30.09.2025

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden

Preußische Moderne

„Neues Bauen“ im Freistaat

Architektur und Städtebau in Preußen während der Weimarer Zeit – 2. Teil: Die 13 Provinzen

Ingo Sommer
15.08.2025

Nicht in allen acht östlichen Provinzen des Freistaates Preußen war das Neue Bauen Selbstläufer. Neben Berlin mit seinen Weltstadtprojekten fiel die Moderne in den drei preußischen Provinzen Brandenburg, Niederschlesien und Sachsen auf fruchtbaren Boden. Wohl auch, weil sie politisch eher links geprägt waren.

Da waren zuerst die zahlreichen Berliner Großsiedlungen, beginnend 1924 mit der Siedlung Schillerpark (Bruno Taut), übrigens zwei Jahre bevor das Büro Gropius den Bau seiner ersten Wohnsiedlung in Dessau (1926–1928) überhaupt begann. In allen neuen Großberliner Stadtteilen schossen sie wie Pilze aus dem Boden: 185.000 neue Wohnungen in der Zeit bis 1933. Hufeisensiedlung, Onkel-Tom-Siedlung (1926–1932), Weiße Stadt (1929–1931) und Siemensstadt (1929–1931) wurden prominent. Der Flickenteppich von 100 das alte Berlin umgebenden Orten musste städtebaulich zusammengeführt und neu gedacht werden. Straßenachsen, Platzgestaltungen, Energieversorgung und Großprojekte wie Strandbäder, Messegelände, Reichstagserweiterung, Hauptbahnhof und so weiter. Die Regie führte Stadtbaurat Martin Wagner (1926–1933). Die Verkehrsplanung lag in den Händen von Stadtrat Ernst Reuter (1926–1931). 1928 gründete er die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). Alfred Grenander baute die modernen U-Bahnhöfe.

In der Provinz Brandenburg ist zuerst die Industriestadt Brandenburg/Havel mit ihren sozialen Siedlungen und dem gemeinnützigen Wohlfahrtsforum zu nennen: ein multifunktionaler Bautyp der Krankenkasse, Schwimmbad, Arztpraxen oder Turnhalle unter einem Dach vereinigt. Andere Industriestädte waren ähnlich strukturiert: Cottbus, Frankfurt (Oder), Rathenow, Luckenwalde. Es wäre ein Versäumnis nicht auch Erich Mendelsohns Einsteinturm in Potsdam und Albert Einsteins eigenes Haus in Caputh zu nennen.

In der Preußischen Provinz Sachsen entwickelte sich in den 1920er Jahren neben der Hauptstadt Magdeburg in Leuna, Bitterfeld, Halle, Wittenberg und Erfurt eine Industrialisierung, die einen baukulturellen Modernisierungsschub bewirkten. Die Kunstgewerbeschulen Halle-Giebichenstein und Magdeburg sowie die Stadtbauräte Bruno Taut und Johannes Göderitz setzten kompromisslos auf Neues Bauen. Es entstanden Wohnsiedlungen, aber auch zahlreiche Kommunalbauten und ein bedeutendes Ausstellungszentrum. Halle, rotes Herz Mitteldeutschlands und preußische Universitätsstadt, blieb mit seinen Staatsbauten bei einer gemäßigten Architekturlinie, trat aber mit aufregend neuen Großsiedlungen hervor.

Die acht östlichen Provinzen
In der preußischen Provinz Niederschlesien war Breslau mit seiner Akademie für Kunst und Kunstgewerbe avantgardistischer Anziehungspunkt. Hans Poelzig, August Endell, Adolf Rading und Hans Scharoun waren dort Architekturprofessoren. Dazu die Breslauer Stadtbauräte Max Berg, Hugo Althoff und Fritz Behrendt. Ein Sonderfall war die katholische 1919 verselbstständigte Provinz Oberschlesien, das Industriegebiet um die Hauptstadt Oppeln, um Beuthen, Hindenburg und Gleiwitz.

Deutlich schwerer hatte es die Moderne in den protestantischen preußischen Provinzen Pommern, Ostpreußen und der Neugründung Grenzmark Posen-Westpreußen, die politisch konservativ geprägt waren. Die geopolitischen Verschiebungen und der wirtschaftliche Niedergang verboten hochfliegende Pläne.

In den fünf westlichen preußischen Provinzen Schleswig-Holstein, Hannover, Westfalen, Rheinprovinz und Hessen-Nassau ging die Baukultur jeweils eigene Wege in die Moderne.

Am nächsten an der Moderne war das Neue Frankfurt mit seiner fortschrittlichen Stadtregierung und Stadtbaurat Ernst May (1925–1930) mit seinem Team ultramoderner Architekten und der avantgardistischen Städelschule. Es entstanden in den zahlreichen Frankfurter Großwohnsiedlungen (1925–1934) 15.000 Wohnungen in schmucklos-kubischer Weißer Moderne. Ähnliche entstanden dann in der hessischen Provinzhauptstadt Kassel (Rothenbergsiedlung 1928–1931) und in Hanau (1926–1927). Die Moderne drang sogar bis in die katholische Barockstadt Fulda (Landesbibliothek 1930–1931) und die Universitätsstadt Marburg vor (Sanatorium Sonnenblick 1930–1932).

In der überwiegend katholischen Rheinprovinz, in Koblenz und Trier verharrte man in Traditionen, aber es kam zu erstaunlich modernen Glanzlichtern. Aachen wurde durch die Technische Hochschule (1880) und die Kunstgewerbeschule (1904) in eine gemäßigte Modernität dirigiert. Düsseldorf durch die Kunstakademie. In Köln war es der preußenkritische Beigeordnete und dann Oberbürgermeister Konrad Adenauer (1906/1917–1933), der trotz Finanzknappheit das moderne Bauen vorantrieb: Wohnsiedlungen, Stadtumbau, Entwicklung von Messe (1914–1924), Universität (1919) und Werkschulen (1926). In den rheinischen Ruhrgebietsstädten Oberhausen, Duisburg, Mülheim ist eine besondere Rote Moderne, also robustes Sichtziegelmauerwerk in kubisch-klarer Formgebung zu besichtigen. Essen wurde mit seiner Folkwangschule (1911–1927) und ihrem genialen Direktor Alfred Fischer zum Kristallisationspunkt der Ruhrgebietsmoderne.

Die fünf westlichen Provinzen
Bochum, Recklinghausen, Gelsenkirchen, Dortmund, Hagen und Hamm gehörten zur preußischen Provinz Westfalen. Besonders im westfälischen Münsterland und im Sauerland übertrug sich der ultramontane Katholizismus auf einen Antimodernismus, der Neues Bauen dort zur Seltenheit werden ließ.

In den preußischen Provinzen Hannover und Schleswig-Holstein schlug die Rote Moderne mit ihren wetterfesten Ziegel- und Klinkerfassaden den Bogen zu niederdeutscher Kultur. Hannover wurde von Stadtbaurat Karl Elkart (1925–1945) in eine gemäßigt zurückhaltende Moderne gesteuert. Trotzdem finden sich bemerkenswerte Belege für Neues Bauen: in Hannover-Miesburg ein Jugendheim von Friedrich Fischer (1927). Ziegelbauten der Moderne auch in Osnabrück, Wilhelmshaven und im ostfriesischen Emden Kino, AOK und Schulen (1930–1932). Vorzeigebeispiel Weißer Moderne wurde das hannoversche Celle mit den herausragenden Bauten von Otto Haesler (ab 1924).

In der preußischen Provinz Schleswig-Holstein waren die ziegelumhüllten Hafenspeicher von Kiel, Eckernförde, Flensburg, Husum und Kappeln wohl das modernste. Wohnungsbau und Hafenbauten blieben gemäßigt modern. Größte Stadt der Provinz war nicht die Marinestadt Kiel, sondern Altona mit herausragend vorbildlichen Wohnsiedlungen, Sozial- und Bildungsbauten. Immer wieder gab es Ausnahmen: Gut Garkau (1924–1926), der Bahnhof von St. Peter Ording (1930–1932), das Kraftwerk Schulau (1928).

Wie ging es weiter? 1937 zog der Architekt Albert Speer die Befugnisse aller Baubehörden Preußens, des Reiches und Berlins an sich. Die Moderne und viele ihrer Architekten kehrten in der Nach-NS-Zeit zurück. Ab 1950 entstanden rational geplante Satellitenstädte: Wohnsiedlungen, in Serie konstruiert, mit kompletter Infrastruktur, gereiht in Zeilen, zu Türmen gestapelt und rationell gefertigt und als moderne Nachkriegsbaupolitik anfangs begrüßt. Aber die Aura der Urbanität durch Dichte verblasste. Gleichförmige Zusammenballungen wurden zunehmend scharf kritisiert und zu sozialen Brennpunkten. Das Glücksversprechen war ja im Sinne der 1920er Jahre: Licht, Luft und Sonne. Aber Baugeschichte lässt sich nicht zurückdrehen.

Ingo Sommer: „Preußische Moderne: Vom Ende der Pracht und eine neue Baukunst 1918–1933“, Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Band 59, Duncker & Humblot, Berlin 2024, 1 Karte, 202 teilweise farbige Abbildungen, 520 Seiten, 49,90 Euro, ISBN 978-3-428-19157-4


Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie die PAZ gern mit einer

Anerkennungszahlung


Kommentar hinzufügen

Captcha Image

*Pflichtfelder

Da Kommentare manuell freigeschaltet werden müssen, erscheint Ihr Kommentar möglicherweise erst am folgenden Werktag. Sollte der Kommentar nach längerer Zeit nicht erscheinen, laden Sie bitte in Ihrem Browser diese Seite neu!

powered by webEdition CMS