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Der Subkontinent stürmt an die Spitze – verharrt aber in Vielem bislang auf Entwicklungsland-Niveau
Im April dieses Jahres verdrängte Indien die Volksrepublik China von der Spitze der Rangliste der bevölkerungsreichsten Länder der Welt. Und auch sonst ist der flächenmäßig siebtgrößte Staat der Erde auf dem besten Wege, zu einer globalen Supermacht aufzusteigen, weswegen die „New York Times“ kürzlich sogar titelte: „Bricht jetzt das indische Jahrhundert an?“
So prognostiziert der Internationale Währungsfonds (IWF) jährliche Wachstumsraten der indischen Wirtschaft von sechs bis sieben Prozent, womit das Land mittelfristig zur drittgrößten Volkswirtschaft nach den USA und China aufsteigen und ab 2050 dann sogar den ersten Platz einnehmen könnte – Letzteres glaubt beispielsweise der frühere Chefökonom des IWF und Gouverneur der indischen Zentralbank, Raghuram Rajan.
Immerhin verfügt Indien über einen florierenden IT-Sektor mit etlichen Millionen Beschäftigten. Zum Vergleich: Für den größten deutschen Software-Konzern SAP arbeiten nur rund 112.000 Menschen. Dazu kommen Industriegiganten wie Reliance Industries mit einem Umsatz von 110 Milliarden US-Dollar, die Tata-Gruppe, welche bereits Niederlassungen in 85 Ländern besitzt, oder die Pharmakonzerne Cipla und Glenmark, die heute quasi als „Apotheke der Welt“ fungieren.
Außerdem wären da noch Geldinstitute wie die Mumbaier HDFC Bank. Diese hat 120 Millionen Kunden sowie 8300 Filialen und soll 172 Milliarden Dollar wert sein, weshalb sie nach Angaben des Finanzinformationsdienstleisters Bloomberg auf Platz 4 der größten Banken rund um den Globus rangiert. Insgesamt gibt es in Indien inzwischen mehr börsennotierte Unternehmen als in jedem anderen Land der Erde, nämlich rund 5000.
Vorteilhafte Weltlage
Ein wesentlicher Standortvorteil der indischen Wirtschaft ist dabei die hohe Arbeitsmoral beziehungsweise -leistung der Beschäftigten: Einer Studie der Schweizer Großbank UBS zufolge liegt die durchschnittliche tatsächliche Jahresarbeitszeit in Mumbai bei 3315 Stunden und somit knapp dem Doppelten des Wertes in Deutschland. Hilfreich ist darüber hinaus, dass 300 Millionen Inder Englisch sprechen, also die Geschäfts-, Technik- und Wissenschaftssprache der modernen Welt.
Des Weiteren profitiert Indien von der gegenwärtigen geopolitischen Situation, die es zum begehrten Partner der USA, Australiens, Japans und Europas, aber auch Russlands und vieler Schwellen- oder Entwicklungsländer in Asien, Afrika und Südamerika macht. Dadurch hat das traditionell um Neutralität bemühte und geschickt zwischen den Machtblöcken lavierende Indien viele unterschiedliche außen- und wirtschaftspolitische Optionen. Vor diesem Hintergrund ist es durchaus denkbar, dass die Republik auf dem indischen Subkontinent in einer künftigen multipolaren Welt zumindest auf Augenhöhe mit den USA und China agiert.
Andererseits könnte das Konglomerat aus 28 Bundesstaaten und acht bundesunmittelbaren Territorien aber durch innere Widersprüche daran gehindert werden, an äußerem Gewicht zu gewinnen. Bekanntlich rumoren in Indien erhebliche religiöse, ethnische, soziale und politische Spannungen. Und auch im Verhältnis zu den Nachbarn Pakistan und China folgt eine Krise der anderen, weswegen erhebliche Summen in die Aufrüstung fließen (siehe unten).
Jedes fünfte Kind ist unterernährt
Weitere Hürden auf dem Weg zur Weltmacht stellt die vielfach noch marode oder fehlende Infrastruktur vor allem im Bereich Verkehr und Energieversorgung dar, die überbordende Korruption und Bürokratie sowie die Rechtsunsicherheit und der Reformstau, wenn es um Fragen des Eigentums und der Landnutzung geht. Daher muss Indien noch gewaltige Anstrengungen unternehmen, um ähnlich erfolgreich wie China zu sein. 2022 jedenfalls betrug das indische Bruttoinlandsprodukt pro Kopf nur rund 2380 US-Dollar, während es in der Volksrepublik nördlich des Himalaja bei ungefähr 12.000 Dollar lag.
Aber damit nicht genug: Die staatliche Ineffizienz in der ehemaligen britischen Kolonie, welche im August 1947 ihre Unabhängigkeit erlangte, führt darüber hinaus zu einer immensen Umweltverschmutzung und unzureichenden Gesundheitsversorgung der Mehrheit der Bevölkerung sowie zu einem Mangel an Nahrungsmitteln. Im von der Welthungerhilfe und der Nichtregierungsorganisation Concern Worldwide herausgegebenen Welthungerindex rangierte Indien 2022 nur auf Platz 107 – und damit sogar noch hinter Äthiopien und seinen deutlich ärmeren Nachbarn Bangladesch, Sri Lanka und Myanmar.
So leidet jedes vierte Kind in Indien an Unterernährung. Gleichzeitig liegt die Kindersterblichkeit höher als in anderen asiatischen Staaten: Fünf Prozent der indischen Kinder erleben ihren fünften Geburtstag nicht. Insofern ist die potentielle Supermacht auf manchen wichtigen Gebieten nach wie vor ein Entwicklungsland.