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Der Wochenrückblick

„Omertà“ an der Elbe?

Warum Cum Ex plötzlich so gefährlich wird, und wie der „Morbus Hamburg“ die ganze SPD bedroht

Hans Heckel
13.08.2022

Sagen wir's mal so: Sie alle kennen das alte Kinderlied „Auf der ..., auf der ..., sitzt 'ne kleine Wanze“. Auch wenn ich Ihnen hier zwei Wörter verschwiegen habe, wissen Sie natürlich, dass es „Mauer“ und „Lauer“ sind, die fehlen. So ähnlich schält es sich Tag für Tag mehr auch im schon fast vergessenen Cum-Ex-Skandal heraus. Um das Schweigen von Kanzler Scholz, dem Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher und anderer mutmaßlich Beteiligter türmen sich neue Indizien, die immer konkretere Rückschlüsse darauf zulassen, was uns diese Leute wohl zu sagen hätten, wenn sie denn den Mund aufmachten.

Eigentlich dachten sie, dass sie den Kram erfolgreich aus der Welt geschwiegen hätten. Der Hamburger Bundestagsabgeordnete und begnadete Strippenzieher Johannes Kahrs hatte sich vor zwei Jahren schlagartig von allen Ämtern zurückgezogen. Mit ihm, so wohl die Hoffnung von Scholz und Co., möge auch „Cum Ex“ für immer im Gebüsch des Vergessens landen.

Hilfreich war hierfür die Tatsache, dass die Sache vordergründig so furchtbar kompliziert erschien, sodass sich der Normaldeutsche irgendwie kein griffiges Bild von dem Vorgang machen konnte und sich daher auch nicht recht aufregen wollte. Dabei ist es eigentlich ganz einfach: Eine Bank macht Steuerzahlungen beim Finanzamt geltend und bekommt daher Geld zurück. Der Trick: Sie hat diese Steuern in Wahrheit nie bezahlt und erhält die „Rück“-Zahlung aus der Steuerkasse also völlig zu Unrecht.

2009 hat die Hamburger Warburg-Bank auf diese Weise 47 Millionen Euro eingestrichen, was 2016 aufflog. Der glänzend vernetzte Kahrs soll für Warburg-Banker Christian Olearius daraufhin einen Kontakt zum damaligen Bürgermeister Scholz klargemacht haben, auch der damalige Finanzsenator und heutige Hamburger Bürgermeister Tschentscher soll eingebunden worden sein – und plötzlich ließ das Hamburger Finanzamt die Ansprüche gnädig verjähren.

Die Gespräche, die Verjährung – alles hat angeblich nichts miteinander zu tun, sagen Scholz und Tschentscher, und schweigen ansonsten eisern.

Für Aufregung sorgte nun aber der Fund von mehr als 200.000 Euro im Bankschließfach von Kahrs und ein Chat auf dem Mobiltelefon der Finanzbeamtin Daniela P., die dort einer Kollegin stolz berichtet, dass ihr „teuflischer Plan“ aufgegangen sei. Die Rückfrage, ob man verjähren lasse, bejahte P. – wenn nichts dazwischenkomme.

Und ob was dazwischengekommen ist. Wobei sich vielsagende Löcher auftaten. Laut WDR rieben sich die Ermittler die Augen, als sie in den E-Mail-Postfächern der Hamburger Finanzverwaltung zur fraglichen Angelegenheit so gut wie nichts fanden. Während in den Outlook-Kalendern etliche Termine mit Cum-Ex-Bezug gefunden worden seien, finde sich so gut wie keine E-Mail zu dem Thema. Merkwürdig. Ob da eifrig ausgemistet wurde, um Spuren zu verwischen? Dann hat Frau P. aber ganz schön schlampig auf- oder ausgeräumt und ihr Mobiltelefon dabei tragischerweise vergessen.

Übrigens: Die Hamburger Staatsanwaltschaft wies eine Anzeige des Hamburger Staranwalts Gerhard Strate gegen Scholz und Tschentscher wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung im vergangenen Frühjahr ab. Dass Scholz sich an den Inhalt des Gesprächs mit Olearius nicht erinnern könne, sei glaubwürdig, weil er damals viel zu sehr mit der Vorbereitung des G20-Gipfels 2017 in Hamburg beschäftigt gewesen sei, so die Staatsanwälte. Das werde ich mir für meine nächste Steuererklärung merken: Was, ich habe da was nicht bezahlt? Ach, wissen Sie, ich war doch dermaßen beschäftigt!

„Dann lügt er – ich kann es beweisen“

Der Linkspartei-Politiker Fabio de Masi soll Kahrs mal als „Kiez-Mafioso“ betitelt haben wegen dessen angeblich bemerkenswert guten Beziehung ins Rotlicht-Milieu. So berichtet es der heutige Chef-Ökonom der Gewerkschaft Verdi Dierk Hirschel. Der erzählt auch, dass es immer wieder einen auffälligen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Vergabe öffentlicher Aufträge und Parteispenden an Kahrs' SPD-Kreisverband Hamburg-Mitte gegeben habe.

Du meine Güte! Man weiß ja kaum noch, wo man hingucken soll: Rührt man das alles zusammen, entsteht das Bild eines durch und durch verrotteten Klüngels von neapolitanischer Anmut. Im Grunde gehört dieses Geflecht politisch enthauptet, sodass ein Bundeskommissar für einige Zeit die Macht in Hamburg an sich zieht, um den Laden mal gründlich auszumisten. Tja, nur käme so ein Kommissar ja dann von Olaf Scholz, dem Bundeskanzler, womit wir wieder am Anfang der Geschichte wären.

Oder auch an ihrem Ende: Am 19. August muss Scholz vor den Hamburger Cum-Ex-Untersuchungsausschuss treten. Nach dem, was alles zwischenzeitlich herausgekommen ist, dürfte sein umfassender Erinnerungsschwund zum Olearius-Gespräch dann noch unglaubwürdiger rüberkommen als bislang schon. Zumal der Hinweis auf die Überlastung wegen des G20-Gipfels in der Rückschau auch nicht so richtig verfängt. Der war nämlich so lausig vorbereitet, dass es linken Extremisten aus aller Welt gelang, Teile der Hansestadt tagelang in Bürgerkriegszonen zu verwandeln.

Bürgermeister Scholz hatte vor dem Mammut-Treffen noch getönt, so ein G20-Gipfel sei ja auch nicht herausfordernder als ein Hafengeburtstag (großes Volksfest in der Stadt), den man ja auch jedes Jahr gestemmt kriege. Wie gesagt, es lief dann ein bisschen anders ab. Was auch heißt: Der heutige Kanzler hatte sehr wahrscheinlich viel mehr Zeit mit anderen Dingen als G20-Vorbereitungen verbracht, als es die Hamburger Staatsanwälte nahelegen.

Das meint auch der Journalist Oliver Schröm, der sich bislang am weitesten aus dem Fenster gelehnt hat. Dem „Tagesspiegel“ sagte er: „Wenn Olaf Scholz sagt, er könne sich an nichts erinnern, lügt der Bundeskanzler.“ Das könne er beweisen, und das werde er auch tun in seinem Buch „Die Akte Scholz. Der Kanzler, das Geld und die Macht“, das im Herbst erscheine.

Das wird interessant. Das Hamburger Schweigekartell jedenfalls erinnert täglich mehr an die „Omertà“, die strikte Schweigepflicht im Reich der italienischen Mafia, weshalb der Politiker de Masi mit seiner derben Etikettierung des Johannes Kahrs die Realität vielleicht sogar noch besser getroffen, als ihm selbst klar war.

Und da wird die Sache gefährlich, und zwar für die gesamte SPD. Manche fürchten schon, dass der Cum-Ex-Skandal, sollte er jetzt richtig Fahrt aufnehmen, die ganze Partei in den Abgrund reißen könnte. So wie schon andere einst große Parteien in europäischen Nachbarländern in jüngerer Zeit an ihrem eigenen Filz erstickt und verschwunden sind. Auf dem Grabstein der verblichenen SPD könnte dann stehen: Nach langer und stolzer Geschichte jäh dahingerafft vom „Morbus Hamburg“.


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Kommentare

Gustav Leser am 15.08.22, 02:39 Uhr

Der Hauptzweck der Cumexkomödie

ist es den deutschen Kanzler Scholz auf transatlantischer Linie zu halten.
Immer wenn Scholz gegen Russland zögert wird sie hochgekocht.

Gustav Leser am 15.08.22, 01:52 Uhr

Der Ukrainekrieg ist ein russischer Präventivschlag

gegen die angloamerikanisch-polnische Drei-Meeres-Initiative von 2016/2021

Früher Pilsudskis Intermarium-Pläne von 1919.
Eine polnische Supermacht von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer.
Unterschied:
Die Oder-Neiße-Grenze

Deutschland mit Schlesien, Pommern, Ostpreußen könnte eine Großmacht Polen aushalten.
Der heutige deutsche Kleinstaat nicht:
Er würde unvermeidlich zum Zahl-Vasallen Polens.

Diese polnische Supermacht würde mfr. auch nuklear sein. Russland wäre in ständiger Gefahr.
Und das chinesische Seidenstraßenprojekt Makulatur
so wie 1914 die Bagdadbahn.

In Deutschland würden dann wirklich die Lichter ausgehen.

Jens Keller am 13.08.22, 13:36 Uhr

Nebenbei: Die Steuereinsparungen „flogen“ nicht auf, da das System professionellen Anlegern geläufig war und bereits seit den 90gern als Modell genutzt wurde. Die Auslegung der Finanzämter hat sich mit Rückwirkung geändert, nachdem die Rechtslage angepasst wurde. Die Geschichte ist eine Sackgasse. Scholz kann nicht mehr von seiner Position als Hamburger Bürgermeister zurücktreten und seine Partei wird ihn nicht stürzen. Wenn der Warburgler nicht gerade mit der Story „Scholz versprach mir…“ um die Ecke kommt, wird daraus gar nichts.

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