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Politik

Nachruf auf Antje Vollmer

Von der linken Pazifistin zur Biographin eines ostpreußischen Gutsbesitzers legte die Grünen-Politikerin einen weiten Weg zurück. Mit ihr verliert das politische Deutschland einen wahren Charakterkopf

René Nehring
16.03.2023

Die Theologin, Friedensaktivistin und Grünen-Politikerin Antje Vollmer ist tot. Dies berichteten am Donnerstag übereinstimmend mehrere Medien. Damit endet ein Lebensweg, in dem sich die deutschen Zeitläufte des 20. und 21. Jahrhunderts auf vielfältige Weise spiegeln. 

Geboren wurde Vollmer am 31. Mai 1943 im westfälischen Lübbecke. Nach dem Abitur in ihrer Heimatstadt im Jahre 1963 studierte sie evangelische Theologie in Berlin, Heidelberg, Tübingen und Paris. Auf das Zweite Theologische Examen 1972 folgte ein Jahr später die Promotion zum Dr. phil. Es folgten ein postgraduales Studium der Erwachsenenbildung und eine Anstellung als Dozentin in der ländlichen Bildungsarbeit an der Evangelischen Heimvolkshochschule bei den v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel in Bielefeld. 

Parallel dazu begann Vollmer, sich politisch zu engagieren. Wie so viele Angehörige ihrer Generation begann sie linksaußen und schloss sich zunächst der maoistischen „Liga gegen den Imperialismus“ an. Nach der Gründung der Grünen 1980 folgte Vollmer der neuen Partei, trat dieser jedoch erst 1985 bei. Als die Öko-Partie 1983 erstmals in den Deutschen Bundestag einzog, gehörte Vollmer – noch parteilos – der ersten Fraktion der neuen politischen Kraft an und wurde ein Jahr später Sprecherin der Fraktion. 

Berufspolitikerin war Vollmer damals allerdings noch nicht, vielmehr musste sie aufgrund des damaligen Rotationsprinzips der Grünen schon 1985 ihr Mandat wieder zur Verfügung stellen. 1990 verpasste sie den Wiedereinzug ins Parlament, weil die West-Grünen in der getrennten Wahl zum Vereinigungsbundestag an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten. 

Seit der Wahl von 1994 dann gehörte Vollmer nicht nur zur Spitze ihrer Partei, sondern als erste grüne Vizepräsidentin des Bundestags auch zur politischen Führung der Bundesrepublik. Bis zur Bundestagswahl 2005, zu der sie nicht mehr antrat, gehörte sie fortan zu den führenden Repräsentanten ihrer Partei und des politischen Berlin. 

Nicht unumstritten, aber stets integer

In dieser Rolle stieß Vollmer immer wieder Debatten an. So, als sie in den späten 1980er Jahren einen Dialog mit der RAF anregte, um die terroristische Gewalt zu beenden, und sich dabei für Hafterleichterungen für die Terroristen einsetzte. 1999 lehnte sie den Kosovokrieg und insbesondere eine deutsche Beteiligung daran ab. Und nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 sprach sie sich entschieden gegen jedes militärische Vorgehen bei der Bekämpfung der Terroristen aus. 

Der Pazifismus war eine der großen Konstanten im politischen Leben Antje Vollmers, verleitete sie jedoch immer wieder auch zu Fehleinschätzungen der politischen Lage. So plädierte sie nach ihrem ersten Einzug in den Bundestag in den 80er Jahren für die Anerkennung der „Geraer Forderungen“ des DDR-Staats- und Parteichefs Erich Honecker, die faktisch die Anerkennung der deutschen Zweistaatlichkeit bedeutet hätten. Und noch im November 1989 erklärte sie im Bundestag, die Rede von der deutschen Wiedervereinigung sei „überholter denn je“. Trotz dieser und anderer Irrtümer blieb Vollmer stets persönlich integer, was ihr im Laufe der Zeit Anerkennung in allen politischen Lagern verschaffte. 

Immer wieder ergriff sie das Wort und brachte sich bei politischen Initiativen ein, um wichtige Impulse zu geben oder Kritik an der jeweiligen Regierung zu äußern. So setzte sie sich unter anderem für die Stärkung der Kultur in Deutschland ein und forderte dabei auch eine Quote für deutschsprachige Musik im deutschen Rundfunk. 

Für Furore sorgte Vollmer im Jahre 2010, als sie in ihrem Buch „Doppelleben“ das Schicksal des ostpreußisches Gutsbesitzers Heinrich Graf v. Lehndorff und dessen Gemahlin Gottliebe erzählte. Lehndorff spielte als junger Offizier eine wichtige Rolle im militärischen Widerstand rund um Henning v. Tresckow, doch gab es bis dahin außer dem Text „Leben und Sterben eines ostpreußischen Edelmannes“ seiner Cousine Marion Gräfin Dönhoff kaum Literatur, die das Wirken dieses bedeutenden Ostpreußen und letzten Besitzers des masurischen Schlosses Steinort würdigte. Um so bemerkenswerter, dass mit Vollmer ausgerechnet eine Grüne diese Lücke füllte und damit sich und ihren Lesern mit großer Empathie eine ihr bis dahin unbekannte Lebenswelt erschloss. 

Bis zuletzt bewahrte sich Antje Vollmer eine innere Souveränität in ihrem eigenen Denken und eine Widerständigkeit gegenüber der Politik; unabhängig davon, wer gerade in Berlin regierte. So gehörte Vollmer nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Februar 2022 kurz darauf zu den Unterzeichnern eines Offenen Briefes, der Bundeskanzler Scholz aufrief, keine Waffen an die Ukraine zu liefern und sich stattdessen für eine Verhandlungslösung zwischen Moskau und Kiew einzusetzen. Das Wort „unangepasst“, das sich im Tagesgeschäft allzu oft gerade jene Politiker anheften, die besonders stromlinienförmig agieren, traf in ihrem Fall fast immer zu. 

Mit dem Tode Antje Vollmers verliert die deutsche Politik einen echten Charakterkopf, eine Persönlichkeit, die nicht frei von Irrtümern war – die jedoch stets persönlich integer und politisch unabhängig blieb. 


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Kommentare

Lutz Beyer am 03.04.23, 06:00 Uhr

Sie ist mir mit Ihrer pastoralen Art von Anfang an auf den Keks gegangen. Diese Maoisten haben unser Land bis zur Unkennlichkeit zerstört. Eine typische pharisäerische Pazifistin, die sich über den militarisierten Alltag in der DDR nie empörte aber dieses besetzte Gebiet nach Honneckers Forderungen anerkennen wollte. Mehr Schaden geht nicht.

sitra achra am 17.03.23, 13:14 Uhr

Antje Vollmer verkörpert für mich alle unangenehmen Eigenschaften der westdeutschen Blase. Allerdings war ich ebenfalls nicht für die "Wiedervereinigung", da diese historisch falsch gewendet wurde. Schließlich war es Preußen, das die deutsche Einheit zumindest partiell begründet hatte, und nicht die reichsdeutschen Randgebiete. Hier bläst sich ja der Floh zum Quakfrosch auf. Das Interesse für v.Lehndorff dürfte nur sekundär gewesen sein, weil dieser gegen Hitler opponierte, ein kulturelles Interesse an der ostdeutschen Kultur und Wesensart kann ich hier ebenfalls nicht erkennen.
Antje Vollmer ein "Charakterkopf": westdeutscher Charakter mit allen negativen Eigenschaften bestimmt, aber ein "Kopf"?
Eher eine "Frau ohne Eigenschaften".

Hubert Holzner am 17.03.23, 11:59 Uhr

Ich denke, Frau Vollmer war authentisch, sie glaubte an das, was sie sagte und politisch zu bewirken versuchte. Und sie hatte Bildung. Alles Eigenschaften, die man bei fast jedem "Grünen" heute vergebens sucht. Man mag mit vielen ihrer politischen Ansichten nicht übereinstimmen, wenigstens ihr kompromissloser Einsatz für Frieden und Diplomatie ehrt sie. Dass sie natürlich eine wichtige Rolle dabei spielte, den "grünen" Zeitgeist, eine zutiefst totalitäre Ideologie, in der Mitte der Gesellschaft zu etablieren, steht auf einem anderen Blatt. Sie verhalf den Roths, Habecks, Hofreiters, Baerbocks und wie sie alle heißen zu ihren Positionen, von denen aus sie de facto unseren freiheitlichen Rechtsstaat aushöhlen, zerstören und neben sich als Kriegshetzer betätigen. Man mag es so ausdrücken: Sie wollte dem "Guten" in der Politik zur Geltung verhelfen und förderte dabei diejenigen, die heute dem feministischen, queeren Ökofaschismus huldigen und das Land zerstören.

Michael Holz am 16.03.23, 18:36 Uhr

Man soll über Tote nicht Schlechtes reden. Sicherlich gehört das zum guten Ton. Leider kann ich über Vollmer nichts Gutes reden. Diese Frau hat u.a. die Grünen Khmer erst salonfähig gemacht, ihre Rolle in der Politik ist überaus als negativ zu bewerten. Nehring schreibt diese Frau schön, was sie nicht war!

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