24.04.2024

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Deutsch-polnische Nachbarschaft

„Nun lass mal, jetzt ist hier Polen“

Der schlesische Filmemacher Michael Majerski erzählt von den Schicksalen östlich von Oder und Neiße

Chris W. Wagner
31.03.2020

Eigentlich sollte Michael Majerski im Sportmuseum von Krummhübel [Karpacz] in Niederschlesien Gast sein. Angesichts der Corona-Krise fiel der Termin des 1948 in Bad Altheide [Polanica-Zdroj] in einer deutsch-polnischen Familie geborenen Filmemachers aus. Doch seine Filme sind ihm nicht profaner Broterwerb, sondern ein Abarbeiten der deutsch-polnischen Nachbarschaft und der eigenen Biografie.

Seinen letzten, 2018 erschienenen Film über Hinterpommern sowie Stettin hat der 1978 nach einem Studium an der Filmhochschule in Lodsch ausgesiedelte Majerski im Internet hochgeladen und den Link unter Freunden verschickt. „Ich hoffe, dass er sich stark verbreitet. Derzeit gibt es ja keine Möglichkeit für Aufführungen, und so habe ich mir gesagt, auf diese Weise kann ich die Leute doch noch erreichen. Zeit daheim haben derzeit ja ganz viele“, meint er. Seine mit vielen Preisen ausgezeichneten, abendfüllenden Filme reflektieren die Nachkriegsgeschichte in den zur Republik Polen gehörenden ostdeutschen Gebieten aus subjektiver Perspektive von Menschen, die auf beiden Seiten der Grenze leben.

Und ganz dicht von dieser entfernt lebt er auch nach den Jahren in der Bundesrepublik Deutschland nun am Stadtrand von Stettin. „Bei mir vor der Haustür merke ich kaum, dass ich in einer Großstadt bin. Hinter meinem Haus ist gleich der Wald“, sagt er und macht sich dennoch Sorgen. Er möchte nun noch seine in Berlin lebende Tochter nachholen. „In Berlin wird den Leuten in der Enge der Großstadt sicher schneller die Decke auf den Kopf fallen und da mache ich mir schon große Sorgen um die Entwicklung dort. Wenn sie mit dem Bus zu mir käme, müsste sie eben bei mir daheim erst einmal zwei Wochen in Quarantäne, aber das ist wohl dennoch das Beste“, denkt er. Majerski freut sich, dass sie dann genug Zeit haben zu reden, auch über die Vergangenheit, über die verlorene und gewonnene Heimat und all die Geschichten, die er von seinen Eltern nicht erfahren hat. „Meine Eltern haben mir nicht auf Fragen geantwortet, sie sagten immer: „Nun lass es mal, es ist vorbei, jetzt ist hier Polen!“

Der Vergangenheit auf der Spur

Diese Haltung kann er gut verstehen, sie war einst auch seine. „Ich bin in Schlesien aufgewachsen und ganz bewusst weggegangen. Nach vielen Jahren habe ich mich auf meine Vergangenheit besonnen. Meine Eltern leben nicht mehr und ich kann ihnen nun keine Fragen mehr stellen. Deswegen dachte ich, dass ich Filme über Menschen mache, die mich selbst interessieren. So, als ob die Leute vor der Kamera meine Eltern wären.“ Aus diesem Bedürfnis sind „Das Land meiner Mutter“ (2005), „Oberschlesien. Streuselkuchen von zu Hause“ (2010) oder seine neuste Produktion „Es war einmal Pommern“ (2018) entstanden.

Diese und weitere Filme habe er in erster Linie für sich selbst gemacht, so Majerski. „Es ist jedoch eine normale Situation, denn man macht entweder Handwerk fürs kommerzielle Fernsehen oder man macht Filme als Künstler. Filmemachen ist mein Beruf und die letzten drei Filme sind eigentlich meine drei Filme, die ohne Auftrag entstanden sind.“ Im Mittelpunkt dieser künstlerischen Dokumente steht das Bemühen, mehr voneinander zu wissen. „Aus Ruinen lässt sich etwas aufbauen, aber was ist mit den Menschen? Polen aus Zentralpolen und weiter östlich, aber auch Ukrainer wurden angesiedelt, wo die Deutschen vertrieben wurden. Die Polen wissen bis heute nur sehr wenig von der Geschichte ihrer Region, da ja niemand da war, der sie hätte erzählen können“, sagt er.

Fragen nach dem einst und jetzt stellte Majerski in seinem letzten Film über Pommern unter anderem dem 2015 verstorbenen Rudolf von Thadden, dessen Vater Gründer des Evangelischen Kirchentags war, Lisaweta von Zitzewitz oder Vanessa de Senarclens von Bismarck-Osten, die neben polnischen Zeitzeugen, Historikern, Künstlern und Pommern zu den zahlreichen Gesprächspartnern gehören. Auch die Gestalt der Sidonia von Bork, die wegen Hexerei verurteilt und hingerichtet wurde, jedoch in Sagen und Dichtung lebendig blieb, spielt im Film „Es war einmal Pommern“ eine tragende Rolle. Majerski lässt die Adlige aus Stramehl [Strzmiele] bei Labes [Lobez] – die Hexe, die nicht sterben kann, solange Pommern lebt – sagen: „Jetzt, wo Pommern nicht mehr ist, kann ich sterben.“

Doch der Film ist keineswegs pessimistisch. „Meine Filme sind eine künstlerische Antwort auf nicht immer einfache Fragen zur Nachkriegsgeschichte, aber auch zur Zukunft der Regionen östlich der Oder. Es geht im Allgemeinen darum, eine Diskussion zu Themen über die Aktualität der Weltkriegsfolgen auf Regionen, in denen die Bevölkerung ausgetauscht ist, anzuregen. Es ist ein Dialog der Ängste aber nicht der Hoffnungslosigkeit.“ In Majerskis Filmen lässt er die Gesprächspartner in ihrer Sprache antworten, alles ist jeweils in der anderen Sprache untertitelt. „Das ist für mich die Grundlage des gegenseitigen Verstehens“, sagt er. Hochgeladen hat er den neuen Film über Pommern unter vimeo.com/user14636580/videos. Dort finden sich auch weitere Filme von ihm.


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