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Die kalten Winter im Nordosten des Deutschen Reiches. Das Ostpreußische Landesmuseum in Lüneburg widmet dem Thema eine Sonderausstellung
Lang, kalt und schneereich – so war der Winter in Ostpreußen. Bereits im Oktober fiel der erste Schnee, und spätestens ab Dezember war das Land für Wochen und Monate unter einer geschlossenen Schneedecke verborgen. Noch im April und Mai musste man mit Schneefällen rechnen. Über einhundert Frosttage in diesem Teil des Jahres waren keine Seltenheit. Der Winter prägte das Land und den Rhythmus seiner Bewohner und gehört zu den bis heute im kollektiven Bewusstsein verankerten Besonderheiten, an die man denkt, wenn die Sprache auf Ostpreußen kommt. Aber wie kann man es heute noch nachempfinden, was der Winter für die Menschen in Ostpreußen bedeutete?
Das Ostpreußische Landesmuseum in Lüneburg zeigt in diesem Winterhalbjahr 2024/25 eine Ausstellung unter dem Titel „,Nichts blieb als nur weißer Schnee ...' Winter in Ostpreußen“. In einer gemeinsamen Präsentation der Kuratorin für Volkskunde, Hannah Janowitz, und des Kustos und Kunsthistorikers Jan Rüttinger wird seit dem 30. November dem Mythos des besonders kalten und harten ostpreußischen Winters nachgespürt.
In Ostpreußen wurden in den Wintermonaten die kältesten Temperaturen im gesamten damaligen deutschen Staatsgebiet gemessen. Die Januarisothermen von -3 und -4°C verliefen östlich der -2°C-Linien von Nord nach Süd nur durch Ostpreußen. Geringe Unterschiede, wie man meinen mag, aber mit deutlichen Konsequenzen. Die Kältegrade bestimmten die Grenzen der Verbreitungsgebiete von Tier- und Pflanzenarten – mild-atlantisch im Westen gegenüber kalt-kontinental im Osten begrenzten ihre Vorkommen.
Winter in Ostpreußen – das waren endlose Schneeflächen, auf denen man kaum noch mit Kraftwagen, aber dafür recht gut mit den von Pferden gezogenen, großen Schlitten vorankam. Eisenbahnen kämpften sich durch die verschneite Landschaft, doch von den Bahnhöfen ging es nur mit Pferdeschlitten weiter. Wer sich in den Wintermonaten auf die Reise machte, musste sich im wahrsten Sinne des Wortes „warm anziehen“. Mit Räumfahrzeugen, die den vergleichsweise wenigen Personenkraftwagen die Strecken freischaufelten, konnte man nicht rechnen.
Niedrigste Temperaturen im Reich
Also richtete man sich auf Gemütlichkeit zu Hause, auf Besuche in oder aus nicht allzu weit entfernten Gegenden und die vielen Arbeiten ein, die vorzugsweise im Winter zu erledigen waren. Draußen waren dies das Holzfällen oder die Eisernte, die Gewinnung großer Blöcke aus der Eisdecke der Seen zur Einlagerung in Eiskellern. In ihnen konnten die Eisblöcke bis zum folgenden Sommer zum Kühlen von Speisen und Getränken erhalten werden, als es noch keine Kühlschränke gab. Drinnen waren es zahlreiche Handarbeiten und Basteleien, Reparaturen, das Herstellen von Christbaumschmuck, Weihnachtsgebäck, Marzipan und vieles mehr. Man saß am warmen Ofen, beredete Aktuelles aus der Familie, der Nachbarschaft oder aus dem Dorf. Man sang die vertrauen Volks- ebenso wie Weihnachts- und Winterlieder oder man erzählte sich Geschichten. Viele gesellschaftliche Aktivitäten wie Tanzvergnügen oder Theater fanden besonders im Winter in den Städten Ostpreußens statt.
Nicht nur die Jugend, auch die Erwachsenen genossen im Winter, wenn auf dem Land die meisten Arbeiten ruhten, die Zeit für Wintersport. In der Endmoränenlandschaft gab es Rodelberge an vielen Orten für Schlittenfahrten und Langlaufski, zugefrorene Seen und Teiche gewährten gefahrloses Eislaufen. Eishockey und besonders Eissegeln gehörten zu den Wintersportarten, die gerade in Ostpreußen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts weit verbreitet waren und viele Anhänger fanden. Im Eissegeln wurden in Ostpreußen deutsche Meisterschaften ausgetragen.
Der Winter war auch die Zeit großer Jagden. Auf Treibjagden, die heute zumeist als Bewegungsjagden bekannt sind, wurden im wildreichen Ostpreußen große Mengen an Hasen, Rehen sowie Schwarz- und anderem Wild gewonnen. Naheliegenderweise war dies eine willkommene Nahrungsgewinnung, doch mindestens genauso wichtig waren die Gesellschaftsjagden für den Aufbau und Zusammenhaltung von Familien, Freundschaften und anderen sozialen Netzwerken. Nur im Winter war es gut möglich, die Spuren der aus Polen und Litauen eingewanderten Wölfe zu erkennen und sie zur Strecke zu bringen; in Ostpreußen hatte man den Wolf bereits im 19. Jahrhundert als Standwild ausgerottet, doch Wanderwölfe kamen praktisch in jedem Jahr über die Grenze.
Auch die Fischerei wurde im Winter ausgeübt, nur nicht mit Booten oder Schiffen, sondern von den geschlossenen Eisdecken auf den Haffs und den Seen, in die Löcher gebohrt wurden, durch die Stellnetze ins eiskalte Wasser eingelassen wurden. Mit allerlei Lärm, beispielsweise bei der „Klapperfischerei“, bei der ein Mann unaufhörlich auf ein zur Hälfte ins Eiswasser eingelassenes Brett einschlug, und anderen Tricks brachte man die bei den tiefen Temperaturen apathischen Fische dazu, in die Netze zu schwimmen und zog sie dann in diesen heraus. Eine harte und keineswegs ungefährliche Arbeit, die aber besonders in Masuren wichtige Eiweißnahrung bescherte.
Auf dem Land hatten sich bis zum Zweiten Weltkrieg Traditionen erhalten, deren Kern noch in die vorchristliche Zeit im 12. Jahrhundert zurückreichte. Der Schimmelreiterzug zum Beispiel, der in vielen Gemeinden gepflegt wurde. Eine kleine Gruppe nach festen Regeln verkleideter junger Menschen, vor allem junger Männer, verschaffte sich lautstark Einlass in die Häuser der Nachbarn, tobte durch die Räume und richtete viel Unfug an. Neben dem Schimmelreiter selbst, der ein Steckenpferd führte, gehörten ein Storch, mit einer spitzen Nadel als Schnabel am hölzernen Kopf und Hals, ein in Erbsenstroh gepackter Mann als Bär mit seinem Bärenführer und ein als Jude verkleideter Mann zum Trupp.
Erst nach reichlichen Gaben an das ebenfalls feste Mitglied „Pracherweib“ (Bettelfrau) ließen sie sich zum Verlassen des Hauses bewegen, um gleich darauf im nächsten Haus weiteren „Spaß“ zu haben. Natürlich begleiteten andere junge Leute ohne feste Rolle den Schimmelreiterzug, um Anteil am Vergnügen zu haben. Allerdings verließ ein Schimmelreiterzug nie das eigene Dorf, denn am Ortsausgang sollte der „andere“ Schimmel warten, in dem man den Teufel sah, der eine andere Gestalt angenommen hatte. Beim Kontakt mit ihm, so glaubte man es, müsste der eigene Schimmelreiter sterben.
Flucht im letzten Kriegswinter
Auch die Eroberung Ostpreußens durch die Rote Armee fand im Winter statt und hat sich tief in das kollektive Bewusstsein eingeprägt. Das bei Androhung der Todesstrafe verhängte Verbot des Gauleiters und seiner nachgeordneten Behörden, rechtzeitig Vorbereitungen für eine geregelte Flucht zu treffen, zwang die Menschen dazu, innerhalb kürzester Zeit und bei höchster Bedrohung durch die im Januar 1945 stark herannahenden sowjetischen Truppen, gegen die es praktisch keine Abwehr mehr gab, mit allen irgendwie verfügbaren Fahrzeugen zu fliehen.
Kraftfahrzeuge – erst recht private samt unentbehrlichem Benzin – standen praktisch nicht mehr zur Verfügung, sodass die Menschen nur auf Pferdewagen zurückgreifen konnten. Selbst mit Pferdeschlitten brachen viele Menschen – Frauen, Kinder und Alte – ins Ungewisse auf. In endlosen Zügen überquerten sie nach dem Durchbruch der Roten Armee entlang der Weichsel das zugefrorene Frische Haff – und boten auf der auch nachts ausreichend hellen Fläche ein wehrloses Ziel sowjetischer Flugzeuge. Unvorstellbare Tragödien spielten sich auf dem Eis und auf der Frischen Nehrung und bis weit in den Vorfrühling hinein auf den Landstraßen des Ostens ab.
Die Sonderausstellung „,Nichts blieb als nur weißer Schnee ...' Winter in Ostpreußen“ ist noch bis zum 2. März im Ostpreußischen Landesmuseum, Heiligengeiststraße 38, 21335 Lüneburg, zu sehen, Telefon (04131) 75995-0, Fax (04131) 75995-11, E-Mail: www.ostpreussisches-landesmuseum.de . Zahlreiche Begleitveranstaltungen runden die Präsentation ab