25.12.2025

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Bilder: pixabay

Kurios, spannend und nicht jedem bekannt

Ostpreußische Weihnachtsgeschichten

Ein einzigartiger Mix aus belegten Anekdoten, lokalen Legenden und regional überlieferten Erzählungen

Jens Eichler
25.12.2025

Der Weihnachtsbär von Insterburg
Im alten Ostpreußen waren die Winter streng, und Insterburg war keine Ausnahme. Zur Weihnachtszeit jedoch wurde die Schwere des Winters durch eine eigenartige Tradition erhellt: den Weihnachtsbären. Anders als der Nikolaus oder Knecht Ruprecht erschien er nicht würdevoll oder moralisch-mahnend, sondern trampelte als mächtige, kettenrasselnde Gestalt durch die verschneiten Straßen. Das Fellkostüm war grob aus alten Jutesäcken, Tierfellen und getrocknetem Moos zusammengenäht. Sein Kopf – eine Mischung aus Fantasie und Schrecken – bestand aus einem geschnitzten Holzmaul und zwei blanken Knopfaugen. Die Aufgabe des Weihnachtsbären war ungewöhnlich: Er sollte beruhigt werden. Kinder und Erwachsene mussten ihn mit Liedern, Gedichten oder kleinen Spenden „besänftigen“. Wurde er ignoriert, begann er spielerisch zu brummen, an Türen zu rütteln und mit seiner Kette zu klirren. Für Kinder ein zweischneidiges Vergnügen. Ein älterer Insterburger erinnerte sich viele Jahrzehnte später: „Wir wussten genau, dass der Bärenmann eigentlich der Schmied vom Ende der Straße war. Aber wenn er da stand, mit Schnee im Fell und Dampf aus dem Maul, dann zweifelten wir doch daran.“ In den 1930er Jahren kam es zu einem besonders denkwürdigen Zwischenfall. Der Weihnachtsbär war so überzeugend dargestellt, dass mehrere Kinder laut weinend vomm Dorfplatz flüchteten. Der Bürgermeister ordnete daraufhin an, der Bärenmann müsse zunächst im Gasthaus warten, bis die Kleinen ihre Mutlieder geübt hatten. Erst als ein Chor aus improvisierten Weihnachtsliedern durch die kalte Luft klang, durfte der Bär seinen Rundgang aufnehmen.

So überlebte die Tradition – halb heidnisch, halb christlich – bis sie nach dem Krieg gänzlich verschwand.

Das Lichtwunder von Rossitten (1927)
An der Kurischen Nehrung, wo die Winterwinde über das Haff peitschen, war die Weihnachtsnacht stets eine Mischung aus Stille und Gefahr. Die Fischer von Rossitten kannten jedes Geräusch des gefrorenen Wassers. Doch in der Nacht vom 24. Dezember 1927 erlebten sie etwas, das sich keiner erklären konnte. Gegen Mitternacht beobachteten mehrere Männer am Ufer eine lange, flackernde Lichtschnur über dem gefrorenen Haff. Diese wanderte lautlos von Süden nach Norden – ein leuchtendes Band, das sich wie eine Reihe unsichtbarer Kerzen bewegte. Manche nannten es ein „schwebendes Weihnachtsgamma“, andere glaubten an eine Erscheinung des Christkindes. Die Fischer indes, überaus hartgesottene Leute, standen schweigend in der Kälte, während über ihnen der Wind heulte. Einer behauptete später, das Licht habe „gesungen“, ein anderer habe „ein Flüstern wie von Flügeln“ gehört. Als es schließlich im Nebel verschwand, blieb eine unheimliche Stille zurück.

Der Leiter der Vogelwarte Rossitten, ein nüchterner Wissenschaftler, untersuchte das Phänomen viele Jahre später. Er vermutete ein seltenes Spiel aus Eisnebelkristallen, die das Licht der Sterne gebrochen hatten. Doch die Fischer blieben unerschütterlich dabei: „Das Christkind ist übers Haff gegangen – und hat uns ein gutes Jahr gebracht.“ Und tatsächlich: 1928 wurde zu einem der reichsten Fangjahre der Region.

Die Schlittenpost von Tilsit
Der Winter von 1910 gilt als einer der strengsten Ostpreußens. Schneemassen hatten die Dörfer rund um Tilsit von der Außenwelt abgeschnitten. Die Postkutsche blieb stecken, Züge kamen kaum durch. Die Menschen warteten vergeblich auf Weihnachtsbriefe aus der Ferne. Da beschloss der junge Postbeamte Paul Wolter, ein stiller, etwas verschlossener Mann, das Unmögliche: Er wollte die Post trotzdem ausliefern – zu Fuß, mit einem selbst gebauten Schlitten, gezogen von seinem treuen Hund „Muck“. Es war Heiligabend, als Wolter in der Morgendämmerung loszog. Der Schnee lag kniehoch, und der Wind pfiff über die weiten Felder. Doch er hielt durch, stapfte stundenlang durch die stille, weiße Landschaft.

Mehrmals musste er den Schlitten aus Schneewehen ziehen, einmal brach er in einen versteckten Graben ein und konnte nur dank Muck weitergehen. Doch am späten Nachmittag erreichte er das erste Dorf. Die Bewohner trauten ihren Augen kaum, als der Postbeamte mit vor Frost glühenden Wangen an die Türen klopfte und über 60 Weihnachtsbriefe überreichte. Viele weinten vor Freude, andere luden ihn zu warmem Bier, Klöpschen oder Stollen ein.

Paul Wolter lehnte die meisten Einladungen ab – denn er wollte weiter. Erst nach zwei weiteren Dörfern kehrte er tief in der Nacht zurück. Die Tilsiter nannten es später das „Weihnachtswunder auf Kufen“. Wolter wurde ein stiller Held, der seine Tat nie groß erwähnte.

Die Bernsteinkugel von Rauschen
Rauschen, das elegante Seebad an der steilen Ostseeküste, war auch im Winter ein geheimnisvoller Ort. Die Ostsee spülte zu dieser Jahreszeit oft bizarre Bernsteinbrocken an – doch im Winter 1883 geschah etwas ganz Besonderes. Am Morgen des 25. Dezember entdeckte ein Fischer beim Spaziergang eine fast perfekte, faustgroße Bernstein-Kugel. Solche Formen kommen in der Natur nur ganz selten vor. Doch das wirklich Ungewöhnliche war das Innere. In dem klaren, goldenen Harz lag ein winziges Weihrauchkorn eingeschlossen – vollkommen erhalten.

Der Pfarrer von Rauschen interpretierte es als Zeichen Gottes: „Ein Gruß der Heiligen Drei Könige, ans Meer verloren und nun zu uns zurückgeschickt.“

Ob Zufall oder göttliches Zeichen – die Menschen betrachteten die Kugel als heiliges Objekt. Sie wurde in der Kirche ausgestellt, später im Heimatmuseum. Doch mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs verschwand die Kugel spurlos. Manche meinten, ein Soldat habe sie eingesteckt, andere glaubten, sie sei bei der Evakuierung der Küstenorte verloren gegangen. Heute ist sie daher „nur“ noch ein Teil der ostpreußischen Weihnachtsmythen.

Die Katenweihnacht der Masuren
Im Herzen Masurens, zwischen dunklen Wäldern und stillen Seen, herrschte an Heiligabend eine besondere Stimmung. Bevor die Familie sich an den festlichen Tisch setzte, musste der Hausherr eine alte Pflicht erfüllen. Er ging in den Stall, stellte sich vor jede Kuh, jedes Pferd und jedes Huhn und sprach mit ihnen. Er dankte ihnen für die Arbeit, für die Milch, die Eier und für die Wärme – und wünschte ihnen eine gesegnete Nacht. Denn die Masuren glaubten, dass Tiere in der Weihnachtsnacht sprechen konnten, doch nur, wenn man ihnen zuvor entsprechend Ehre erwiesen hatte.

Eine alte Geschichte erzählt daher auch von einem jungen Knecht, der diesen Glauben belächelte. Er schlich sich am Heiligabend in den Stall, versteckte sich und wartete. Zunächst war alles still. Dann hörte er jedoch ein leises Murmeln – Stimmen, die er nicht zuordnen konnte. Er beugte sich näher, und zwei Kühe flüsterten: „Morgen tragen wir dich in ein Grab.“ Er lachte, überzeugt, wohl nur schlecht geträumt zu haben. Doch am nächsten Tag starb er tatsächlich an einer rasch fortschreitenden Lungenentzündung. So jedenfalls heißt es in der Überlieferung.

Seitdem sagte man in Masuren: „Wer die Tiere belauscht, hört Dinge, die für Menschenohren nicht bestimmt sind.“

Die Schiffsweihnacht von Pillau
Der Hafen von Pillau war im Winter oft von dickem Eis umgeben, doch zur Weihnachtszeit wurde er zum leuchtenden Festplatz. Alle Schiffe, ob groß oder klein, wurden mit Laternen geschmückt. Diese Laternen hingen funkelnd wie kleine Sterne in den Masten, und ihr Licht spiegelte sich im gefrorenen Wasser. Die Kapitäne arrangierten ihre Schiffe manchmal in Form eines Dreiecks – der „Lichterstern von Pillau“, wie man das illuminierte Spektakel auch nannte. Es war ein Zeichen des Zusammenhalts der Seefahrer, die oft monatelang fern der Heimat waren. Im Jahr 1906 kam es zu einem kuriosen Zwischenfall. Ein Schiffer aus Memel, der wegen Nebels die Küste nicht erkennen konnte, hielt die beleuchteten Masten für Navigationslichter und steuerte direkt auf den Hafen zu, obwohl er eigentlich nur vorbeisegeln wollte Er lief fast auf Grund, wurde jedoch von einem aufmerksamen Lotsen rechtzeitig gestoppt.

Seitdem achtete man darauf, die Lichter zwar feierlich, aber nicht zu „offiziell“ erscheinen zu lassen.

Die verschwundene Christmette von Cranz
Cranz, das beliebte Ostseebad, war seit jeher für seine gemütlichen, heimeligen Weihnachtsgottesdienste bekannt. Doch um das Jahr 1890 herum geschah etwas, das die Gemeinde bis heute beschäftigt. Die Kirche war voll besetzt, Kerzenlicht flackerte an den Fenstern, als der Gottesdienst beginnen sollte. Doch plötzlich verstummten alle drei Kirchenglocken gleichzeitig – mitten im Geläut. Kein Mechanismus war kaputt, kein Sturm tobte. Sie standen einfach still. Der Pfarrer versuchte, den Gottesdienst dennoch zu beginnen, doch selbst die Orgel schien zu „haken“, als wolle sie nicht spielen. Die Gemeinde saß schweigend in der Dunkelheit. Schließlich entschied man, die Messe abzubrechen Am nächsten Morgen, als die Sonne über der Ostsee aufging, klangen die Glocken wieder normal – klar, laut und festlich.

Die Menschen erzählten sich später, ein Engel habe in jener Nacht über Cranz gewacht und habe die Glocken zum Schweigen gebracht, um den Menschen eine wirklich stille Nacht zu schenken.

Die Schneepredigt von Königsberg
In einer eisigen Königsberger Weihnachtsnacht Ende der 1880er Jahre strömten die Menschen zur Altroßgärter Kirche, um die erste Christmette des neuen Pastors Matthias Gerhard zu hören. Ein dichter Schneesturm legte die Stadt lahm; selbst die Laternen wirkten, als würden sie im Wind flackern wie erschöpfte Augen. Kaum hatte der Gottesdienst begonnen, herrschte draußen plötzlich absolute Stille. Die Luft schien zu erstarren, und an den Kirchenfenstern klebten große, leuchtende Schneeflocken, die wie kleine Sterne glitzerten. Als man die schweren Türen öffnete, waren sie festgefroren. Einige begannen zu weinen, andere beteten.

Da breitete sich ein warmes, goldenes Licht im Kirchenschiff aus – obwohl draußen pechschwarze Nacht war. Es wirkte, als käme es von nirgendwo, und doch erhellte es den Raum, als hätte jemand eine unsichtbare Laterne entzündet. Pastor Gerhard trat hinein und begann zu sprechen. Seine Worte klangen heller, klarer als sonst, fast wie eine Stimme, die von weit her kam. Die Menschen wurden ruhig; manche behaupteten später, in dem Licht Gestalten geliebter Verstorbener gesehen zu haben. Als das Licht verging, brach die Tür wie von selbst auf. Der Sturm war verschwunden. Rund um die Kirche lag der Schnee kreisförmig geschmolzen, als hätte dort Wärme geruht. Doch der Pastor war verschwunden. Mantel und Bibel lagen noch da, von ihm selbst keine Spur.

Bis heute sagt man in Königsberg:

„Manchmal bringt der Winter nicht nur Kälte – sondern auch Licht.“

 

 

 


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