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Industriegeschichte

Nicht mal Adam Opel fährt ’nen Opel

Zu Fuß in der Autostadt Rüsselsheim – Vor 125 Jahren wurde in der Stadt am Main mit der Automobilproduktion begonnen

Bettina Müller
18.06.2024

Nicht „jeder Popel fährt 'nen Opel“. Manche reisen auch mit der Deutschen Bahn in die Opel-Stadt Rüsselsheim. Kaum dem Bahnhof entronnen, ist man auch schon mittendrin im vermeintlichen Paradies der motorisierten Welt der hartnäckigen Fußgangverweigerer.

Verlässt man das Bahnhofsgebäude, ist er auch gar nicht zu übersehen: Da lebt der Firmengründer Adam Opel in bronzener Form jovial und freundlich weiter, seit man ihm 1937 diese Statue gewidmet hat. Aber wenigstens ein Partyhütchen hätte man ihm, der heute über sein riesiges Alt-Werk hinter ihm wacht, aufsetzen können, denn dieses Jahr hat Opel so einiges zu feiern: Vor 125 Jahren begann man hier mit der Automobilproduktion. Vor
100 Jahren war Opel der erste deutsche Hersteller, der die Großserienproduktion mit Fließbandtechnik einführte. Und vor 25 Jahren fuhr der 50-millionste Wagen aller Opel-Produktionsstandorte in Rüsselsheim vom Band. Heute gehört Opel zum Automobilkonzern Stellantis mit Sitz in den Niederlanden. Dieser ging 2021 aus der Fusion der damaligen Opel-Mutter, der französischen Groupe PSA, mit Fiat Chrysler Automobiles hervor.

Rüsselsheim ist die Wiege Opels, und die hat eine lange Tradition. Es war im Jahr 1862, als der Firmengründer Adam Opel den Grundstein für das heutige Imperium legte und es zielstrebig und zügig von einer kleinen Nähmaschinenproduktion zu einem Imperium aufbaute. 1886 stieg man auf die Fahrradherstellung um, 1899 schließlich auf die Automobilproduktion. Bereits 1900 hatte sich das Werk zum Großbetrieb entwickelt.

1929 aber, als das Leben der Familie Opel zunehmend von Geldsorgen und Familientragödien gezeichnet war, verkaufte man kurzerhand an die amerikanische General Motors (GM). Da war der Firmengründer Adam Opel schon lange tot. Er hätte sich nach diesem Verkauf wohl im Grabe herumgedreht.

Die Bedeutung des Werks spiegelt sich jedoch nicht kongruent zu der Erfolgsgeschichte im Innenstadtkern wider, was vor allem daran liegt, dass die Stadt im Zweiten Weltkrieg sehr gelitten hat und der historische Ortskern weitestgehend zerstört wurde. Man sieht dort nicht, dass Rüsselsheim eigentlich eine uralte Stadt ist, die 830 erstmals urkundlich erwähnt wurde und die 1437 Stadtrecht bekam.

Es gibt viel Leerstand und Tristesse
Verschont vom Bombenhagel wurde jedoch unter anderem das bereits erwähnte Alt-Werk, mit dem man hier aber nicht so recht etwas anzufangen weiß. Es steht in Teilen leer, ist mit riesigen Werbebannern verunstaltet, deren grelle Farben recht unsanft mit dem Rotbraun der denkmalgeschützten Backsteinarchitektur kontrastieren.

Die Reklame preist vollmundig Vermietungsangebote an, doch man kann auch Führungen durch die Hallen des stillgelegten Werkes buchen, das an verschiedenen Standorten mit seinen Backsteinfassaden in der Stadt immer mal wieder in den Blickpunkt gerät. Wie ein Krake umklammert es die Stadt und will sie partout nicht mehr loslassen. Denn Opel ist gewissermaßen die Daseinsberechtigung dieser Stadt, von der man nicht sagen kann, dass sie zu den schönsten Deutschlands gehöre.

Rüsselsheim ohne Opel, das ist nach wie vor undenkbar, an einem Standort, der einst mit mehr als 30.000 Beschäftigten der größte Arbeitgeber der Region war. Doch im volatilen Automobilgeschäft, das keinerlei Garantie für einen Erfolgskurs gibt, auch nicht, wenn man auf E-Mobilität und eine „grüne Firmenzentrale“ setzt, was mittlerweile auch in Rüsselsheim die Zauberworte sind, ist dessen Mitarbeiterzahl derzeit stetig am Schrumpfen.

Trotz allem konnte man 2023 mit insgesamt 670.000 weltweit verkauften Fahrzeugen den Absatz deutlich steigern. Man ließ sich nicht lumpen: Auch die deutschen Stellantis-Beschäftigten erhielten 2023 eine Bonuszahlung von 1850 Euro. Und im April kam schließlich auch wieder ein neues Modell auf den Markt: der Opel Frontera.

Der Gang durch die Fußgängerzone ist tatsächlich ernüchternd. Es gibt viel Leerstand und Tristesse. Verrentete „Opelaner“, wie man die Werksangehörigen hier bezeichnet, bevölkern die Cafés und langweilen sich. Ein großes alteingesessenes Schuhgeschäft hat Räumungsverkauf. Womit soll man denn jetzt auf das Gaspedal drücken? Für Einkaufssüchtige ist die Stadt eher uninteressant.

Grüne Erhol-Oasen
Eine Stadt kann sich nicht dauerhaft auf den von Adam Opel geschaffenen Automobil-Lorbeeren ausruhen. Sie muss sich ständig neu erfinden und Alternativen anbieten, was in Zeiten angespannter Haushaltslagen nicht immer einfach ist. Dennoch lockt der alljährliche Kultursommer oder die Jazzfabrik mit hochkarätigen Veranstaltungen. Es sind vor allem aber (Industrie-)Kulturfans, die hier auf ihre Kosten kommen, zumal der Ort unbedingt auch im Kontext der „Industriekulturroute Rhein-Main“ gesehen werden muss, mit der man seit Jahren versucht, auch dieser Stadt und Gegend neues touristisches Leben einzuhauchen.

Die beste Anlaufstelle, um tief in die wechselvolle und interessante Geschichte von Rüsselsheim einzutauchen, ist für den Besucher das Stadt- und Industriemuseum, das sich mitten in der uralten hessischen Landesfestung am Main befindet, deren Wallanlagen, Rondelle und Kasematten teilweise noch erhalten sind.

Am Main konzentrieren sich dann auch – neben Alt-Werk, Festung und Industriemuseum – die weiteren Sehenswürdigkeiten der Stadt. Das sind vor allem die beiden Opelvillen, die auch ein Zentrum für Kunst und Kultur beherbergen sowie ein Restaurant. Beide Villen gehörten Fritz Opel, dem Sohn Adams, für den das ganze Ensemble bis zu seinem Tod 1938 sein „Schloss am Main“ war.

Und dann wird es – trotz aller Technik – sogar ein wenig romantisch, auch das kann Rüsselsheim. Vergessen sind Verbrenner-Autos und verpestete Luft. Man betritt den Vernapark, diese grüne Oase in der Nähe des Mains, die nur einen Steinwurf entfernt von den Ruinen der Festung liegt. Benannt wurde er nach Wilhelmina von Verna, die das Anwesen, ein ehemaliges Amtshaus mit Garten, 1839 erworben hatte. Doch bereits 1843 starb ihr Mann bei einem Reitunfall, und die Witwe war bis zu ihrem Tod im Jahr 1878 damit beschäftigt, sich dort zum Trost ihr ganz persönliches Refugium zu erschaffen.

Das ist heute eine fast klösterlich anmutende Idylle mitten in der Stadt, mit Weiher und Mühle, Springbrunnen und Spazierwegen, die mittlerweile von der Gemeinde gekauft und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wurde. Natürlich nur für Fußgänger – so wie Adam Opel einer war. Die Statue am Bahnhofsplatz zeigt den Mobilisten ausgerechnet als Spaziergänger.


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