Beziehung zu dem von Kollwitz geschaffenen steinernen Denkmal „Trauernde Eltern“. Es wurde 1932 auf dem Soldatenfriedhof von Roggeveld, wo Peter bestattet war, errichtet und zog 1955 auf den Soldatenfriedhof in Vladslo um. Das vorletzte Blatt der Kriegs-Folge demonstriert den Sinneswandel der „Mütter“: Sie geben ihre Kinder nicht mehr her, sondern stehen dicht beisammen und breiten die Arme schützend um sie aus.
Mit Portraits von Arbeiterfrauen und einer Wand mit Plakaten aus der Zeit der Weimarer Republik klingt die Schau aus. Die sozial engagierten Plakate offenbaren das soziale Engagement von Kollwitz. In ihr Tagebuch schrieb sie 1922: „Ich bin einverstanden damit, dass meine Kunst Zwecke hat. Ich will wirken in dieser Zeit, in der die Menschen so ratlos und hilfsbedürftig sind.“
Da es um das Gemeinwohl ging, schreckte sie in ihrer Plakatkunst nicht davor zurück, sentimental oder pathetisch zu werden, um die Betrachter zu packen. Auf dem Plakat „Deutschlands Kinder hungern!“ (1923) sind kleine Jungen und Mädchen zu sehen. Mit großen, bittenden Augen schauen sie nach oben und halten bettelnd leere Schalen hoch. Auf einem Plakat von 1924 ruft ein junger Mann: „Nie wieder Krieg.“ Vehement reißt er dabei die Rechte zum Schwur steil in die Höhe und legt zu dessen Bekräftigung die andere Hand auf die Brust. Diese Bildfindung von Käthe Kollwitz ist bis heute in der deutschen Friedensbewegung im Einsatz.
Bis 9. Juni im Städel Museum, Schaumainkai 63, Frankfurt am Main, geöffnet täglich außer montags, Eintritt: 16 Euro. Der Katalog, Hatje Cantz Verlag, kostet im Museum 48 Euro, im Buchhandel 58 Euro. www.staedelmuseum.de