15.12.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden

TV-Kritik

Ostpreußischer Grenzgänger

Siegried-Lenz-Verfilmung „Der Überläufer“ in der ARD – deutsch-polnisches (Liebes-)Verhältnis in Zeiten des Zweiten Weltkrieges

Anne Martin
28.03.2020

Ein orangefarbener Schnellhefter mit zerfledderten Seiten barg jahrzehntelang einen literarischen Schatz: Gerade einmal 25 Jahre alt war Siegfried Lenz, als er dem Verlag „Hoffmann und Campe“ im Jahr 1951 sein Manuskript „Der Überläufer“ anbot (die PAZ berichtete). Es ist eine Geschichte, die viel über ihn selbst erzählt, den jungen Mann, der bei seiner Großmutter am masurischen Lyck-See aufwuchs, der sich mit 17 Jahren zur Kriegsmarine meldete, der kurz vor Kriegsende vom Hilfskreuzer „Hansa“ in Dänemark desertierte und später in britische Kriegsgefangenschaft geriet.

Der ewige Widerspruch zwischen Pflicht und Gewissen prägt dieses lange verschollene Frühwerk. Es beschreibt die verschlungenen Wege des jungen Wehrmachtsoldaten Walter Proska, der im letzten Kriegssommer in polnischen Sümpfen gegen Partisanen kämpfen soll, der vor seinem sadistischen Vorgesetzten flüchtet und zu den Russen überläuft, die ihn als Vermittler instrumentalisieren.

An der Frontlinie soll Proska deutsche Soldaten mit persönlichen Aufrufen und Propaganda-Liedern, die er auf einem Schallplattenspieler abspielt, zur Kapitulation bewegen. Ob die Kameraden durch seine Intervention überleben werden oder nur in eine perfide Falle gelockt werden, dafür fühlt er sich nicht zuständig.

Ist dieser Überläufer nun ein Verräter? Oder einer, der sich um eine friedliche Einigung bemüht? Die großen Fragen von Schuld und Sühne, von Angst und Überlebenswillen werden von dem damals noch blutjungen Autor in vielen überraschenden Wendungen aufgeworfen. Allein: Das Frühwerk wurde seinerzeit vom Verlag abgelehnt. Die Zeit war noch nicht reif für die Geschichte eines vermeintlichen Vaterlandsverräters.

2016 wurde das Buch posthum veröffentlicht. Zum 75. Jahrestag des Kriegsendes und sechs Jahre nach dem Tod des Autors ist es nun soweit: Die Verfilmung wird am 8. und 10. April., jeweils 20.15 Uhr, in zwei Folgen im Ersten gezeigt. Als vierteilige Mini-Serie ist sie ab dem 1. April in der ARD-Mediathek verfügbar.

Regisseur Florian Gallenberger ist mit einer Polin verheiratet und beherrscht die Sprache gut: Das mag ihm bei den Dreharbeiten geholfen haben, genauso wie sein filmisches Handwerkszeug, das ihm im Jahr 2001 einen Oscar für den besten Kurzfilm eingebracht hat. Wie Gallenberger die Odyssee des von Jannis Niewöhner gespielten jungen Soldaten von den Naturaufnahmen in polnischen Sümpfen bis zur Liebesgeschichte mit der polnischen Partisanin Wanda (Malgorzata Mikolajczak) in Szene setzt, ist großes Kino, eine Parabel auf die schiere Unmöglichkeit, in Kriegszeiten den moralischen Kompass zu halten. Der Erzählstrang einer verbotenen deutsch-polnischen Liebe wurde dabei in Absprache mit den Lenz-Erben frei hinzugedichtet – Siegfried Lenz hatte die Frauenfigur im Laufe seiner Erzählung verloren.

Die Produktion, zu großen Teilen in Polen gedreht, wurde vom Polish-Film-Institute unterstützt. „Ausnahmslos jeder im überwiegend polnischen Team hatte den Roman gelesen, befragte Eltern und Großeltern“, sagt Produzent Stefan Raiser, „ein solch vitaler, kritischer Austausch ist ein unglaublicher Schatz für uns Filmemacher.“

Was ist richtig, was falsch, wenn die Welt aus den Fugen gerät? Hauptdarsteller Niewöhner, der zuletzt in der Hesse-Verfilmung „Narziss und Goldmund“ im Kino zu sehen war, sieht seine Figur, die sich auf tragische Weise schuldig macht, als Antihelden: „Ich weiß selber nicht, wie ich mich damals verhalten hätte. Hätte ich womöglich mit Leni Riefenstahl die großen Filme gemacht?“

Zum Ende wird Grenzgänger Proska, der nach Kriegsende in der sowjetischen Besatzungszone ein neues Deutschland aufbauen will, seine große Liebe als Sängerin in einer TV-Show wiedersehen. Und er wird schmerzlich erkennen, dass sein bürgerliches Leben eine Lüge ist. Produzent Raiser: „Wir zeigen eine Situation, in der es nur Verlierer gibt. Es gibt keine Wiedergutmachung. Wir trauen uns, keine Lösung anzubieten.“ Anne Martin

• Zur Verfilmung ist im Atlantik Verlag die Taschenbuch-Ausgabe von „Der Überläufer“ erschienen (368 Seiten, 12 Euro).


Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie die PAZ gern mit einer

Anerkennungszahlung


Kommentar hinzufügen

Captcha Image

*Pflichtfelder

Da Kommentare manuell freigeschaltet werden müssen, erscheint Ihr Kommentar möglicherweise erst am folgenden Werktag. Sollte der Kommentar nach längerer Zeit nicht erscheinen, laden Sie bitte in Ihrem Browser diese Seite neu!

powered by webEdition CMS