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Wirtschaft

Obsession oder Notwendigkeit?

Ein Wirtschaftswissenschaftler untersucht in seinem aktuellen Buch den Drang der Deutschen zum Export vom 19. Jahrhundert bis heute

Dirk Klose
27.04.2024

Was für ein Jahr war 1986! Den Fußballweltmeistertitel knapp verfehlt, aber zum ersten Mal in der deutschen Geschichte Exportweltmeister. Der Erfolg wiederholte sich im vereinten Deutschland noch einmal 2002. Seit 2009 ist China unangefochten „Weltmeister“, Deutschland und die USA rangeln um Silber und Bronze.

Der an der Universität Bayreuth lehrende Wirtschaftswissenschaftler Jan-Otmar Hesse hat in seinem anregenden Buch „Exportweltmeister“ den Drang der Deutschen zu Export und Gewinn als „deutsche Obsession“ ausgemacht und ihn seit dem Kaiserreich bis in unsere Tage minutiös verfolgt. Man liest überrascht, dass „Gründungsvater“ des liberalen Handels der stockkonservative Bismarck-Nachfolger Leo Graf von Caprivi war. Im Reichstag hielt er am 10. Dezember 1891 seine berühmte „Wir müssen exportieren“-Rede. Nur zu gerne folgte ihm das sich rasant zum Industrieland verändernde Kaiserreich. Nach 1918, als der Versailler Vertrag harte Strafen diktierte, versuchte die junge Republik, teilweise mit Erfolg, durch Währungsdumping wieder die deutschen Exporte anzukurbeln.

Die Hälfte des Buches gilt der Bundesrepublik, die bereits 1952 wieder Exportüberschüsse erwirtschaftete und in den folgenden Jahrzehnten zur viel zitierten „Lokomotive“ der Weltwirtschaft wurde. Die Überschüsse wuchsen, sehr zum Ärger der wichtigsten Handelspartner, trotz zweier Ölpreiskrisen und mehrfacher Aufwertungen der D-Mark, die Bonner Ministeriale und Unternehmer in Panik brachten. Der Boom war bewusst und gegen internationale Widerstände forciert. Die Exportlastigkeit, so Bundesbankdirektor Johannes Tüngeler in Abwandlung eines berühmten Rathenau-Zitats, sei „kein Übel, sondern unser Schicksal“.

Instrumente waren und sind wie eh und je: Zölle auf Einfuhren und Zollerleichterungen, Steuervergünstigungen, Abschreibungen, staatliche Zuschüsse wie die – zumal im Handel mit der Sowjetunion (Röhrengeschäft) – oft genutzten Hermes-Bürgschaften und immer eine flankierende Währungspolitik. Hesse beschreibt deren virtuose Handhabung durch Politik und Unternehmer überaus anschaulich und weitet die Darstellung auch auf die wichtigsten Branchen Fahrzeugbau, Chemie- und Elektroindustrie sowie Maschinenbau aus.

Das eigentlich etwas spröde Thema verfolgt der Leser mit zunehmender Spannung. Den kursorischen Ausblick auf heute hätte man sich gerne noch ausführlicher gewünscht.

Jan-Otmar Hesse: „Exportweltmeister. Geschichte einer deutschen Obsession“, Suhrkamp Verlag, Berlin 2023, gebunden, 448 Seiten, 28 Euro


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