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Ein Geistlicher aus Himmelwitz bewahrt Vertreibungsschicksale vor Stillschweigen
„Stillgeschwiegen – Die Vertriebenen in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und DDR“ ist der Titel einer Wanderausstellung der Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen, die in Niesky gezeigt wird. Diese Stadt in der Niederschlesischen Oberlausitz ist ein Restteil des historischen Schlesiens, der bei der Bundesrepublik blieb. Vertriebene in der SBZ und DDR durften sich, anders als jene im Westen, weder in eigenen Organisationen zusammenschließen noch zum eigenen oder kollektiven Schicksal bekennen. Die Tabuisierung war total, ihr Schicksal blieb Privatsache, obwohl sie mit rund 4,3 Millionen knapp 25 Prozent der Gesamtbevölkerung darstellten.
„Es war kein Thema für die Gesellschaft. Meine Mutter hat für die Stadt in Rothenburg gearbeitet, da waren Flüchtlinge nicht erwünscht. Dies war nur unter uns und den Eltern ein Gesprächsthema“, sagt Carmen Bötig aus Rothenburg/Oberlausitz. Sie reiste mit ihrer Freundin, Birgit Balzer, nach Niesky. Seit den frühen 90er Jahren sammelt Bötig Familienerinnerungen aus den Heimatgebieten ihrer Vorfahren und von der Flucht ihrer Angehörigen. „Meine Eltern sind beide 1945 aus Schlesien geflohen, auch meine Großeltern. Mein Vater kommt aus Liebichau [Lubiechów] bei Mallmitz [Małomice] und meine Mutter aus Leippa [Lipna], damals Kreis Rothenburg/Oberlausitz. Beide sind bis nach Hoyerswerda geflüchtet und von dort aus sind sie nach Kriegsende 1945 wieder in die Heimat zurückgegangen. Bis der Beschluss kam: ‚Alle Schlesier raus!' Im August 1945 wurden sie erneut gezwungen, über die Neiße zu gehen und landeten in Lodenau, einem Ortsteil von Rothenburg, wo sie blieben“, erzählt sie. Bötig zeigt ihrer Freundin weitere Bilder. Die Heimat ihrer Mutter, Leippa, sei nur acht Kilometer von der neuen entfernt und doch für sie unerreichbar geblieben. „Bei meinem Vater war das noch eine nähere Bindung, denn in seinem Heimatort gab es die Liebichauer Freunde. Diese hatten im Ort einen Gedenkstein für die alten Liebichauer und Mallmitzer, die dort noch beerdigt worden sind, gesetzt. Der Stein steht heute noch“, weiß die Grundschullehrerin Bötig. Hocherfreut erspäht sie unter den Ausstellungsbesuchern ihren einstigen Schüler, den 16-jährigen Gustav. Er kam mit seiner Großmutter zur Ausstellungseröffnung, weil die Geschichte der Vertreibung „in meiner Familie deutlich zu spüren ist. Die Großeltern waren beide Geflüchtete“. Wie klein doch die Welt der Vertriebenen sei, muss Gustavs Großmutter, Claudia Tomisch, feststellen: „Meine Großeltern flohen ebenfalls aus Liebichau, da muss ich doch mit der Lehrerin Verbindung aufnehmen“, so Tomisch, deren Angehörigen auch aus Mühlbock [Ołobok] vertrieben wurden.
Genau so einen Austausch wünscht sich Pfarrer Krystian Burczek mit der ersten Ausstellung in dem von ihm erworbenen und bereits teilsaniertem einstigen Holzkonsum. Auch er habe seine oberschlesische Heimat Himmelwitz [Jemielnica] vor 30 Jahren verlassen, sagt er – jedoch freiwillig. Der damalige Bischof der Apostolischen Administratur Görlitz, Bernhard Huhn, bat den Oppelner Bischof Alfons Nossol, einen Priester in die katholische Diaspora zur Aushilfe zu entsenden. Weil Burczek zuhause Deutsch sprach, meldete er sich dafür. Sehr schnell habe er festgestellt, dass es im Restteil des einstigen Bistums Breslau und des Landstrichs Schlesien kulturelle Gemeinsamkeiten zu seiner Heimat gebe: „Ich bin Schlesier, mein Name klingt polnisch, manche denken, ich sei Pole, manchmal habe ich gelitten. Doch das Schlesische ist eine Substanz des Zusammenseins, über dem die Heilige Hedwig, die aus Andechs nach Trebnitz kam, steht, und seit 30 Jahren Schutzpatronin des Bistums von Görlitz und der Verständigung ist.“ In Niesky kaufte Burczek den ehemaligen Holzkonsum, um ihn vor dem Verfall zu retten. Das Gebäude stammt wie viele weitere Holzbauten der Moderne in Niesky von der Firma Christoph & Unmack. Auf der Fassade des Gebäudes ist noch das Wort „Lebensmitte“ zu lesen. Denn von dem Wort Lebensmittel ist mit der Zeit das letzte l abgefallen und zu lesen blieb halt das Wort Lebensmitte. Für Burczek ist es ein Wink mit dem Zaunpfahl; er ließ es nicht überstreichen, denn er wolle dieses Gebäude zur Lebensmitte der Nieskyer etablieren. Er hofft, dass die Ausstellung „Stillgeschwiegen“ in der Konrad-Wachsmann-Straße 32 die Menschen zum Nachdenken bringt.Chris W. Wagner