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Oberschlesien vor dreisprachigen Schildern?

Ortsschilder in slawischer Mundart machen bald wohl dem Deutschen Konkurrenz

Till Scholtz-Knobloch
08.07.2024

Im Nachwendepolen hat die Einführung zweisprachiger Ortsschilder in polnischer und deutscher Beschriftung lange Jahre heftige Reaktionen ausgelöst und funktionierte in vielen Fällen auch in Gemeinden nicht, in denen Deutsche einen beachtlichen Anteil der Bevölkerung des Ortes stellen. Die vielen Hürden bis zur Verwirklichung stehen in deutlichem Gegensatz etwa zur zweisprachigen Beschilderung bei den Sorben in der deutschen Oberlausitz. Hier gilt nämlich die statistische Erfassung zur Verbreitung der sorbischen Sprache von Arnošt Muka aus den 1880er Jahren als Maßstab für die Bestimmung des so weitgehend fiktiven sorbischen Siedlungsgebiets.

Ein beträchtlicher Teil zweisprachiger sorbischer Ortsschilder steht in Orten, in denen Sorbisch mitunter schon viele Jahrzehnte lang ausgestorben ist. Neuerdings fahren in der Oberlausitz zwischen Bautzen und Kamenz Busse mit zweisprachiger sorbisch-deutscher Haltestellenankündigung. Die Neuerung soll bis 2025 auf allen Buslinien im sorbischen Siedlungsgebiet Sachsens für 800 Bezeichnungen eingeführt werden, womit diese dann auch großflächig auf „ausgestorbenem“ Sprachgebiet zu hören sein werden.

Während von solchen Perspektiven die Deutschen in Oberschlesien oder erst Recht in Masuren weit entfernt sind, hatte sich der polnische Gesetzgeber lange geziert, dem (Ober-)Schlesischem seinen gesetzlich geschützten Spielraum einzuräumen. Die Frage, ob das Oberschlesische mit seinen Bezügen zum Polnischen, Deutschen und Mährischen überhaupt als eigenständige Sprache verstanden werden könne, ist immer von der Angst begleitet gewesen, Oberschlesien scheide damit zunehmend etwa aus dem polnischen Sprachgebiet und mithin der polnischen Nation heraus. Dabei könnte auch hier eine Analogie zur Bundesrepublik gesehen werden. So gibt es zweisprachige deutsch-niederdeutsche Ortsschilder in Niedersachsen. Sprecher des Niederdeutschen sind hier zugleich Sprecher der deutschen Standartsprache. Ähnliches gilt auch für das slawische Idiom Oberschlesiens und Polnisch in Oberschlesien.

Im April hatte der polnische Sejm das Gesetz zur Anerkennung der (ober-)schlesischen Sprache als Regionalsprache verabschiedet. Das Gesetz in dieser Form hatte Staatspräsident Andrzej Duda nicht unterzeichnet. Diese Anerkennung brächte neben der Option auf institutionelle Zuschüsse für kulturelle Einrichtungen, künstlerische Projekte oder solche zur Bewahrung kultureller Identität auch die Aussicht auf zweisprachige Schilder in Polnisch und der slawischen Varietät in Oberschlesien mit sich – Dudas Amtszeit läuft jedoch 2025 aus.

Mindestens 20 Prozent
Als Grundvoraussetzung sehen die Bestimmungen indes vor, dass bei der letzten Volkszählung mindestens 20 Prozent der Einwohner angaben, zu Hause (Ober-)Schlesisch zu sprechen. Dem aktuellen Stand entsprechend könnten so jedenfalls über 40 Gemeinden und Städte derartige zweisprachige Schilder anstreben. Kurioserweise befindet sich unter diesen Gemeinden auch Rudnik (Polnisch: Rudnik, Oberschlesisch: Rudńik) im Landkreis Ratibor [Racibórz], wo die Deutsche Minderheit aktuell auf dem Weg zu einer doppelten deutsch-polnischen Beschriftung ist. Ob hier künftig drei Ortsnamen auf den Ortseingangsschildern zu finden sein werden, bei denen sich die deutsche und polnische Schreibweise gar nicht unterscheiden und das heimische slawische Idiom nur ein winziges diakritisches Zeichen über dem N erfordert? Es gibt Gemeinden wie Rydultau (Polnisch: Rydułtowy, Oberschlesisch: Rydůłtowy), in denen Deutsch heute nicht mehr im nötigen Quorum mitmischen kann, während Rudnik nicht alleinig für eine Dreisprachigkeit in Frage käme.

Die Nische des slawisch-schlesischen Dialekts bot unter Umgehung des atmosphärisch verbotenen Deutschen viele Jahrzehnte eine Möglichkeit, auf diese Weise zu sagen: „Wir sind wir, und ihr (Polen) seid ihr“. Das könnte es der deutschen Beschriftung künftig noch schwieriger machen, denn das eigene slawische Idiom reicht vielen Menschen zur Unterscheidung. Und einen historischen Bestandsschutz wie im Falle der Sorben in der Oberlausitz gibt es nicht. Es kann neben der Ausbreitung von Schildern auf (Ober-)Schlesisch durchaus auch zum Rückgang deutscher Schilder kommen, wenn künftige Volkszählungen einen weiteren Rückgang der deutschen Sprache mit sich bringen.


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