08.09.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden

Frischer Mix in Straßburg

Neue Fraktionen im EU-Parlament

„Europa Souveräner Nationen“ – für die einen wahrer Aufbruch, für die anderen Resterampe

Peter Entinger
19.07.2024

So gehen die Meinungen auseinander. Der geschasste Spitzenkandidat, welcher der neuen Fraktion nicht einmal angehört, spricht davon, dass ein Traum in Erfüllung gehe. Ein ehemaliger Parteichef nennt die neue rechte Truppe schlicht „Resterampe“. Auch sonst dürften der wegen seiner Nähe zu Russland und China in die Kritik geratene AfDler Maximilian Krah, der im neu gewählten Straßburger Parlament auf den Plätzen der Fraktionslosen Platz nehmen muss, und AfD-Ex-Parteichef Jörg Meuthen, der die Rechtspopulisten einst von der konservativen EKR-Fraktion in die rechte ID-Delegation führte, um am Ende ebenfalls fraktionslos zu sein, nicht mehr viel gemeinsam haben.

Und wie groß die Gemeinsamkeiten derer wirklich sind, die sich in der vergangenen Woche in Straßburg zusammengefunden haben, steht noch in den Sternen. Immerhin ist es der AfD vielen Unkenrufen zum Trotz doch gelungen, ein neues rechtes Bündnis zu schmieden. Der Fraktion sollen demnach 28 Abgeordnete aus neun Ländern angehören, 14 davon von der AfD. Für eine Fraktionsbildung im Europaparlament sind 23 Abgeordnete aus sieben Mitgliedstaaten notwendig. Chef der Fraktion, die sich „Europa Souveräner Nationen“ nennt, soll der Thüringer Rene Aust werden. Im neuen Bündnis dürfte die AfD nicht mehr wie zuletzt in der ID-Fraktion das fünfte Rad am Wagen spielen, sondern eher tonangebend sein. Ein Blick auf die neue Gemeinschaft lässt dabei vermuten, dass sie entweder aus der Not der Einsamkeit geboren ist, oder der Bezeichnung „Resterampe“ doch nicht so ganz entkommen kann. So jedenfalls liest sich die Teilnehmerliste:

die Reconquête aus Frankreich,
die Konfederacja aus Polen,
die Wasraschdane aus Bulgarien,
die Se Acabó La Fiesta aus Spanien,
die tschechische Svoboda a přímá demokracie,
die Republika aus der Slowakei,
die People and Justice Union aus Litauen
und zu guter Letzt eine parteilose Abgeordnete aus Ungarn.

Die Probleme beginnen dabei schon bei den als islamkritisch geltenen Franzosen. Krah, der nach seinen Ausfällen im Wahlkampf als AfD-Spitzenkandidat gar nicht erst in die Straßburger Delegation aufgenommen wurde, hatte bereits frühzeitig mit Reconquête-Parteigründer Eric Zemmour geliebäugelt. Er erschien ihm von vornherein politisch zuverlässiger als Marine Le Pen und ihr Rassemblement National, kurz RN genannt.

Orbáns „Patrioten für Europa“ als einflussreiche Kraft
Bei der EU-Wahl erzielte Zemmour dann immerhin noch 5,5 Prozent und schickte fünf Abgeordnete nach Straßburg. Doch im Zuge der französischen Parlamentswahlen schlossen wiederum vier der fünf Gewählten – darunter Le Pens Nichte Marion Maréchal –, ein Bündnis mit dem Rassemblement National. Somit wurden sie parteilos und es war bis zuletzt offen, ob sie sich nicht doch der größeren Fraktion „Patrioten für Europa“ anschließen, die bereits zuvor vom ungarischen Regierungschef Viktor Orbán gegründet worden war.

Zurück zur „AfD-Truppe“. Der bulgarische Parteichef Kosta Kostadinow erwähnte schon mal lobend, dass Deutschland und Bulgarien im Ersten und Zweiten Weltkrieg verbündet waren, und sagte auf einem AfD-Parteitag: „Es ist höchste Zeit, dass Ihr Land seinen rechtmäßigen Platz als Großmacht einnimmt, und das nicht nur in Europa.“ Selbst AfD-Funktionären gilt Kostadinow seither als unkalkulierbarer Kantonist.

Die polnische Konfederacja musste zwei Abgeordnete auf Druck der AfD von der Fraktionsliste streichen. Sie sollen sich in Interviews nämlich mehrdeutig zum Thema Holocaust geäußert haben. Als bestenfalls „skurril schillernd“ wird die spanische Partei „Die Party ist vorbei“ von Kritikrn eingestuft. Deren Vorsitzender Alvise Pérez bezeichnet sich gerne als den spanischen Trump. Er erzielte bei der EU-Wahl immerhin 5,1 Prozent und jagte damit vor allem Spaniens rechtspopulistischer Vox-Partei wertvolle Punkte ab. Angesprochen auf eine mögliche Zusammenarbeit beider Parteien, sagte Vox-Chef Santiago Abascal abwertend: „Auf diesen Sargnagel lege ich keinen Wert.“

Nach ihrem steilen Aufstieg bei den spanischen Parlamentswahlen und dem Tiefschlag bei der EU-Wahl sehnt sich Vox nach Seriosität und fand daher Anschluss im neuen Orbán-Bündnis. Fraktionsvorsitzender dort wurde der RN-Chef Jordan Bardella. Neben der FPÖ aus Österreich haben sich auch der belgische Vlaams Belang sowie die Dänische Volkspartei dem Orbán-Bündnis angeschlossen, das somit hinter Christdemokraten und Sozialdemokraten die drittstärkste Kraft in Straßburg wird. Bardellas Stellvertreterin in der Fraktion wird Kinga Gál, die Vorsitzende von Orbáns Fidesz im EU-Parlament.

Die bisherige ID-Fraktion steht hingegen vor der Auflösung. Obwohl Wahlgewinner, zählt auch die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni zu den Verlierern. Die eurokritische EKR-Fraktion verliert dabei an Einfluss. Nennenswerte Stärke hat neben Melonis „Brüder Italiens“ nur noch die polnische ehemalige Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“. Doch am Ende stellt sich wie immer die Frage nach der Stabilität dieser Bündnisse. Vor allem auf die Zusammenarbeit zwischen Orbáns Leuten und dem RN darf man gespannt sein. Vor fünf Jahren legte Marine Le Pen noch ihr Veto ein, als Orbán in die ID-Fraktion wollte. Nun spricht man von einer Liebesheirat.


Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie die PAZ gern mit einer

Anerkennungszahlung


Kommentar hinzufügen

Captcha Image

*Pflichtfelder

Da Kommentare manuell freigeschaltet werden müssen, erscheint Ihr Kommentar möglicherweise erst am folgenden Werktag. Sollte der Kommentar nach längerer Zeit nicht erscheinen, laden Sie bitte in Ihrem Browser diese Seite neu!

powered by webEdition CMS