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Noch nie konnte man den großen Philosophen in seinem 300. Jubiläumsjahr so hautnah erleben wie in aktuellen Ausstellungen
Ob Sonderausstellung im Ostpreußischen Landesmuseum Lüneburg oder in der Bundeskunsthalle Bonn – im Kant-Jubiläumsjahr werden für alle Interessierten gleich mehrere verlockende Angebote gemacht, sich mit dem Leben und Denken des Königsberger Philosophen zu beschäftigen. Fester und aufregendster Bestandteil beider Ausstellungen ist eine beeindruckende digitale Nachbildung der Stadt Königsberg.
In der Bonner Kunsthalle war bis März die Ausstellung „Immanuel Kant und die offenen Fragen“ zu sehen, die durch einen wandfüllenden Comic auffiel. Im Stil einer Graphic Novel wurde dabei das Leben Kants chronologisch nachgezeichnet. Aufgegriffen wurden dabei auch unbekannte sowie amüsante Aspekte des Privatlebens Kants. Außerdem versuchten die Ausstellungsmacher, dem Publikum das faszinierende Denkuniversum Kants näherzubringen. Inhaltlich wurde die Ausstellung durch die vier grundlegenden Fragen Kants strukturiert:
1. Was kann ich wissen?
2. Was soll ich tun?
3. Was darf ich hoffen?
4. Was ist der Mensch?
Anspruch der Ausstellungsmacher war es dabei, Kant einem philosophisch nicht vorgebildeten und speziell auch jugendlichen Besucher präsentieren. Einen eher exklusiven Charakter hat eine Ausstellung, die derzeit von der Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften anlässlich des 300. Geburtstags von Kant gezeigt wird. Die Traditionsnachfolgerin der Preußischen Akademie der Wissenschaften zeigt in ihren Räumen am Berliner Gendarmenmarkt eine Multimedia-Ausstellung namens „Kant – Digitale Welten“, die Besucher auf ganz besondere Weise in die Lebenswelt Kants eintauchen lässt. Neben Dokumenten zu Kant aus den Beständen des Akademiearchivs wird nämlich auch eine detaillierte virtuelle Rekonstruktion des historischen Stadtbildes von Königsberg zur Zeit Kants gezeigt. Die Stadt war Lebens- und Arbeitsmittelpunkt des Philosophen, die er fast nie verlassen hat.
Gigantisch digitale Rekonstruktion
Zu sehen war die digitale Nachbildung der preußischen Residenz- und Universitätsstadt Königsberg auch bereits in der Bonner Kant-Ausstellung. Umgesetzt wurde die digitale Rekonstruktion von Experten für Virtuelle Realität und 3D-Gestaltern der Firma „men@work Media Services“. Der Dokumentarfilmer Martin Papirowski, der unter anderem bereits mehrere Terra-X-Filme produziert hat, leitete das Projekt, fachlich beratend wirkten zudem Historiker mit. Entstanden ist so innerhalb von anderthalb Jahren ein beeindruckendes digitales Abbild der Heimatstadt Kants zur Zeit um 1750. Die digitale Rekonstruktion umfasst 5378 Häuser, 557 städtische Gebäude, 3369 Neben- oder Stallgebäude, 444 industrielle- und Hafengebäude sowie 2205 Gärten und 680 Parks.
Bei der Nachbildung des historischen Stadtbildes von Königsberg haben die Macher sehr stark auf Schriftquellen, etwa Chroniken, Stadt- und Naturbeschreibungen, und auf historisches Kartenmaterial zurückgegriffen. Hinzugezogen haben die Entwickler des virtuellen Stadtbildes aber ebenso Satellitenbilder der heutigen Pregelstadt. Wie Tim Kunze, Kurator am Ostpreußischen Landesmuseum, im Gespräch mit der PAZ erklärte, tauchte bei der Umsetzung ein ganz spezielles Problem auf: der hügelige Boden Königsbergs. Wo konkrete Höhendaten fehlten und nicht zu ermitteln waren, mussten die Entwickler des virtuellen Stadtbildes notgedrungen schätzen.
Die digitale Nachbildung stellt den neuesten Stand der Technik dar. Möglich ist es unter anderem, Besucher mit hochauflösenden 3D-Bildern auf eine virtuelle Ballonfahrt in einer Montgolfiere über das Königsberg des 18. Jahrhunderts zu schicken. In anderen virtuellen Episoden tauchen die Zuschauer in das überdimensionierte Räderwerk einer Turmuhr ein oder erleben ein Raumschiff. Über die Spielszenen sollen Aspekte des Denkens Kants und der Aufklärung virtuell erlebbar werden.
Leben in Ostpreußen
Anspruch des Projektes war es, Besucher auf eine digital-imaginäre Reise mitzunehmen, um sich den Ideen des Philosophen Kant und seiner Epoche spielerisch nähern zu können. Für das Projekt des virtuellen Königsbergs hat die Bundeskunsthalle Bonn mit dem Ostpreußischen Landesmuseum kooperiert. Das von der Ostpreußischen Kulturstiftung getragene und vom Bund und dem Land Niedersachsen geförderte Landesmuseum in Lüneburg zeigt noch bis zum 13. Oktober die Sonderausstellung „Kant 300. Ein Leben in Königsberg“. Im Mittelpunkt dieser Ausstellung steht ausnahmsweise einmal nicht die Philosophie Kants, sondern sein Leben in Ostpreußen. Gezeigt werden noch nie der Öffentlichkeit präsentierte Objekte zu Kant und seinem Leben. Die Ausstellungsmacher gehen unter anderem der Frage nach, wie aus dem Handwerkersohn Kant ein Gelehrter von Weltruhm wurde. Gestellt werden aber auch eher kuriose Fragen, etwa warum Kant Billard spielte. Auch im Lüneburger Museum können Besucher an sieben Stationen eine Virtuelle-Realität-Brille aufsetzen, um das historische Königsberg zur Zeit Kants dreidimensional betrachten zu können.
Mit Kants Avatar flanieren
Zudem greift das Museum bei den Ausstellungsobjekten auf Leihgaben und auf seine eigenen Bestände zurück. Das Ostpreußische Landesmuseum hat immerhin weltweit die umfangreichste Sammlung zu Kant. Zu sehen sind in der Lüneburger Sonderausstellung einzigartige, zum Teil noch nie öffentlich gezeigte Originalobjekte: echte Haare von Kant, sein persönlicher Spazierstock, zahlreiche Ölgemälde von ihm oder auch das „Kant-Glas“ mit persönlichen Gravuren. Bei einigen Ausstellungsstücken, etwa sehr alten Bildern Königsbergs, handelt es sich um Leihgaben, die in Zukunft vermutlich nicht mehr öffentlich zu sehen sind. Die Sonderausstellung in Lüneburg stellt damit für Besucher, die speziell an der Stadtgeschichte interessiert sind, eine einmalige Gelegenheit dar.
Die Sonderausstellung bietet zudem eine Vorschau auf eine geplante Dauerausstellung des Ostpreußischen Landesmuseums. Aus baulichen Gründen kann die Dauerausstellung noch nicht im Jubiläumsjahr 2024 gezeigt werden. Der in der aktuellen Sonderausstellung gezeigte Teil zur Biographie Kants wird künftig der erste von vier Teilen der geplanten Kant-Dauerausstellung des Museums sein. Die Dauerausstellung soll voraussichtlich ab Ende 2025 in einem Neubau am Ostpreußischen Landesmuseum gezeigt werden.
Auch in dieser Dauerausstellung soll nach den Plänen des Museums die Rekonstruktion des historischen Königsbergs hochaufgelöst und in 3D als virtuelle Realität erlebbar sein. In den Mittelpunkt der künftigen Ausstellung will das Ostpreußische Landesmuseum jedoch wiederum das Denken Kants und seine Bedeutung für die heutige Welt stellen. Anspruch ist es sogar, das Museum in Lüneburg zum zentralen Erinnerungsort für Kant in Deutschland zu machen.
Für die künftige Dauerausstellung ist zudem beabsichtigt, das virtuelle Stadtbild des historischen Königsbergs weiterzuentwickeln. So könnte beispielsweise ein Avatar Kants durch die Straßen Königsbergs schlendern, der dabei das Stadtbild erklärt. Die aktuell gezeigte Kant-Sonderausstellung des Landesmuseums wird von einem Sonderprogramm mit Vorträgen, Lesungen, Führungen und Angeboten, die speziell für Kinder entwickelt wurden, begleitet. Am 3. September gibt Kunze, Kurator am Ostpreußischen Landesmuseum, in einem Vortrag etwa einen Einblick, welche generellen Recherchen notwendig waren, um das historische Königsberg digital wieder auferstehen zu lassen. Im Vortrag berichtet der Kurator auch, was die Stadt Königsberg zu den Zeiten Kants zu einem ganz besonderen Ort gemacht hat. Da das Begleitprogramm auf regen Zuspruch trifft, ist eine Anmeldung erforderlich.