25.12.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
BILD: Alain Audet by pixabay.com

Jahrhunderte alte Traditionen

Ostpreußens magische Weihnachtsbräuche

Von Hexen, Fruchtbarkeit, christlichen Sitten und einzigartigen Delikatessen

Wolfgang Kaufmann
25.12.2024

Im Ostpreußen des letzten Jahrhunderts tickten die Uhren oftmals anders als im Rest Deutschlands. Das resultierte aus der bewegten Geschichte der im Osten gelegenen Provinz. Denn diese sorgte für eine Vermischung zwischen den alteingesessenen „heidnischen“ Prußen und Kuren auf der einen und christlichen Ordensrittern sowie Siedlern aus Deutschland, Litauen und Polen auf der anderen Seite. Dazu kam ein festes Wertesystem, in dem nicht nur Ehre, Gemeinsinn und Loyalität einen hohen Stellenwert genossen, sondern auch die Bewahrung der Traditionen der eigenen Bevölkerungsgruppe. Außerdem war die ostpreußische Welt vielfach eine bäuerliche, deren Gedeihen von den unberechenbaren Launen der Natur abhing, was wiederum den Aberglauben förderte. Vor diesem Hintergrund entwickelten sich in dem Landstrich zwischen der Weichsel und der Memel auch ganz spezifische Weihnachtsbräuche.

Donnergott und Bärentanz
Noch aus vorchristlichen Zeiten stammten Fruchtbarkeitsriten und Abwehrzauber, welche seit Alters her um die Wintersonnenwende herum praktiziert wurden. Magische Zeichen an Haus- und Stalltüren sollten Hexen und Unholde fernhalten. Manche Bauern legten zu diesem Zweck auch Gegenstände aus Eisen auf ihre Türschwellen oder in die Futterkrippen. Der Steigerung der Fruchtbarkeit von Haustieren sowie der Erträge von Obstbäumen dienten zudem ausgestreute Erbsen, Weizenkörner und kleine Mehlteigkuchen – so wie das schon bei den alten Prußen üblich war.

Besondere Bedeutung besaß darüber hinaus das Wetter, weswegen dieses auch zu Weihnachten genau beobachtet wurde. So wie sich der 25. Dezember gestaltete, sollte der ganze Januar sein, und die Verhältnisse am Zweiten Weihnachtsfeiertag kündigten nach dem Glauben der Bauern das Februarwetter an.

Und dann war da noch der Schimmelreiter, der vor allem im Ermland in der Weihnachtszeit seine Runden zog und in dessen Gefolge sich das Pracherweib, ein Storch, ein Zigeuner, ein Soldat, ein Schornsteinfeger, ein Bärenführer und ein tanzender Bär befanden, wobei die Tiere natürlich nicht echt waren. Diese Truppe fiel lärmend in die Häuser der Landbewohner ein und malträtierte auch gerne einmal Leute, welche sich im Laufe des Jahres unbeliebt gemacht hatten. Im Zug des Schimmelreiters lebten die mythischen Gestalten der Ureinwohner Ostpreußens wieder auf: Der Schimmel selbst symbolisierte den prußischen Donnergott Perkunas und der Bär den Totengott Pikoll beziehungsweise Patollos. Dahingegen stand der Storch für den „Lebensbringer“ und Frühlingsgott Potrimpos.

Brummtopf mit Geisterklang
Im Laufe der Zeit ging die Urbevölkerung Ostpreußens in der nun vorwiegend deutsch geprägten Mehrheitsgesellschaft der Region auf, wobei es zu einer Vermengung von „heidnischen“ und zunehmend christlichen Bräuchen kam, was sich auch insbesondere über Weihnachten zeigte. Die traditionellen Opfergaben für die Tiere in Form von Erbsen wurden nun damit begründet, dass das Jesuskind auf Erbsenstroh gelegen habe. Ähnliche Legenden rankten sich um eine typische ermländische Speise für den 25. Dezember, die sogenannte Weihnachtsarfte. Dieses Gericht aus weißen Erbsen und Speck wurde schon vor dem Aufkommen des Christentums in Ostpreußen verzehrt. Schließlich galten Erbsen traditionell als Hausmittel gegen Pocken, Geschwülste und andere Leiden. Nachdem das Wissen über die Gebräuche der Prußen verloren war, gab es dann solche bizarren Erklärungen für die Bedeutung der Weihnachtsarfte wie: „Das hängt wohl mit der Erbs'ünde zusammen.“

Die Vermischung traditioneller und neuer, christlicher Bräuche prägte auch das Agieren der Sternsinger in der Weihnachtszeit. Einerseits traten die Protagonisten als die Heiligen Drei Könige auf, andererseits basierte ihr Tun auf uralten szenischen Spielen und Elementen des Volksglaubens, die durch mündliche Überlieferung von Generation zu Generation weitergegeben worden waren. Dazu kam der ausgiebige Einsatz des Brummtopfes, eines „heidnischen“ Lärminstruments erster Güte mit dumpfem, geisterhaftem Klang.

Die Behörden und der Klerus wussten natürlich um die nichtchristlichen Hintergründe des Treibens der Sternsinger. Davon zeugen etliche aufschlussreiche historische Quellen. So beschwerten sich die Königsberger Räte bereits 1655 über „etzliche Personati“, welche bei den Umzügen „grobe Abgötterey betrieben“ hätten. Deshalb sollte der Brauch unterbunden werden, was letztendlich aber nicht gelang. 1727 eskalierte der Auftritt der Sternsinger in Wehlau sogar derart, dass die Polizei mehrere der Verkleideten in Arrest nehmen musste.

Einige ostpreußische Weihnachtsbräuche mit heidnischen Wurzeln lassen sich aber auch den Siedlern zuordnen, die erst relativ spät ins Land kamen. Hierzu gehörte der Auftritt der Dannekinder oder Danneweiber, welche ein verziertes Tännchen mit Glöckchen und Tierfiguren herumtrugen und dabei ein Lied mit dem Kehrreim „Loop anne Linge“ sangen. Dieser bedeutete „Lauf um die Linde“. Und da der kultische Tanz um Bäume zu den stark verbreiteten vorchristlichen Fruchtbarkeitsritualen der Germanen und Kelten zählte, handelte es sich hier gewiss um ein weiteres Stück archaischen Brauchtums, das zu Weihnachten in Ostpreußen gepflegt wurde – nunmehr aber aus Gebieten im Westen importiert.

Bei den christlichen Weihnachtsbräuchen gab es viele lokale Besonderheiten, aber auch etliche Gemeinsamkeiten. Zu den Letzteren zählten die Gepflogenheiten während der Zeit zwischen den Jahren, die sich vom 25. Dezember bis zum
6. Januar erstreckte und den Umstand widerspiegelte, dass im Christentum sehr lange unterschiedliche Vorstellungen über den korrekten Jahresanfang existierten. An diesen 13 Tagen schien die Welt quasi stillzustehen, also musste auch das Menschenwerk ruhen. In Ostpreußen waren dabei vor allem Arbeiten verpönt, bei denen etwas in Drehung versetzt wurde, wie Kaffeemühlen, Milchschleudern, Spinnräder oder Nähmaschinen.

Saufgelage und Schlemmerei
Örtlichen Charakter besaßen im Gegensatz hierzu die weihnachtlichen Zechgelage der Zünfte. Mal trafen sich dabei die Imker wie in Ortelsburg, mal die Schuhmacher wie in Königsberg. Dabei fielen die fröhlichen Umtrünke in manchen Jahren aber auch aus. So verhängte der Königsberger Rat zum Weihnachtsfest des Jahres 1564 eine Art „Lockdown“ wegen der grassierenden Pest. Möglicherweise mussten damals auch die Choralbläser zu Hause bleiben, welche ansonsten durch die Straßen der Stadt am Pregel zogen und mit den urgewaltigen Posaunen von Jericho zu konkurrieren versuchten.

Spezielle Weihnachtssitten herrschten im katholischen Ermland. Hier war es unter anderem üblich, zu fasten, bis es am Heiligen Abend dunkel wurde und – bei schönem Wetter – der erste Stern am Himmel erschien. Dann stand der Weihnachtsschlemmerei nichts mehr im Wege.

Später Weihnachtsbaum
Zu den typischen ostpreußischen Speisen zum Fest der Feste gehörten neben der bereits erwähnten ermländischen Weihnachtsarfte auch spezielle Honig- und Pfefferkuchen oder Mürbeteigbackwaren sowie das berühmte Königsberger Marzipan, dessen Herstellung üblicherweise in der dritten Adventswoche erfolgte. Die Besonderheit dieser Leckerei bestand darin, dass die Oberfläche der Marzipanmasse geflämmt oder gratiniert wurde, was dem Produkt eine charakteristische gelb-bräunliche Farbe und würzigen Geschmack verlieh. Ausgesprochen herzhaft kamen hingegen andere Spezialitäten wie Gänsehirn und Schwarzsauer daher. Bei Letzterem handelte es sich um eine Suppe aus Gänseblut, Gänseklein, Essigsud und Gewürzen. Und dann waren da noch die mit Gänsedarm umwickelten Gänsefüße, welche man dem Gericht hinzufügte oder einzeln genoss. Ansonsten brachten die Hausfrauen in Ostpreußen – wie heute – aber auch die üblichen Weihnachtsklassiker wie Kartoffelsalat mit Würstchen, Gänse- oder Entenbraten sowie Karpfen auf den Tisch.

Weihnachtsbäume wurden in Ostpreußen nicht vor dem 19. Jahrhundert in der Stube aufgestellt. Vorreiter sollen hier unter anderem der Philanthrop Carl Ludwig Alexander Burggraf und Graf zu Dohna-Schlodien und dessen Gattin Wilhelmine Luise Ernestine gewesen sein. Wie der Königsberger Theologieprofessor Johann Christoph Wedeke in seinen Memoiren erwähnte, sah er einen mit Geschenken für die Kinder des Gesindes geschmückten immergrünen Lichterbaum erstmals um 1800 im Schloss des Paares im Kreis Mohrungen.

Allerdings gab es Vorläufer des Weihnachtsbaumes wie den sogenannten Wintajreensboomke im Kreis Heiligenbeil. Dieses „Winterbäumchen“ bestand aus drei übereinander platzierten und mit Holzspießen fixierten Äpfeln in einer Ummantelung aus Tannenzweigen, wobei der unterste Apfel mit vier Standfüßen versehen war und der oberste eine Kerze trug. Dazu kam manchmal eine Vergoldung des Ganzen.

Wie das Beispiel des Weihnachtsbaumes zeigt, übernahmen die Ostpreußen also im Laufe des 19. Jahrhunderts typische zeitgenössische Weihnachtsbräuche aus dem übrigen Deutschland, wozu dann später unter anderem noch der Einsatz des seit etwa 1770 bekannten „Weyhnachtsmanns“ bei der Bescherung gehörte. Andererseits hatte Ostpreußen bereits lange zuvor einen eigenen wesentlichen Beitrag zu den Ritualen rund um Weihnachten in ganz Deutschland geliefert.

Verzweiflung an den Festtagen
Wenn in den Kirchen im Advent oder zum Fest das Lied erklingt „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit; es kommt der Herr der Herrlichkeit“, dann ist dies das Verdienst von Georg Weissel. Der aus Domnau stammende evangelische Theologe wurde am Dritten Advent 1623 zum ersten Pfarrer der Altroßgärter Kirche in Königsberg ordiniert. Eine Woche zuvor hatte bei der Einweihung des Gotteshauses die Uraufführung des von Weissel geschriebenen Liedes stattgefunden, das sich an den Psalm 24 anlehnt, der vermutlich die Feier des Einzuges der die Gegenwart Gottes verkörpernden Bundeslade in den Jerusalemer Tempel thematisiert.

Die Geschichte der ursprünglichen ostpreußischen Weihnachtstraditionen endete vor 80 Jahren mit dem Weihnachtsfest von 1944, das angesichts der Kriegslage durch eine gedrückte Stimmung und düstere Vorahnungen gekennzeichnet war. Schließlich stand die Rote Armee nun bereits an den Grenzen Ostpreußens, und die Menschen flüchteten aus Angst und Verzweiflung – trotz Weihnachten ...


Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie die PAZ gern mit einer

Anerkennungszahlung


Kommentar hinzufügen

Captcha Image

*Pflichtfelder

Da Kommentare manuell freigeschaltet werden müssen, erscheint Ihr Kommentar möglicherweise erst am folgenden Werktag. Sollte der Kommentar nach längerer Zeit nicht erscheinen, laden Sie bitte in Ihrem Browser diese Seite neu!

powered by webEdition CMS