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Mit der „Seeadler“ zur Greifswalder Oie, dem „Helgoland der Ostsee“
Die Eintrittskarten für den Ausflug sind begehrt, denn die Insel Greifswalder Oie, deren Name sehr treffend „kleine Insel“ bedeutet, ist für die Öffentlichkeit nur begrenzt zugänglich. Wegen des strengen Naturschutzes dürfen pro Tag nicht mehr als 50 Personen das Eiland betreten. Eine frühe Buchung ist daher ratsam, sie setzt allerdings Vertrauen in die langfristige Wettervorhersage voraus.
Nach dem Erreichen der offenen See nimmt die „Seeadler“ Kurs auf die Oie und legt nach eineinhalbstündiger Fahrt im Nothafen der Insel an. Die Insel liegt 5,4 Seemeilen (rund zehn Kilometer) vor Usedom und 6,5 Seemeilen (rund zwölf Kilometer) vor Rügen und ist damit die am weitesten vom Festland entfernte deutsche Ostseeinsel. Der Name „Helgoland der Ostsee“ ist also nicht ganz unberechtigt. Gastronomische Angebote gibt es hier nicht. Das Baden ist für die Besucher verboten, eine Toilette fehlt.
Vor 100 Jahren war das anders. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts brachten Ausflugsschiffe immer mehr Badegäste, darunter auch Prominente, etwa Asta Nielsen und Thomas Mann, auf die Insel. Im Jahre 1928 baute der Pächter sein Anwesen Inselhof für die Inselbesucher zu einer Pension mit Restaurant aus. Im Jahre 1932 bildete die Insel gar die Kulisse für den Film „F.P.1 antwortet nicht“, in dem Hans Albers die Hauptrolle spielte. Der Aufbau der Heeresversuchsanstalt Peenemünde beendete schließlich diese Entwicklung.
Die Küste wird durch Steinwälle geschützt. Die Oie ist bewohnt. Es sind heute allerdings nicht mehr 41 Bewohner wie einst im Jahre 1865, als hier drei Pächter Ackerbau und Viehzucht betrieben, sondern nur zwei, von denen der eine lediglich seinen Nebenwohnsitz auf der Insel hat. Verwilderte Reste von Obstgärten hinter dem Leuchtturm und dem ehemaligen Seemannsheim zeugen noch von den Aktivitäten der Pächter.
In bestimmten Jahreszeiten hat das Eiland auch heute mehr Einwohner. So bildet im Frühjahr und Herbst die Biologische Station Walter Banzhaf das Domizil für die Ornithologen des Vereins Jordsand. In Kooperation mit der zur Universität Greifswald gehörenden Vogelwarte Hiddensee betreibt der Verein seit 1995 auf der Oie Deutschlands fangstärkste Beringungsstation und damit die zweitgrößte Beringungszentrale Europas. Jährlich werden auf der Insel, die im Frühjahr und Herbst für Zugvögel Rastgebiet und Orientierungspunkt ist, etwa 25.000 Vögel eingefangen, beringt, vermessen und wieder freigelassen.
Bedeutende Vogelwarte
Walter Banzhaf, der Namensgeber für die Station, war Kustos des Naturkundemuseums Stettin. Er leistete ab 1929 Pionierarbeit bei der Erforschung des Vogelzugs als Ende der 1920er Jahre zum ersten Mal Naturschützer und Ornithologen auf der Insel weilten. Banzhaf hatte während seines Studiums an der Königsberger Universität den größten Teil seiner Zeit in der Vogelwarte Rossitten auf der Kurischen Nehrung verbracht und sich an Untersuchungen des Ornithologen Johannes Thienemann beteiligt.
Die Vogelwarte Rossitten war die erste ornithologische Forschungsstation der Welt und erlangte durch ihre Pionierarbeit Weltruf. „Vogelprofessor“ Thienemann hatte hier die systematische Beringung von Zugvögeln als grundlegende Technik zur Erforschung des Zugverhaltens von Zugvögeln eingeführt. Banzhaf fiel 1941 an der Ostfront.
Auch die Besatzung des hier stationierten Seenotrettungskreuzers „Berthold Beitz“ der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) hat auf der Insel ihr Unterkunftsgebäude.
Vor diesem Gebäude werden die Passagiere der „Seeadler“ in zwei Gruppen aufgeteilt und über die Insel geleitet. Ein von Brombeerhecken gesäumter Weg aus Betonplatten führt bis zum Leuchtturm an der Nordspitze der Insel. Der Weg ist schnell durchschritten, denn das unter Naturschutz stehende kleine Eiland hat lediglich eine Länge von eineinhalb Kilometern und eine Breite von 570 Metern. Seine größte Höhe über dem Meeresspiegel beträgt 19 Meter, sein Kliff ist 18 Meter hoch.
Im Nordosten der Insel befindet sich ein etwa sechs Hektar großer Laubmischwald, der früher auch forstwirtschaftlich genutzt wurde. Sein Boden ist im Frühling über und über mit Bärlauch bedeckt. In Küstennähe wird sein angenehmer knoblauchartiger Geruch jedoch überdeckt vom penetranten Gestank der Exkremente der Kormorane, die auf mittlerweile abgestorbenen Bäumen auf der Steilküste in einer Kolonie leben.
Schutz von Tier und Natur
Die Verbuschung des übrigen Teils der Insel verhindern mehr als 100 Pommersche Landschafe. Auch im Winter bietet ihnen das sehr ursprüngliche Biotop genügend Nahrung. Bis zu acht Meter hohe Weißdornbäume zeugen vom Appetit der Vierbeiner.
Als Strauch oder als kleiner Baum hat der Weißdorn hier keine Chance. Die bereits selten gewordene Rasse „Pommersches Landschaf“ wurde auch durch das hartnäckige Engagement vertriebener Hinterpommern von der UNO auf die Rote Liste der vom Aussterben bedrohten Haustierrassen gesetzt. Shetlandponys, wie sie 1977 der Rostocker Zoo auf der Insel ausgesetzt hatte – es waren mehr als 60 – konnten die Verbuschung nicht verhindern, da sie die jungen Eschentriebe verschmähten. Man siedelte sie folglich wieder aus.
Links des Weges zum Leuchtturm begleitet die Besucher ein friedliches Bienensummen. Der Landesverband der Imker Mecklenburg-Vorpommerns betreibt hier eine Bienenbelegstelle. Da sowohl die Drohnen als auch die Königin große Entfernungen zurücklegen können, hat man für die Königinnenzucht einen Ort gewählt, der von nicht erwünschten Drohnen kaum erreicht werden kann. Die Zucht hat das Ziel, die Sanftmütigkeit der Bienen und deren Honigertrag zu steigern. Zudem sollen die Schwarmneigung der Bienen gesenkt und ihre Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten gesteigert werden.
Einen Holzkasten, der für ein Bienenvolk vorgesehen war, hat ein Siebenschläfer als Domizil gewählt. Etwa 600 dieser geschützten Spezies soll es hier geben. Sie verbringen oft nicht nur sieben, sondern gar acht Monate im Winterschlaf. Leider gehören Vogeleier zu ihrer Lieblingsspeise.
Jenem Platz, auf dem die Abschussrampe für die Raketen stand, die hier in den Jahren 1937 bis 1945 erprobt wurden, schenken die Besucher besondere Aufmerksamkeit. Hier gab es Startversuche der A3-Geschosse sowie der A5-Raketen und zwischen 1943 und 1945 insgesamt 28 Starts von A4-Raketen. Die versprochene „Wunderwaffe“ sollte dem bereits verlorenen Krieg eine andere Wendung geben. Mit ihrem in prägnanter Kontra-Alt-Stimme gesungenen Lied „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh'n“ sollte Zarah Leander den Menschen Mut machen.
Lichtstärkster Leuchtturm
Am Ende des Weges, an der Nordostseite der Greifswalder Oie, erreicht die Gruppe den Leuchtturm (Höhe 38,6 Meter, Feuerhöhe 48,5 Meter), für den der Kapitän der „Seeadler“ die Schlüsselgewalt hat. Der Turm, der sich am Übergang zum freien Seeraum der Ostsee befindet, ist der östlichste bundesdeutsche und mit einer Leuchtweite von 26 Seemeilen (etwa 50 Kilometer) zugleich der lichtstärkste Leuchtturm Mecklenburg-Vorpommerns. Er sichert den Seeweg zwischen Swinemünde und Rügen.
Den Grundstein für den achteckigen, unter Denkmalschutz stehenden Turm, hatte König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen im Jahre 1853 gelegt. Alle 3,8 Sekunden sendet die linksdrehende Optik einen weißen Blitz von 0,2 Sekunden Dauer aus. Früher verunglückten häufig Zugvögel, die – angezogen von dem starken Licht – gegen den Turm prallten. Mittlerweile wurde eine Lösung gefunden, die diese Gefahr minimiert.
In Misdroy, Swinemünde, Heringsdorf, Koserow, Zinnowitz, Thiessow und Göhren huscht bei Dunkelheit, scheinbar mitten aus der Ostsee kommend, alle 3,8 Sekunden das Blinkzeichen des Leuchtturms der Oie über das Wasser. Die Rügener Ostseebäder Binz und Sellin werden, bedingt durch ihre geographische Lage, vom Lichtstrahl nicht erreicht.
1974 und 2004 wurde dem Leuchtturm eine Briefmarke gewidmet.
• Die Reederei Apollo fährt die Greifswalder Oie von Peenemünde und Freest an. www.schifffahrt-apollo.de