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Im Einsatz für deutsche Kriegsgefangene und Vertriebene nach 1945: Zum 130. Geburtstag des schwedischen Pfarrers
Seelsorge und nochmals Seelsorge ist das, wonach die seelisch Heimatlosen rufen.“ Mit diesen Worten fasst Birger Forell seine Eindrücke zusammen, die er bei Besuchen mehrerer Lager deutscher Kriegsgefangener 1945 in England gewann.
Durch seine Studienzeit 1919-1920 bei dem Religionswissenschaftler Rudolf Otto in Marburg und seiner Tätigkeit als Gesandtschaftspfarrer der schwedischen Victoriagemeinde ab 1929 in Berlin fühlt sich Forell zeit seines Lebens Deutschland eng verbunden. Nach dem unermüdlichen Einsatz für Verfolgte im Berlin der NS-Zeit, seiner Rückberufung nach Schweden 1942 und dem Antritt der Hauptpfarrstelle an der Carolikirche in der Stadt Borås, östlich von Göteborg, hatte er 1944 ohne Zögern die Leitung der geistlichen Betreuung der deutschen Kriegsgefangenen in England übernommen.
Bis 1948 wird Forell dafür von seiner Gemeinde in Borås fortgesetzt beurlaubt. Unentwegt reist er von Lager zu Lager und ist Seelsorger und Vertrauter in Notlagen. So spricht er in neun Sälen eines Krankenhauses jeweils zehn Minuten und wendet sich ganz persönlich den Verwundeten zu. Einem Zwanzigjährigen aus Köln hält er am Krankenbett eine halbe Stunde die Hand, nachdem dieser erfahren hatte, dass es keine Hoffnung mehr gebe, ihm das Augenlicht wiederzugeben.
Am 16. August 1945 wird im Norton Camp, einem Gefangenenlager in der Grafschaft Nottinghamshire, eine auf Initiative von Forell entstandene Theologenschule feierlich eröffnet. Forell selbst hält die Predigt über die Worte aus dem Johannesevangelium „Die Wahrheit macht euch frei!“. Gründungsidee war es, den während ihres Studiums einberufenen Theologiestudenten den Abschluss ihres Studiums zu ermöglichen und junge Pfarrer für Nachkriegsdeutschland heranzubilden, die nicht durch den Nationalsozialismus belastet waren. Für die Bibliothek der Schule stiftet Bischof George Bell von Chichester theologische Werke, und Professor Nathaniel Micklem, ein Freund Forells, stellt deutschsprachige Fachliteratur aus der Bibliothek des Mansfield College in Oxford bereit. Englische Privatleute senden Leihgaben. Hinzu kommen Bücherspenden aus Schweden, der Schweiz und den USA.
Neben seiner Tätigkeit für die deutschen Kriegsgefangenen in England und deren Eingliederung bei der Heimkehr nach Deutschland initiiert Forell nach Kriegsende eine Reihe von Hilfen zur Linderung der Not der deutschen Zivilbevölkerung und unternimmt selbst immer wieder Vortrags- und Predigtreisen in Schweden zur Einwerbung von Spenden.
Hilfen für die deutsche Zivilbevölkerung
Mit seiner Gemeinde in Borås gründet er die „Christliche Nachkriegshilfe“. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Arbeit des deutschen Evangelischen Hilfswerks zu unterstützen. „So haben wir seit dem 1. Januar (1946) 7169 kg Kleider und Schuhe, sowie Einzelpakete mit 962 kg Lebensmittel nach Deutschland geschickt“, schreibt Forell im ersten Rechenschaftsbericht vom Mai 1946. Das Ziel, christliche Hilfe unabhängig vom „Strom politischer Absichten“ zu leisten, war inzwischen in einer ganz Schweden einbeziehenden Spendensammlung verwirklicht worden. Zahleiche Hilfslieferungen folgten.
Forells Wirken in der Notzeit der Nachkriegsjahre in Deutschland ist eng mit dem Namen Espelkamp verbunden. Die damalige Munitionsanstalt Espelkamp, im Raum Minden-Bielefeld gelegen, war im Krieg unzerstört geblieben. Bei einer Rundreise durch Deutschland kommt Forell erstmals im Dezember 1946 nach Espelkamp. In seiner Begeisterung für das mit Gleisanlagen, Fabrikationshallen und 160 Gebäuden bebaute Gelände entwirft er in der Folgezeit einen Plan zur Ansiedlung von 5000 Flüchtlingen und früheren Kriegsgefangenen, verbunden mit noch zu schaffenden Industriearbeitsplätzen vor Ort.
Während seiner Zwischenaufenthalte in Deutschland verhandelt Forell mit der britischen Militärregierung über die Freigabe Espelkamps, bemüht sich mit Vertretern des deutschen Evangelischen Hilfswerks, die vollständige Demontage der Gebäude und Sprengungen zu verhindern. Mit dem Hilfswerk stimmt er darin überein, für Notleidende Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Auf Veranlassung Forells werden im August 1947 die ersten entlassenen deutschen Kriegsgefangenen aus England in Espelkamp angesiedelt. Dort liegt ihm ebenso die Förderung eines Kindererholungsheims als Sammelpunkt für Kindertransporte nach Schweden am Herzen. Es gelingt ihm, seine Gemeinde in Borås als Geldgeber für den Unterhalt des Hauses und für die Verpflegung der Kinder zu gewinnen.
Mit dem Ablauf seiner Beurlaubung und der Rückkehr nach Schweden im Jahr 1948 kann Forell seine Tätigkeit für Espelkamp nicht fortsetzen, da ihn seine Tätigkeit als Gemeindepfarrer voll in Anspruch nimmt. Auf Bitten deutscher Freunde entschließt er sich jedoch drei Jahre später erneut zur Flüchtlingshilfe in Deutschland. Er stellt sich dafür dem deutschen Evangelischen Hilfswerk zur Verfügung und legt sein Pfarramt in Borås dauerhaft nieder. Die Ansiedlung geflüchteter und vertriebener Bauern vor allem aus Ostpreußen und Pommern ist Forells neue Aufgabe.
Einsatz für ostpreußische Bauern in Holstein
Nach der Vorstellung des Hilfswerks sollte sie regional auf Schleswig-Holstein begrenzt sein. Dort sind von 2,6 Millionen Einwohnern fast eine Million Flüchtlinge. Die Bauern fanden in 800 weit verstreuten Flüchtlingslagern und Notunterkünften zwar ein karges Obdach, jedoch keine Arbeitsmöglichkeit. Dem Land fehlt es an Boden, um sie anzusiedeln. Lediglich knapp zehn Prozent der etwa 50.000 Flüchtlingsbauern, die in Schleswig-Holstein leben, konnten bislang angesiedelt werden.
Forell plant mit dem 400 Hektar großen Nebengut Wildenhorst in Kooperation mit Staat, Kirche und Siedlungsstellen sowie Flüchtlingsorganisationen und dem Ausland ein Modell für ähnliche Unternehmen zu schaffen. Als Hilfe für die vertriebenen Landwirte stellt die schwedische Seite 55.000 D-Mark und Sachspenden bereit. In seinem ersten Arbeitsbericht an Bischof Otto Dibelius kann Forell im September 1953 mitteilen, dass in Wildenhorst die Siedler auf ihren neuerbauten Höfen eingezogen sind und mit schwedischer Hilfe nun eine Kapelle gebaut wird.
Die von Forell gegründete Deutsch-Schwedische Flüchtlingshilfe erhält zu Beginn ihres Bestehens eine Spende von einer Million Kronen in Gestalt von 72 schwedischen Holzhäusern von der Stockholmer Regierung. Die Vergabe dieser Fertighäuser knüpft Forell an die Bedingung, dass die jeweilige Landesregierung den Boden für eine bäuerliche Siedlung beschafft.
In Rheinland-Pfalz, das 40 Holzhäuser erhält, stellt er befristet zwei „Landsucher“ an und geht selbst zu den einheimischen Bauern, um sie von der Abgabe eines Stücks Land an die Flüchtlingsbauern zu überzeugen. Niedersachsen erhält 25 und Hessen sieben Häuser. Etwa 80 Prozent der schwedischen Bauern unterstützten mit ihren Spenden die Arbeit Forells für die deutschen Flüchtlingsbauern.
Der am 27. September 1893 im etwa 350 Kilometer von Stockholm entfernten Söderhamn geborene Schwede wurde zu einem unermüdlichen Seelsorger, Vertrauten der Notleidenden und ökumenischen Wanderer. Er trug „die Botschaft, der er sich in seinem Gewissen verpflichtet wusste, über alle Zerrissenheit der Zeit und die konfessionellen Gegensätze hinweg zu denen [...], die der Hilfe bedurften“, wie es Harald von Koenigswald in seiner wiederzuentdeckenden Biographie „Birger Forell. Leben und Wirken in den Jahren 1933–1958“ (Witten/Berlin 1962) eindrucksvoll dargestellt hat. Forell starb am 4. Juli 1958 in Borås.
Chris Benthe am 31.08.23, 14:58 Uhr
Wunderbarer Bericht, der sehr berührt, danke.