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Das Geschäft mit dem Verbrechen blüht: Krimiauslage in einer Buchhandlung
Foto: imago stock&peopleDas Geschäft mit dem Verbrechen blüht: Krimiauslage in einer Buchhandlung

Kultur

Mord und Totschlag

Die ungebrochene Faszination des Bösen – Ohne Krimis gehen viele Deutsche nie ins Bett

Ansgar Lange
28.04.2023

Was schlimm ist: Wenn man kein Englisch kann, / von einem guten englischen Kriminalroman zu hören, / der nicht ins Deutsche übersetzt ist. / Bei Hitze ein Bier sehn, / das man nicht bezahlen kann.“

Gottfried Benn bekundete in diesem Gedicht sein Faible für Bier und Kriminalromane, die er auch als „Radiergummi für Gehirn“ bezeichnete. Er steht mit dieser Leidenschaft nicht allein auf weiter Flur. Die Deutschen lieben Krimis und Thriller. Schon Bill Ramsey sang in dem gleichnamigen Film davon, dass Mimi nie ohne Krimi ins Bett gehe: „Keinen Goethe, keinen Schiller, holt sie aus dem Schrank heraus. / Nein, einen superharten Thriller sucht sich Mimi aus.“

Der amerikanisch-deutsche Schlagersänger machte den Ausdruck „Krimi“ in der frühen Bundesrepublik erst so richtig populär. Heute ist der Krimi in der Unterhaltungsindustrie so erfolgreich wie kein zweites Genre. Fast kein Abend vergeht im Fernsehen, ohne dass es nicht um Mord und Totschlag geht. Wenn in ARD und ZDF gerade mal nicht das Klima stirbt, dann stirbt ein Mensch, der aus Habgier, politischem Fanatismus, reiner Mordlust oder anderen niederen Motiven gemeuchelt wird.

Viele Deutschen verspüren offenkundig eine gewisse Faszination des Bösen, das ihre Bücherschränke bevölkert und die Bildschirme beherrscht. Im Englischen ist die Rede von der „German Angst“, wenn es um die spezielle Gefühlslage der Bundesbürger und ihre Traumata geht. Psychologen erklären, dass wir beim Lesen von Krimis unsere eigenen Ängste verarbeiten können.

Nicht nur die Angst vor Kriminalität wird beim gefahrlosen Schmökern verarbeitet, sondern auch die Angst vor Kriegen, der Globalisierung oder sozialen Spannungen. Und am Ende eines Krimis geht es häufig gut aus. Wenn der Täter überführt und einer gerechten Strafe zugeführt wird, dann wird in diesem Moment die Ordnung der Welt wiederhergestellt – wenn auch nur zwischen zwei Buchdeckeln.

Am liebsten britische Morde

„Ich brauche mein tägliches Quantum.“ Dieses Bekenntnis des Dramatikers Bertolt Brecht galt Zigarren und englischen Kriminalromanen. Teure Tabakprodukte und Detektivgeschichten bezeichnete er als Produktionsmittel, die notfalls rationalisiert werden müssten. Und Brecht ging besonders in schlechten Zeiten nie ohne Krimi ins Bett. Sie dienten ihm als Sedativum, um die eigenen Nerven zu beruhigen. „Neben seinem sargähnlichen Bett lag am Kopfende immer ein Stapel von Krimiheften. Rechts waren die neuen, die er noch nicht gelesen hatte, hinten die ausgelesenen“, wird über den Dramatiker kolportiert.

Als Konservativer kann sich auch der Krimileser bestätigt fühlen, dass früher einiges besser war. Denn während Agatha Christie, Edgar Wallace oder Georges Simenon pro Buch immer so um die 200 bis 250 Seiten Spannungsliteratur vorlegten, müssen es heute in der Regel 440 bis 600 Seiten sein – meist vollgestopft mit Nebenhandlungen und moralisierenden Ausschweifungen über das Alltags- und Privatleben der Ermittler. Früher brachte Madame Maigret ihrem Gatten den Frühstückskaffee ans Bett – heute hat der Ermittler eine Neurose, Depression oder ein Alkoholproblem.

Es gibt auch Kriminalschriftsteller, die zugleich große Literatur geschrieben haben. Ein Beispiel ist der US-Schriftsteller Raymond Chandler (1888–1959). Er modellierte seinen harten, aber sentimentalen Privatdetektiv Philip Marlowe als untadeligen Ehrenmann und einsamen Helden, dem programmatisch eine quasi-religiöse, erlösende Funktion in einer durch und durch korrupten Welt zukam.

Brecht konnte laut dem krimibegeisterten Literaturwissenschaftler Jochen Vogt interessanterweise mit dem modernen Autor Chandler und dem amerikanischen Kriminalroman wenig anfangen. Seine Krimikost sollte am liebsten britisch sein und Rätsel enthalten.

In seinem Nachlass finden sich Werke von Sir Arthur Conan Doyle, dem Schöpfer von Sherlock Holmes und Doktor Watson, von Edgar Wallace (den übrigens auch der „Alte von Rhöndorf“, Konrad Adenauer, schätzte), von Agatha Christie, Dorothy L. Sayers oder auch von John Dick­son Carr, der heute fast unbekannt ist. Brecht hat sich verschiedentlich auch theoretisch mit dem Kriminalroman befasst und wollte zusammen mit Walter Benjamin sogar einen eigenen schreiben. „Der Kriminalroman handelt vom logischen Denken und verlangt vom Leser logisches Denken. Er steht dem Kreuzworträtsel nahe, was das betrifft“, so Brecht.

Brechts Entspannungslektüre

Den psychologisch versierten Maigret-Schöpfer Georges Simenon mochte Brecht nicht, was aber wohl in seiner Ablehnung des psychologischen Romans insgesamt begründet liegt. Dafür schätzte er Erle Stanley Gardner (1889–1970) umso mehr. Dieser Autor, der seine Werke um den fiktiven Strafverteidiger Perry Mason multimedial in Radio, Film und Fernsehen vermarktete, war der „wahre Spitzenreiter in Brechts Krimi-Regal“.

Krimis sind sicher in erster Linie für die meisten Menschen Entspannungslektüre. Sie dienen der Unterhaltung. Doch sie können auch viel mehr – davon zeugen die Bücher Graham Greenes, der „Thriller“ schrieb, Dashiell Hammetts, Raymond Chandlers, Patricia Highsmiths oder Georges Simenons.

Erfolgreiche deutsche Krimiautoren der Gegenwart wie Nele Neuhaus, Charlotte Link, Sebastian Fitzek, Volker Kutscher oder Jacques Berndorf mögen Spannung liefern. Literarisch gesehen sind sie im Vergleich zu den Großen des Genres aber nur Kreisklasse. Heutige Krimis sind auch gern mal lustig und handeln von einer bestimmten Region. Ein Beispiel hierfür sind die auch sehr erfolgreich verfilmten Bücher über den niederbayerischen Dorfpolizisten Franz Eberhofer aus der Feder von Rita Falk oder die Sylt-Krimis von Gisela Pauly und Eva Ehley.


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