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Andrej Kurkows Roman „Samson und Nadjeschda“ spielt in Kiew nach der Russischen Revolution – der Umbau der Gesellschaftsordnung hat erst begonnen
Kiew im Mai 1919: Nach der Russischen Revolution hat eine Zeit der Wirren begonnen. Kosaken, Tschekisten und Rotarmisten ziehen marodierend durch die Stadt. Die bürgerliche Bevölkerung der Zarenzeit weicht allmählich einer sozialistischen Gesellschaftsordnung, die sich erst noch etablieren muss.
Eines Tages geht der Romanheld Samson Teofilowitsch Koletschko mit seinem Vater gerade über eine Straße, als eine Horde vorüberpreschender Kosaken zuerst dem Vater mit einem Säbel den Schädel spaltet und anschließend Samson ein Ohr abschlägt. Da es keine Möglichkeit gibt, das Organ wieder anzunähen, legt der junge Mann es in eine Bonbondose und verwahrt es im Schreibtisch des Vaters auf.
Die neuen Machthaber bauen ihre sozialistische Gesellschaftsordnung mit den Ressourcen der Bourgoisie auf, und so wird auch der Schreibtisch des Vaters aus Samsons Wohnung requiriert, in der er nun als Vollwaise allein lebt. Um sich über den Diebstahl zu beklagen, begibt sich Samson zum Polizeirevier. Weil er seine Beschwerde so gut formuliert hat, wird er sogleich eingestellt. In dem ihm zugeteilten Büro steht der Schreibtisch seines Vaters, an dem er künftig arbeitet. Bei einem „Subbotnik“, einem freiwilligen, unbezahlten Arbeitseinsatz nach sozialistischer Sitte, lernt er die begeisterte Kommunistin Na-djeschda kennen, die im nahegelegenen Statistikamt arbeitet. Er verliebt sich in sie, und bald zieht sie bei ihm ein. In der weiteren Romanhandlung spielt sie keine bedeutende Rolle mehr.
Die aufgrund der Genrebezeichnung erwartbare Krimihandlung kommt erst allmählich in Gang. Zwei bei Samson einquartierte Rotarmisten erweisen sich als Diebe, in deren Beute sich Silber befindet sowie mysteriöse Stoffzuschnitte, die für den Anzug eines Menschen mit seltsamen Körpermaßen gefertigt wurden. Samson beginnt akribisch und in aller Ruhe zu ermitteln, als der Schneider tot aufgefunden wird. Samsons Ohr in der Schublade leistet ihm dabei als Abhöreinrichtung nützliche Dienste.
Andrej Kurkow, Vorsitzender des PEN-Clubs der Ukraine, verbindet in „Samson und Nadjeschda“ Skurriles mit Historischem, wobei er ruhig und unaufgeregt schreibt, ohne Partei zu ergreifen. Er verfasste den Roman 2020, daher sind Analogien zur aktuellen Situation zufällig. Wer einen spannenden Krimi erwartet, wird allerdings enttäuscht. Der Schreibstil des Auftaktbands, für den Kurkow eine Fortsetzung angekündigt hat, ist zwar gut und flüssig, die Handlung zieht sich aber eher schleppend dahin.