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Die Fürstbischöfe der fränkischen Mainmetropole genossen das Leben und die Kunst – Ihre heutigen Landeskinder tun es ihnen gleich
Irgendetwas stimmt hier nicht. Dieser Gedanke kann Reisenden aus deutschen Millionenstädten schon mal spontan in den Kopf schießen. Am Würzburger Bahnhof ist es nämlich verdächtig ruhig. Kein Geschrei, keine Randale, so wie man es zum Beispiel aus Köln gewohnt ist. Aber ist es auch sicher? Ja! Zwei Sicherheitskräfte drehen in der Bahnhofshalle diskret ihre Runden und mustern jeden eindringlich. „Cop Söder“ hat offenbar alles richtig gemacht. Das könnte man meinen, ist aber natürlich Quatsch, denn Würzburg besteht nicht nur aus einem sonnenbeschienenen Bahnhof.
Verstörend für Großstadtpflanzen ist es allemal, dass es in dieser fränkischen Stadt, die Ende 2024 offiziell insgesamt 132.215 Einwohner zählte, tatsächlich sehr sauber ist. Das fällt sofort auf. Wie schön könnte es zum Beispiel in Köln, dieser rheinischen Stadt der Dauer-Frohnaturen, sein, wenn nicht jeder Depp seinen Müll auf die Erde schmeißen würde. Aber es soll hier ja nicht um Müll gehen, sondern um Würzburg. Dem schönen Würzburg mit seinem Weltkulturerbe: der Würzburger Residenz. Und die lässt sich vom Bahnhof aus mit der Straßenbahn, notfalls aber auch zu Fuß erreichen.
Weltkulturerbe ist die Residenz bereits seit 1981, die Grundsteinlegung ist natürlich wesentlich älter. Diese war im Jahr 1720, als Balthasar Neumann als Architekt beauftragt wurde. Neumann schuf ein Gesamtkunstwerk, das heute Besucher aus aller Welt anlockt.
Barock-Overkill
Es kann aber sein, dass der Besucher danach einen Barock-Koller bekommt, vor allem, wenn das nicht sein favorisierter Architekturstil ist. Das ist einerseits schade, andererseits verständlich, doch man schweigt, weil man die gastfreundlichen Würzburger nicht vor den Kopf stoßen will. Bauhaus-Bewunderer oder Freunde von Tiny Houses werden jedoch so ihre leichten Schwierigkeiten haben. Der Überfluss verwirrt, überfordert.
Dabei könnte ein Glas Wein aus dem Bocksbeutel hilfreich sein, denn es fördert das klare Denken – so die von Winzern verbreitete Mär. Das trinkt man am besten an beziehungsweise auf der Alten Mainbrücke, die bei Einheimischen und Touristen gleichermaßen vor allem für ihren „Brückenschoppen“ beliebt ist.
Das geht so: Man kauft sich also Wein, stellt sich auf die Brücke und dann – ja dann, ist man einfach so da. Steht in der Gegend herum, gestikuliert, trinkt, redet, wirft einen Blick auf die Stadt mit dem Kiliansdom, während in der Ferne die eigentümliche Architektur von St. Johannis auffällt, diesem ungewöhnlichen Bauwerk mit den zwei nach oben hin immer schlanker werdenden achteckigen Pyramidentürmen.
Sie war die zweite evangelische Kirche überhaupt, die 1895 in dieser Stadt errichtet wurde. Nach dem Bombenangriff vom 16. März 1945 brannte sie aus, übrig blieb nur die Turmruine. Von ihr ausgehend schuf dann ein Münchner Architekt etwas Neues. Und das war nicht nur eine Kirche, sondern zugleich auch ein Mahnmal. So dominiert der Krieg in gewisser Weise auch das Stadtbild, während die Waffen in Deutschland zum Glück schon lange schweigen.
Ein Spiegel der Stadtgeschichte
Militärische Sicherheit sollte in Würzburg seit dem 13. Jahrhundert die Festung Marienberg garantieren und den hier residierenden Fürstbischöfen zugleich die Macht sichern. Das gelang nicht immer. Kecke Bauern versuchten 1525 sie einzunehmen. Sie scheiterten, und man möchte gar nicht wissen, was mit ihnen passierte. Nur so viel: Es gibt noch immer einen Festungskerker. Geradezu beschaulich mutet in Anbetracht der turbulenten Vergangenheit der Festung das – von den Einheimischen so genannte – „Käppele“ im Alten Mainviertel an. Es war auch wieder Balthasar Neumann, der die Wallfahrtskirche am Nikolausberg schuf, diese barocke Pracht, die ein völliger Kontrast zur Trutzburg auf dem vermeintlichen uneinnehmbaren Berg war und ist.
Zurück in der Altstadt bekommt man angesichts der vielen Restaurants rasch Appetit nach etwas Deftigem. Eine Mahlzeit kann in Franken durchaus üppig ausfallen. Bestellt man Schnitzel, kann es vorkommen, dass man zwei riesige Fleischlappen auf Spätzle in üppiger Soße serviert bekommt, und irgendwann nach Hause gerollt werden muss. Das ist noch wahrscheinlicher, wenn man eine geschlagene Woche lang gemästet wurde, so etwa in den empfehlenswerten Gaststätten „Zum Karthäuser“ oder dem „Wirtshaus Lämmle“. Das daraus resultierende Übergewicht ist zwar nicht schön, aber jede Spätzle, jedes „Fleischküchle“ (Frikadelle; Bulette) lohnt sich.
Doch wohin geht jemand, der genug Brückenschoppen genossen hat, alle Glanzpunkte der Stadt abgearbeitet hat, sich auch in dem nördlich von Würzburg gelegenen Veitshöchheim im prächtigen Rokokogarten des kleinen Schlosses verlustiert hat? Wenn man satt ist, aber nicht übersättigt? Dann geht es dorthin, wo jeder früher oder später selbst einmal landen wird. Ja, es ist ein wenig morbid, aber mittlerweile hat sich viel geändert, und Friedhöfe als Erholungsorte sind längst nicht mehr tabu.
Wo Schillers Tochter liegt
Selbst an diesen Stätten trifft man wieder auf den bekannten Barock, auf Gräber mit prachtvollen Putten, die Fackeln tragen, auf überdimensionale Grabstätten, die auf großen Reichtum deuten. Arm scheint Würzburg nie gewesen zu sein. Und man trifft auf einen Engel – und das ist äußerst selten hier –, der in einer Art großer abschließbarer Vitrine vor Wind und Wetter geschützt ist. Das klassizistische Grabmal der Familie Zeissert/Weisserth gehört wohl zu den außergewöhnlichsten Grabmälern auf dem über 200 Jahre alten Hauptfriedhof. Also dort, wo unter anderem Bankdirektoren, Ehrenbürger, Reichsbahningenieure, Professoren, Tonofenfabrikanten oder die königlichen Gymnasiallehrergattinnen ihre letzte Ruhe fanden, wo ein Engel schon mal mit Goldornamenten geschmückt wurde und wo die Grabmäler so hoch sind, dass sie sich dem Himmel entgegenzustrecken scheinen.
In diesem Karree ist man „unter sich“, Armengräber findet man dort eher nicht. Zumindest die Ehrenbürger der Stadt mussten lernen zu teilen und sich mit einer – dreigeteilten – Grabplatte zufriedengeben, worauf man zum Beispiel den Namen „Karoline Junot“ findet. Sie war eine Tochter von Friedrich Schiller.
Die abendliche Schließung des Friedhofs macht der Besichtigung ein Ende. Die Besucher tummeln sich sogleich in Richtung Wirtshaus, wo sie die Würzburger Wonnen mit fränkischen Spezialitäten ausklingen lassen.